Das Ahlener-Programm
Kein unbefangener Leser einer anonymisierten Form
des nachfolgenden Textes käme je auf die Idee, es könne sich um das
CDU-Programm aus dem Jahre 1947 handeln. Es beinhaltet Ideen, die weit links
von der heutigen SPD angesiedelt sind. Aber der Rotarier Konrad Adenauer – der
Kanzler der Alliierten – hat die CDU alsbald auf den kapitalistischen Kurs der
amerikanischen Ostküste getrimmt.
Der Zonenausschuss
der CDU für die britische Zone erließ in seiner Tagung vom 1. bis 3. Februar
1947 in Ahlen folgende programmatische Erklärung:
Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen
Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem
furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge
einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus
erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann
nicht mehr als das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das
Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll
das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem
Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen
Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.
In dieser Erkenntnis hat das Parteiprogramm der CDU vom März 1946 folgende
Grundsätze aufgestellt:
Die Wirtschaft hat
der Entfaltung der schaffenden Kräfte des Menschen und der Gemeinschaft zu
dienen. Ausgangspunkt aller Wirtschaft ist die Anerkennung der Persönlichkeit.
Freiheit der Person auf wirtschaftlichem und Freiheit auf politischem Gebiet
hängen eng zusammen. Die Gestaltung und Führung der Wirtschaft darf dem Einzelnen
nicht die Freiheit seiner Person nehmen. Daher ist notwendig:
Stärkung der wirtschaftlichen Stellung und Freiheit des Einzelnen; Verhinderung
der Zusammenballung wirtschaftlicher Kräfte in der Hand von Einzelpersonen, von
Gesellschaften, privaten oder öffentlichen Organisationen, durch die die
wirtschaftliche oder politische Freiheit gefährdet werden könnte. Kohle ist das
entscheidende Produkt der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Wir fordern die
Vergesellschaftung der Bergwerke.
In Verfolg dieser Grundsätze ist nunmehr von der CDU folgendes Programm für die
Neuordnung der Wirtschaft beschlossen worden.
1. Die deutsche
industrielle Wirtschaft war technisch und wissenschaftlich in der Zeit von 1918
bis 1945 im allgemeinen auf der Höhe. Sie konnte jeden Vergleich mit der
Wirtschaft anderer Länder nach dieser Richtung aushalten. Das gilt auch vom
Bergbau. Den klarsten Beweis für die technische und wissenschaftliche Höhe der
deutschen Industrie liefern die Erklärungen ausländischer Staatsmänner und
Zeitungen über den ungeheuren Wert der von ihnen beschlagnahmten deutschen
Patente und Geheimverfahren. Sie erklären, dass die deutsche Wissenschaft,
Technik und Industrie in vielen Beziehungen voraus gewesen sei.
2. Das Verhältnis zwischen der deutschen industriellen Wirtschaft und dem
Staate, der Gesamtheit des Volkes und dem einzelnen Arbeitnehmer zeigte in
vieler Hinsicht schwere Mängel. Es darf auch hier nicht verkannt werden, dass
in Deutschland, ehe es 1933 zum getarnten Staatssozialismus überging,
erhebliche Teile der industriellen Wirtschaft in Gemeinbesitz waren: Bahnen
fast restlos, einschließlich der Kleinbahnen und Straßenbahnen, Post, Telegraf,
Rundfunk, Gas- und Wasserversorgung, der größte Teil der Erzeugnisse
elektrischer Kraft, ein erheblicher Teil des Bergbaus in der britischen Zone,
der Saarbergbau ganz.
Auch das Genossenschaftswesen war in Deutschland auf allen Gebieten
einschließlich dem des Geldwesens sehr stark entwickelt. Auf dem Gebiete des
Geld- und Bankwesens war der gemeinwirtschaftliche Einfluss durch Reichsbank,
Staatsbanken, Giroverbände der Sparkassen, Landesbanken, Sparkassen sehr groß.
Dasselbe gilt vom Versicherungswesen durch die staatlichen und provinziellen
Versicherungen.
Aber auf den wichtigsten Gebieten des Bergbaus und der Schlüsselindustrie waren
schwere Schäden vorhanden. Die Zeit vor 1933 hat zu große Zusammenballungen
industrieller Unternehmungen gebracht. Diese bekamen dadurch einen
monopolartigen Charakter. Sie wurden für die Öffentlichkeit undurchsichtig und
unkontrollierbar. Wenn der Aktienbesitz der großen industriellen
Unternehmungen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z.B. Krupp, auch stark
gestreut war, so wurde doch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und
Vorstandes infolge der Vertretung der zahlreichen Aktionäre durch wenige Banken
von einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Personen bestimmt. Die zu dem engen
Kreis der Vertreter der Großbanken und der großen industriellen Unternehmungen
gehörigen Personen hatten infolgedessen eine zu große wirtschaftliche und damit
zu große politische Macht.
