Antifaschismus
Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals selbst. Das ist die Organisierung der terroristischen Abrechnung mit der Arbeiterklasse und dem revolutionären Teil der Bauernschaft und der Intelligenz. Dieser wirkliche Charakter des Faschismus muß besonders stark unterstrichen werden, weil der Deckmantel der sozialen Demagogie dem Faschismus die Möglichkeit gegeben hat, ... aus ihrem Geleise geworfenen Massen des Kleinbürgertums und sogar manche Teile der rückständigsten Schichten des Proletariats mitzureißen, die niemals dem Faschismus gefolgt wären, wenn sie seinen wirklichen Klassencharakter, seine wirkliche Natur begriffen hätten.
Der Faschismus versprach den
Arbeitern einen „gerechten Lohn“, in Wirklichkeit brachte er ihnen ein noch niedrigeres,
ein bettlerhaftes Lebensniveau. Er versprach den Erwerbslosen Arbeit, in
Wirklichkeit brachte er ihnen noch größere Hungerqualen, Sklavenarbeit,
Zwangsarbeit. In Wirklichkeit verwandelt er Arbeiter und Arbeitslose in völlig
rechtlose Parias der kapitalistischen Gesellschaft, ... raubt ihre
Sozialversicherungsfonds, verwandelt die Fabriken und Betriebe in Kasernen, in
denen die zügellose Willkür der Kapitalisten herrscht. ...
Der Machtantritt
des Faschismus ist keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung
durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der
Klassenherrschaft der Bourgeoisie - der bürgerlichen Demokratie - durch eine
andere Form - durch die offene terroristische Diktatur. ...
... man darf
sich den Machtantritt des Faschismus nicht so simpel und glatt vorstellen, als
ob irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluß faßt, an diesem und diesem
Tage die faschistische Diktatur aufzurichten.
In Wirklichkeit
gelangt der Faschismus gewöhnlich zur Macht im gegenseitigen, zuweilen scharfen
Kampf mit den alten bürgerlichen Parteien oder mit einem bestimmten Teil dieser
Parteien, im Kampf sogar innerhalb des faschistischen Lagers selbst ...
Alles das verringert indessen
nicht die Bedeutung der Tatsache, daß vor der Errichtung der faschistischen
Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel eine Reihe von
Vorbereitungsetappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen
durchführen, die den Machtantritt des Faschismus unmittelbar fördern ...
Die Führer der Sozialdemokratie
vertuschten und verhüllten vor den Massen den wirklichen Klassencharakter des
Faschismus ... Sie tragen die große historische Verantwortung dafür, daß im
entscheidenden Moment der faschistischen Offensive ein bedeutender Teil der
werktätigen Massen in Deutschland ... im Faschismus nicht das blutdürstige
Raubtier des Finanzkapitals, seinen schlimmsten Feind erkannte, und daß diese
Massen nicht zur Abwehr bereit waren. ...
Welches ist die
Quelle des Einflusses des Faschismus auf die Massen? Es gelingt dem Faschismus,
die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten
Nöte und Bedürfnisse appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den
Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch mit den besten
Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren
revolutionären Traditionen. ...
Der Faschismus erstrebt die zügelloseste Ausbeutung der Massen, tritt aber mit einer raffinierten ... Demagogie an sie heran, macht sich den tiefen Haß der Werktätigen gegen die räuberische Bourgeoisie, gegen die Banken, die Trusts und die Finanzmagnaten zunutze und stellt Losungen auf, die im gegebenen Moment für die politisch unreifen Massen die verlockendsten sind ...
Der Faschismus liefert das Volk
den korruptesten, käuflichsten Elementen zur Ausplünderung aus, tritt aber vor dem Volk mit der Forderung einer „ehrlichen
und unbestechlichen Regierung“ auf. Der Faschismus, der mit der
tiefen Enttäuschung der Massen über die Regierungen der bürgerlichen Demokratie
spekuliert, entrüstet sich scheinheilig über die Korruption ...
Durch seinen Zynismus und
seine Verlogenheit alle anderen Spielarten der bürgerlichen Reaktion in den
Schatten stellend, paßt der Faschismus seine Demagogie den nationalen Besonderheiten
jedes Landes an, sogar den Besonderheiten der verschiedenen sozialen Schichten
in ein und demselben Lande.
Und die Massen des
Kleinbürgertums, selbst ein Teil der Arbeiter, durch die Not, die
Arbeitslosigkeit und die Unsicherheit ihrer Existenz zur Verzweiflung
getrieben, werden zu Opfern der sozialen und chauvinistischen Demagogie des
Faschismus. ...
Der Faschismus versprach den
Angestellten, den kleinen Beamten, den Intellektuellen, ihre Existenz zu
sichern, die Allmacht der Trusts und die Spekulation des Bankkapitals zu
beseitigen.
In Wirklichkeit stürzte er
sie in noch größere Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit, unterwirft er sie
einer neuen, aus seinen gehorsamsten Anhängern bestehenden Bürokratie, schafft
er eine unerträgliche Diktatur der Trusts, verbreitet er in einem nie
dagewesenen Maße Korruption und Zersetzung. ...
Quelle: Georgi Michajlow Dimitroff (1882 – 1949) in seiner Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommintern am 2.8.1935.
Anmerkung: Dimitroff war
bulgarischer Kommunist, von 1935 bis 1943 Generalsekretär der Kommintern und
nach dem Zweiten Weltkrieg bulgarischer Ministerpräsident. In die
Geschichtsbücher eingegangen ist er durch seine brillante Rhetorik als
Angeklagter im Prozeß um den Reichstagsbrand. Obwohl er sicherlich unschuldig
war, wurde er wohl nur freigesprochen, weil die Sowjetunion deutsche
Flugschüler in Moskau quasi in kompensierende Geiselhaft genommen hatte.
Der unbefangene Leser der
Dimitroffschen Rede wird kaum an das Jahr 1935 denken, sondern wohl eher an
eine objektive Beschreibung der aktuellen politischen Lage in der BRD und
einiger ihrer westlichen Verbündeten.
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