Tucholskys Deutschland-Liebe
Ja, wir lieben dieses Land.
Und nun will ich euch mal
etwas sagen: Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich national nennen und
nichts weiter sind als bürgerlich‑nationalistisch, dieses Land und seine
Sprache für sich gepachtet haben.
Weder der Herr Regierungsvertreter
im Gehrock noch der Oberstudienrat noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir
sind auch noch da.
Sie reißen den Mund auf und
rufen: "Im Namen Deutschlands ... !" Sie rufen: "Wir lieben dieses Land, nur wir lieben
es." Es ist nicht wahr.
... Und so wie die nationalen
Verbände über die Wege trommeln ‑ mit dem gleichen Recht, mit genau
demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser
deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel ‑ mit
genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus,
Lichtung und Wiese: es ist unser Land.
... Deutschland ist ein
gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht ‑
unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne
gezücktes Schwert ‑ die stille Liebe zu unserer Heimat.
Kurt
Tucholsky, 1929
Bernt Engelmann hat Kurt Tucholsky in
"Deutschland ohne Juden" ein würdiges Denkmal gesetzt, woraus ein
"Schnipsel" besonders verdient, zitiert zu werden: "Die rechten
Sozialdemokraten nannten Tucholsky einen 'Salon-Bolschewisten', dessen
'zersetzende Kritik' ihre Republik samt dem aus der kaiserlichen Mottenkiste
hervorgeholten Feldmarschall-Reichspräsidenten unterhöhlte - als ob diese
Republik noch zu retten gewesen wäre durch Unterlassung jeder Kritik! Die
lienientreuen Anhänger der KPD wußten mit dem 'großen Freund der
Arbeiterklasse', wie sie Tucholsky, wenn sie ihn gerade vor ihren Karren spannen
zu können meinten, etwas verlegen nannten, auch nichts anzufangen. Ihn des
Trotzkismus zu verdächtigen, wäre zu absurd gewesen ... 'Ein kleiner dicker
Berliner wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten', so hat es
einmal Erich Kästner mit leisen, liebevollem Spott umschrieben." ...
und "Auch er, der Bürgersohn und
promovierte Jurist, gehörte zu jenen Intellektuellen jüdischer Herkunft, deren
Gerechtigkeitssinn sich empörte angesichts des schreienden Unrechts, der
menschlichen Brutalität und des Verrats an den Idealen, auch der
Selbstgefälligkeit, mit der die Sieger über die Revolution sich die Hände
rieben und die kurz unterbrochenen Geschäfte wiederaufnahmen."
Es bleibt, jedem Studenten der
Rechtswissenschaften dringend ans Herz zu legen, die akademische Bildung mit
der Lektüre der "Politische Justiz" von Kurt Tucholsky (Rowohlt
Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1970 ff) zu beginnen!