Das Verhältnis des Arbeitnehmers zu seinem Betrieb war vor 1933 im Beginn einer
die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigenden Entwicklung. Diese Entwicklung
war aber 1933 noch nicht zu einem befriedigenden Abschluss gelangt. Während der
Jahre 1933 bis 1945 waren auch die größeren industriellen Unternehmungen der
Sache nach, wenn auch nicht dem Namen nach, Staatsbetriebe. Der
nationalsozialistische Staat nahm sich das Recht, jede leitende Persönlichkeit,
wenn sie ihm politisch oder wirtschaftlich widerstrebte, ohne weiteres zu
entfernen; er vergab Aufträge, er verteilte dementsprechend die Rohstoffe, die
Arbeitskräfte, er setzte Preise, Löhne usw. fest.
Der Arbeitnehmer war gegenüber seinem Betrieb machtlos. Es gab keine
Lohnbewegungen, keine Lohnerhöhungen, keinen Wechsel des Arbeitsplatzes, kein
Mitspracherecht bei der Führung des Betriebes. Es herrschte in vollem Umfange
ein getarnter Staatssozialismus.
Die neue Struktur
der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten
Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist. Es muss aber ebenso vermieden
werden, dass der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt
wird, der noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des
einzelnen sein würde. Es muss eine neue Struktur der Wirtschaft gesucht werden,
die die Mängel der Vergangenheit vermeidet, und die Möglichkeit zu technischem
Fortschritt und zur schöpferischen Initiative des einzelnen lässt.
1. Konzerne und ähnliche wirtschaftliche Gebilde, die nicht technisch, sozial
oder wirtschaftlich absolut notwendig sind, sind zu entflechten und in selbständige
Einzelunternehmungen zu überführen. Die technische Entwicklung verlangt bei
gewissen Unternehmungen eine bestimmte Mindestgröße, namentlich auch um
gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig zu sein. Diese Mindestgröße muss
derartigen Unternehmungen unbedingt belassen werden.
2. Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die einen
bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit
eine politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann. Dieser Gefahr
muss dadurch vorgebeugt werden, dass entsprechende Kartellgesetze erlassen
werden. (Siehe Antrag 1 der CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen).
Darüber hinaus soll bei diesen Unternehmungen das machtverteilende Prinzip
eingeführt werden, damit jede mit dem Gemeinwohl unverträgliche Beherrschung
wesentlicher Wirtschaftszweige durch den Staat, Privatpersonen oder Gruppen
ausgeschlossen wird.
a) Zu diesem Zweck sollen öffentliche Körperschaften wie Staat, Land, Gemeinde,
Gemeindeverbände, ferner Genossenschaften und die im Betrieb tätigen
Arbeitnehmer an diesen Unternehmungen beteiligt werden; der dringend
notwendigen Unternehmerinitiativen ist der erforderliche Spielraum zu belassen.
b) Weiter soll bei solchen Unternehmungen der private Aktienbesitz, der in
einer Hand dem Eigentum oder dem Stimmrecht nach vereinigt ist, in der Höhe
gesetzlich begrenzt werden.
3. Bergbau. Monopolartigen Charakter haben die Kohlenbergwerke schlechthin
wegen des von ihnen geförderten, für das gesamte Volk lebenswichtigen Urproduktes.
Daher ist die Anwendung der in Ziffer II/2 aufgestellten Grundsätze auf sie
vordringlich; sie sind somit zu vergesellschaften.
Wenn in besonderen Fällen die Form des Staatsbetriebes zweckmäßiger erscheint,
so sollten die vorstehenden Grundsätze der Anwendung dieser Form nicht
entgegenstehen.
4. Eisenschaffende Großindustrie. Auch bei der eisenschaffenden Großindustrie
ist der Weg der Vergesellschaftung zu beschreiten. (Antrag 2 der CDU-Fraktion
im Landtag Nordrhein-Westfalen).
5. Das Genossenschaftswesen ist mit aller Kraft auszubauen und die Rechtsform
der Stiftung auch in wirtschaftlichem Bereich nachdrücklich zu fördern.
6. Die schon vor 1933 begonnene gesetzliche Kontrolle des Geld- und Bankwesens
sowie des Versicherungswesens muss weiter ausgebaut werden.
7. Leistungsfähige Klein- und Mittelbetriebe sind um ihres
volkswirtschaftlichen Wertes und ihrer sozialen Aufstiegsmöglichkeiten willen
zu fördern. In Industrie, Handel und Gewerbe ist die private
Unternehmertätigkeit zu erhalten und zu entwickeln.
8. Rechtmäßig erworbenes Eigentum, mit dem politischer Missbrauch nicht
getrieben wurde, ist im übrigen bei der Durchführung dieser wirtschaftlichen
Neuordnung im Rahmen der allgemeinen Gesetze zu achten.
