Deutsche Kontinuitäten
Gewiß gab es und gibt es allzu
viele ärgerliche gesellschaftliche Kontinuitäten in der (alten, d.V.) Bundesrepublik zum untergegangenen
Nationalsozialismus. Wer jedoch als Linker von solchen Kontinuitäten in der Bundesrepublik
spricht, darf von analogen Kontinuitäten in der DDR nicht schweigen: Auch dort
wurde NS-Personal nach 1945 verwendet, jetzt aber unter Flagge der SED.
Polizeistaat, Militarisierung der Gesellschaft, von Betrieben (Arbeitsbrigaden,
Betriebskampfgruppen usw.) über staatliche Demonstrationen (Militärparaden) bis
zum Sport (Spartakiaden mit militärischem Zeremoniell); Zensur, rigorose
Gängelung von Kultur und Wissenschaft durch Partei und Staat usw. gehören dort
sogar zum offiziellen Erscheinungsbild, nur unter kommunistischem Vorzeichen.
Fast alles, was hypersensible linke Kritik der »BRD« vorwirft, findet sich auch
in der DDR und im realen Sozialismus, oft um ein Vielfaches schlimmer.
Schließlich gibt es keine
deprimierenderen Symbole deutscher Kontinuität über 1945 hinaus als die
Fortführung des KZ Buchenwald in der SBZ, dann DDR bis 1952; im Extremfall
fanden sich 1945 von der Roten Armee befreite sozialdemokratische Ex-Häftlinge
nach kurzer Zeit in Buchenwald wieder, jetzt aber in Haft ihrer »Befreier« vom
NS‑Faschismus. Nur wenige Jahre nach der endgültigen Auflösung des KZ
Buchenwald wurde die nur geringfügig modifizierte Wehrmachtsuniform für die
Nationale Volksarmee der DDR eingeführt. Der Einmarsch so uniformierter
deutscher Truppen in Prag im August 1968 wirkte vor dem Hintergrund der bis
1945 immerhin gemeinsamen deutschen Geschichte doppelt makaber, in West wie
Ost.
Quelle: Prof. Dr. Imanuel Geiss
in "Die Habermas-Kontroverse. Ein deutscher
Streit", Berlin 1988, S. 115 f
Anmerkung: Die DDR-Führung wäre – in einem typisch deutschen
liebedienerischen Gehorsam zum großen Bruder SU – gerne 1968 beim Einmarsch in
die CSSR dabei gewesen. So wurde es auch in den Westmedien kolportiert.
Tatsächlich haben bereitstehende DDR-Truppen die Grenze nicht überschritten. Der
SU war wohl die Geschichtsträchtigkeit einer deutschen Beteiligung an der
Intervention sehr wohl bewusst.