Organisation Consul

 

 

Abermals lag in diesen Tagen über dem Leipziger Staatsgerichtshof der Schatten des Kapitäns Ehrhardt. Der wievielte Prozeß ist es nicht, der sich gegen Helfer, Kreaturen und Verführte dieses geheimnisvollen Mannes richtete? Nur der «Herr Consul» selbst fehlte wie immer. Die Deutsche Republik hat sich nicht besondere Mühe gegeben, diesen ihren Erzfeind ihrem Prokurator in die Hände zu liefern. Ist der allerdings in die Objekte seiner Tätigkeit immer so verliebt, wie in diesem Prozeß der Reichsanwalt Niethammer, nun, so war es vielleicht doch besser, daß Herr Ehrhardt vorher echappierte (entwischte, d.V.). Ein Vertreter der Staatsgewalt, der eine Lobeshymne auf einen zähen und skrupellosen Rebellen psalmodiert, könnte eine gefährlichere Belastung der Staatsautorität bedeuten, als dieser selbst.

 

Es paßt zum Charakterbilde des verschlagenen und weitherzigen Bandenführers Ehrhardt, daß er stets ruhig seine Werkzeuge bluten läßt. Immerhin kann er auch zu seiner Entschuldigung anführen, daß es in Leipzig nicht sehr blutig geworden ist. Die schließlich verhängten Strafen sind minimal; wie immer ist das Schwert der Justitia, wenn es sich um Rechtsradikale handelt, zum Galanteriedegen geworden, mit dem die leutselige Dame den Sündern ein bißchen die Fußsohlen kitzelt ‑ und an einem Scherz von so weicher Hand stirbt keiner der hier in Frage kommenden Killinger. Dabei ging der endliche Spruch des Gerichtes noch immer um einiges über die Anträge des Reichsanwaltes hinaus und erregte dadurch Erstaunen. Wir sind so bescheiden geworden in Deutschland.


 

Wie bezeichnend war der Auftakt. Ausschluß der Öffentlichkeit gerade bei der Erörterung der empfindlichsten Punkte. Die 0. C. hat in Oberschlesien hervorragend mitgespielt. Herr Niethammer und die andern Verteidiger erblicken darin ein historisches Verdienst. Andere Leute können vielleicht auf Erzberger, Rathenau, Gareis und andere verweisen, deren Ermordung ja auch in den Aufgabenkreis der 0. C. fiel. Wie, warum und zu welchem Zeitpunkte hing der Staat mit dieser Geheimorganisation zusammen? «Die Vereinbarungen, die zur Schaffung der 0. C. führten», betonte der Reichsanwalt, «sind derart, daß man öffentlich im Interesse des Landes nicht darüber sprechen kann Auch die Anklageschrift dürfte die volle Wahrheit nicht sagen. » So ist die einzige wichtige Frage nicht geklärt, inwieweit der republikanische Staat selbst in seiner Blindheit diese Kammorra gefördert hat, der Griff ins Wespennest nicht unternommen worden. Selbstverständlich unterstrichen die Angeklagten die Legalität und Friedlichkeit ihrer Bestrebungen. Die Bezeichnung der Weimarer Verfassung als «antinational» sei nur als Scherz unter Brüdern aufzufassen, die Ferne bedeute nicht mehr als ein Manicure-­Institut, überhaupt, man habe dem Vaterland dienen wollen und mehr nicht. Da das Gericht nicht mehr Neugierde zeigte und die Öffentlichkeit auch nicht, konnte es dabei sein Bewenden haben. Es war unter diesen Umständen wirklich eine Kraftverpulverung, daß die Verteidiger es noch für notwendig hielten, sich in langen und aufgeregten Expektorationen zu ergehen; was am nachdrücklichsten Herr Meltzer tat, der Verfolger des armen Zeigner, der den höchst überflüssigen Mut aufbrachte, das Gericht zu ersuchen, sich nicht «von dem Federgeschmeiß einer entarteten Presse beirren zu lassen».

 

So anfechtbar die Führung dieses Prozesses und der Spruch auch sind, aus einem ergibt sich doch die Ursache der öffentlichen Gleichgültigkeit: Die Ära der Geheimorganisationen ist zu Ende. Die Putsch‑Konjunktur ist vorüber, Konspiration ist kein Handwerk mehr, das seinen Mann und die dazugehörigen Frauen nährt. Nicht der republikanische Staat in seiner Energielosigkeit und seinem Mangel an Verteidigungswillen bedeutete Damm und Deich gegen die Umsturzwelle von rechts. Ein solches Attest ginge, weiß Gott, zu weit. An den veränderten Zeitverhältnissen, an dem allgemeinen Zug zur Normalisierung ist die Geheimbündelei, sind die dilettantischen Diktaturpläne gescheitert. Man hat genug von den hysterischen Parolen «nationaler» Provenienz; man will wieder arbeiten und zur Ruhe kommen. Allerhand seltsames Volk hatte sich im schwarzweißroten Ku‑Klux‑Klan zusammengefunden. Die meisten wollten Geld verdienen, einige hatten auch Ideale. Mit dem Ende der Inflation, mit der Entmilitarisierung der Reparationsfrage entstand langsam eine Atmosphäre in Deutschland, in der die Chancen, als Verschwörer Geld zu verdienen, in gleichem Maße sich verringerten wie die Betätigungsmöglichkeiten für angeblich patriotische Ideale, deren Wiege im Tollhaus gestanden hat und die unweigerlich das ganze deutsche Volk schließlich dorthin geführt hätten. Seinen ersten Krieg hat der General Ludendorff gegen den Marschall Foch verloren, seine weiteren Schlappen sind gekennzeichnet durch die Namen Seeckt, Lossow, Faulhaber; die letzte und härteste Niederlage hat ihm der General Dawes beigebracht

 

Das Urteil von Leipzig befriedigt nicht das Gerechtigkeitsgefühl, aber es bedeutet trotzdem einen feierlichen und deutlichen Schlußstrich unter jenen tragischen und verworrenen Abschnitt deutscher Geschichte, der mit dem Einbruch der Baltikumer begann und in der Rolle Ehrhardts seinen Höhepunkt erstieg. An den Realitäten des Alltags, an der schlichten Wahrheit, daß die Tatsachen der Wirtschaft stärker sind als phantastisches Abenteurertum, ist das moderne Landsknechtstum zerspellt. Und wenn auch über diesem Prozeß noch der Schatten des «Herrn Consul» lag, ‑ ‑ diesmal war es wirklich nur noch ein Schatten.

 

Quelle: Carl von Ossietzky in "Montag Morgen", 27. Oktober 1924