In den Betrieben,
in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer
nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, ist ein Mitbestimmungsrecht
der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und
sozialen Gestaltung sicherzustellen. Dies muss zunächst dadurch geschehen, dass
die Arbeitnehmer des Betriebes in den Aufsichtsorganen, z.B. im Aufsichtsrat
des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung haben. Zu diesem Zweck bedarf
es einer Reform des Gesellschaftsrechts. Insbesondere ist dem Aufsichtsrat eine
stärkere Stellung gegenüber der Verwaltung zu verleihen.
Bei Großbetrieben mit mehrköpfigem Vorstand sollte Betriebsangehörigen, die in
langjähriger Betriebszugehörigkeit sich um den Betrieb verdient gemacht haben,
Mitwirkung in der Leitung des Unternehmens durch Berufung in den Vorstand
gewährt werden. Die Berufung erfolgt auf Vorschlag der Betriebsangehörigen, die
dem Aufsichtsrat mindestens drei Vorschläge zu unterbreiten haben.
Dem von der Belegschaft gewählten Vorsitzenden des Betriebsrates ist
Gelegenheit zur Mitwirkung in allen Fragen zu geben, welche die sozialen
Interessen der Betriebsangehörigen berühren. Darüber hinaus hat die
Betriebsleitung in jedem Fall dem Betriebsrat einmal monatlich Bericht über die
Lage des Unternehmens zu erstatten, und den Betriebsratsangehörigen ist ein
Anspruch auf Auskunftserteilung in diesen Besprechungen zuzubilligen. Durch
geeignete Maßnahmen soll den Arbeitnehmern eine Beteiligung am Ertrage
gesichert werden. Die Formen dieser Beteiligung können verschiedenartig sein
und unterliegen besonderer Vereinbarung. (Siehe Antrag 3 der CDU-Fraktion im
Landtag Nordrhein-Westfalen).
wird auf lange Zeit
in erheblichem Umfange notwendig sein; es ist aber ein Unterschied, ob die
Planung und Lenkung im Hinblick auf die Schwierigkeiten der wirtschaftlichen
Lage erfolgt oder von Fall zu Fall als notwendig betrachtet wird, oder ob die
Planung und Lenkung der Wirtschaft als Selbstzweck angesehen wird. Planung und
Lenkung wird auch in normalen Zeiten der Wirtschaft in gewissem Umfang
notwendig sein, was sich aus unserer Auffassung ergibt, dass die Wirtschaft der
Bedarfsdeckung des Volkes zu dienen hat.
Diese Planungs- und Lenkungsaufgaben sollen von Selbstverwaltungskörperschaften
der Wirtschaft in Wirtschaftskammern wahrgenommen werden. Ob diese
Wirtschaftskammern identisch sein werden mit den Industrie- und Handelskammern,
ist eine Frage von sekundärer Bedeutung. Notwendig ist auf jeden Fall, dass die
breiten Massen der Arbeitnehmer und Konsumenten an dieser Planung und Lenkung
innerhalb der wirtschaftlichen Selbstverwaltung neben den Unternehmern
gleichberechtigt teilnehmen. In ihren letzten Entscheidungen unterliegen auch
die Selbstverwaltungskörperschaften der parlamentarischen Kontrolle. (Siehe
Antrag 4 der CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen).
mag es sich um
Bodenreform, Neuaufbau der industriellen Wirtschaft oder Neugestaltung des
Verhältnisses zwischen Arbeitnehmern und Betrieb handeln, ist das erste und
vornehmste Ziel das Wohl des gesamten Volkes. Die deutsche Wirtschaft hat weder
in erster Linie dem Wohle einer bestimmten Schicht zu dienen noch dem Auslande.
Die Alliierten insbesondere haben ein Recht und eine Interesse an der
Beseitigung der ausgesprochenen Kriegsindustrie und an
Wiedergutmachungsleistungen nach Befriedigung der Lebensnotwendigkeiten des
deutschen Volkes. Sie haben aber kein Recht, unter Hintansetzung der
notwendigen Lebensbedürfnisse des deutschen Volkes, die deutsche Industrie so
zu beschneiden oder so zu gestalten, wie es das Exportbedürfnis ihrer eigenen
Industrien verlangt. Demontage nicht kriegsindustrieller Werke dient ebenso
diesem Zwecke wie die Übertragung des Eigentums an den Großindustrien auf den
deutschen Staat, da sich dann jede gewollte wirtschaftliche Maßnahme durch
politischen Druck auf den politisch schwachen Staat erreichen lässt. Es ist
ferner zu berücksichtigen, dass die deutsche Wirtschaft nicht nur industriell
ist; sie umfasst als wesentliche Teile: die industrielle Wirtschaft, die
bäuerliche Wirtschaft, das Handwerk, Handel, Gewerbe und Verkehr, Geld- und
Bankwesen.
Alle Teile der Wirtschaft greifen ineinander und stehen in Wechselwirkung. Kein
Teil darf losgelöst vom anderen betrachtet werden. Bei der Gestaltung der
industriellen Wirtschaft muss deshalb der Zusammenhang mit den übrigen
Wirtschaftsstellen berücksichtigt werden.