Das deutsch-tschechische Verhältnis im 20. Jahrhundert

 

1914: Gespräche zwischen dem russischen Außenminister Sasanow und dem späteren tschechischen Staatsoberhaupt Masaryk in Rotterdam. Masaryk fordert Einverleibung des Sudetenlandes und des Burgenlandes (als slawischer Korridor der künftigen Tschechoslowakei nach Jugoslawien).

 

29. Oktober 1918: Die Abgeordneten aus Deutsch‑Böhmen proklamieren ihr Gebiet als »eigenberechtigte Provinz des Staates Deutsch-Österreich« und setzen eine Landesregierung ein. Andere sudetendeutsche Landesteile folgen ihrem Beispiel.

 

14. Dezember 1918: Tschechische Truppen marschieren in Reichenberg ein, der größten Stadt Deutsch‑Böhmens.

 

22. Dezember 1918: Masaryk unterscheidet in seiner ersten politischen Botschaft zwischen »bodenständigen Tschechen« und sudetendeutschen "Immigranten und Kolonisten".

 

4. März 1919: Blutbad tschechischer Milizsoldaten unter friedlichen Demonstranten, die Verbleib bei Österreich fordern; 54 Todesopfer, weitere bei späteren Demonstrationen.

 

10. März 1919: Bericht des Vorsitzenden der US‑Expertenkommission Archibald C. Coolidge für die Pariser Friedensverhandlungen.

 

»... Würde man den Tschechoslowaken das ganze Gebiet zuerkennen, das sie beanspruchen, so wäre das nicht nur eine Ungerechtigkeit gegenüber vielen Millionen Menschen, die nicht unter tschechische Herrschaft gelangen wollen, sondern es wäre auch für die Zukunft des neuen Staates gefährlich und vielleicht verhängnisvoll ...

 

Das Blut, das am 4. März geflossen ist, als tschechische Soldaten in mehreren Städten auf die deutsche Menge feuerten, ist ‑ obwohl es im Vergleich zu den Opfern, deren Zeugen wir geworden sind, nur ein Tropfen ist ‑ auf eine Art und Weise vergossen worden, die nur schwer verziehen werden kann ... «

 

10. September 1919: Frieden von St. Germain‑en‑Laye. Die neuen Staatsgrenzen werden sanktioniert. Obwohl es in dem Vielvölkerstaat CSR neben den Tschechen und 3,3 Millionen Deutschen nur 2,3 Millionen Slowaken gibt, wird als Staatsname Tschechoslowakei gewählt.

 

1. Juni 1920: Anläßlich der Eröffnung des Prager Parlaments erklärt der Deutsche Parlamentarische Verband: "Die Tschechoslowakische Republik ist daher das Ergebnis eines einseitigen tschechischen Willensaktes und hat diese Gebiete widerrechtlich und mit Waffengewalt besetzt... Wir verwerfen daher die Fabel vom rein tschechischen Staate und von der >tschechoslowakischen Nation<.«

 

1934: Konrad Henlein, der Organisator der Sammelpartei SdP (Sudetendeutsche Partei), erklärt: "Wir stehen nicht an zu erklären, daß uns ein grundsätzlicher Unterschied vom Nationalsozialismus trennt. Wir werden niemals auf die Freiheit des Individuums verzichten."

 

1935: Wahlsieg der Sudetendeutschen Partei bei den letzten freien Wahlen.

 

1935/1936: Einstellung der Angriffe der Nazis gegen Konrad Henlein.

 

1937: Arnold Toynbee nach einer Reise in dieCSR im "Economist": »Und was die Methoden betrifft, mit denen die Tschechen heute ihre Vorherrschaft über die Sudetendeutschen ausüben, so sind sie undemokratisch.«

 

April 1938: Henlein fordert in seinem Karlsbader Programm Autonomie für das Sudetenland etwa nach Schweizer Vorbild, wie sie bei den Pariser Friedensverhandlungen von tschechischer Seite angekündigt worden war.

 

Juli 1938: Henlein trifft Hitler beim deutschen Turnfest in Breslau.

 

Anfang September 1938: Inspektionsreise des britischen Regierungsbeauftragten Lord Runciman durch Böhmen und Mähren. Runciman berichtet von wirtschaftlicher, kultureller und administrativer Diskriminierung der Sudetendeutschen und befürwortet Selbstbestimmungsrecht dieser Volksgruppe.

 

29. September 1938: Münchener Abkommen über Abtretung des Sudetenlandes durch dieCSR.

 

Dezember 1938: Präsident Benesch und später Minister Ripka erörtern (Teil‑)Vertreibung der Sudetendeutschen.

 

März 1939: Hitler marschiert in Prag ein. Kommentar des britischen Botschafters Henderson: »Bis zum März, so habe ich in meinem anschließenden Bericht geschrieben, führte das Schiff des deutschen Staates die deutsche Nationalflagge. In diesen Märztagen hißte dann der Kapitän herausfordernd die Piratenflagge mit dem Totenkopf und gekreuzten Knochen und zeigte seine wahren Farben als prinzipienloser Feind des Friedens und der europäischen Freiheit.«

 

Ende 1939: Konkrete Pläne zur Vertreibung der Sudetendeutschen im tschechischen Exil in Paris.

 

Oktober 1940: Benesch fordert »Aussiedlung von 1 Million Deutschen«.


 

Mai ‑ September 1941: Benesch »akzeptiert den Grundsatz des Bevölkerungstransfers«.

 

1942: Benesch vor Militärs: "Ein weiteres und ein brennendes Problem ist, wie wir die Deutschen loswerden sollen. Selbst glaube ich, daß es möglich sein wird, sich etwa zwei Millionen Deutscher zu entledigen. Das Problem wird sehr schwer sein. Am besten wird sein, es via facti zu erledigen, sonst durch Übereinkommen. Alle jungen Deutschen bis zu einem bestimmten Alter müssen weg..."

 

Sommer 1943: Benesch notiert in seinem Tagebuch: "Ist auch das Problem der nationalen Minderheiten in unserem Staate zu lösen ... Ich sehe da nur die Möglichkeit einer radikalen Endlösung."

 

Mai 1945: Benesch in einer Rede in Brünn. "Es ist Ihnen und allen von uns klar, daß die Liquidierung der Deutschen hundertprozentig sein muß."

 

3. Juni 1945: Benesch in Tabor: "Was wir im Jahre 1919 schon durchführen wollten, das erledigen wir jetzt. Damals schon wollten wir alle Deutschen abschieben. Deutschland aber war nicht vernichtet, und England hielt uns die Hände."

 

Juli 1945: Benesch‑Anhänger fordern Teile von Schlesien, Lausitz, Ostbayern, Niederösterreich und dem Burgenland.

 

August 1945: Außenhandelsminister Ripka in Nachod: "Wir verlangen nur, was für unsere strategische Sicherheit unentbehrlich ist und was wir zur Überwindung unserer Transportschwierigkeiten brauchen. Wir verlangen, daß die Grenze vom Kamm unserer Berge auf den Fuß des Gebirges auf der deutschen Seite verlegt werden Soll."

 

Frühjahr 1946: Während des Wahlkampfs in der Tschechoslowakei streiten Nationalisten und Kommunisten um die größeren Verdienste bei der Liquidierung der sudetendeutschen Volksgruppe und um die Priorität bei der Idee, wobei sehr frühe Vertreibungspläne zum Vorschein kommen.

 

November/Dezember 1946: Auf der Konferenz des Außenministerrates in New York schlägt die Prager Regierung weitere Grenzberichtigungen zu Lasten Deutschlands im Norden und Westen vor.

 

Quelle: "Schwarzbuch der Vertreibung 1945 bis 1948" von Heinz Nawratil, 11. Auflage München Februar 2003, S. 91 - 93 (Die Fußnoten 41 - 64 wurden aus dem Text entfernt und können bei Nawratil S. 226 nachgelesen werden)