Linke und rechte Patrioten

 

 

Selbst wenn sie sich bekämpften und äußerlich zwischen den Neuen  Rechten und den Neuen Linken wenig Gemeinsamkeit zu bestehen  schien, so waren sie sich vor allem in national‑sozialistischer Strategie  und Taktik durchaus verbunden. Sowohl Bernd Rabehl als auch Rudi Dutschke befürworteten den Nationalismus als »revolutionäres Instrument«. Aus verschiedenen Notizen Rabehls geht hervor, daß er es ablehnte, den Nationalismus auf eine faschistische Haltung zurückzuführen. Seine positive Rolle in der Französischen, Russischen, Jugoslawischen und Chinesischen Revolution sei unverkennbar. Wörtlich schrieb er sogar: »Die marxistische Linke muß Ansätze des Nationalismus weitertreiben, gerade auf den neuralgischen Punkt, daß Deutschland geteilt wurde durch den Bundesgenossen USA ( ... ) Der Nationalismus in dieser Form ist eine Art Sammlung, schafft ein Bündnis zwischen den einzelnen Sozialisten, die dadurch politisch wirksam werden können. « Rudi Dutschke ging noch einen Schritt weiter und rechnete in diesem Zusammenhang mit SPD und KPD auch die NSDAP zu den »bedeutendsten deutschen Arbeiterparteien«.  »Allein schon diese Abweichung von der kommunistisch‑sozialistischen Schablone, die den Nationalsozialismus als kleinbürgerlich strukturiert und großbürgerlich finanziert hinzustellt, ließ auch bei Dutschke eine neue Form des nationalen Sozialismus zu, wie sie zur gleichen Zeit von den ersten Gruppen der Neuen Rechten angestrebt wurde.«

 

Während Neue Rechte und Neue Linke in anderen Ländern wie vor allem in Frankreich oder im spanischen Baskenland vielfach gemeinsam agierten, kam es in Deutschland freilich zu keiner Aktionseinheit zwi­schen den beiden Polen der Jugendbewegung: Die Linke bildete sich als neue Form des Antifaschismus, die Rechte sah sich unter anderem in der Tradition der Waffen‑SS. Nur scheinbar kurioserweise stellte aber gerade auch in Deutschland der National‑Sozialismus neben vielen anderen fundamentalen Gemeinsamkeiten sozusagen die ideologisch‑strategische Klammer dar, die die Neue Linke wie die Neue Rechte auf eine gemein­same Frontlinie in diesem bedeutenden »Kräftespiel des 20. Jahrhun­derts« stellte. Wie man sehen wird, ist dies mit großer Wahrscheinlichkeit eben kein Zufall, und die Feststellung des neurechten Ideologen Singer über die Doppelnatur der Neuen Rechten hat, wenn auch nicht so gemeint, eine tiefgründigere Bedeutung: Er und seine Freunde, so Sin­ger, kämen ihrer persönlichen Herkunft nach von der alten Rechten, ihre geistige Struktur entspräche aber "voll und ganz dem Ansatz des Den­kens der Neuen Linken". Die zwei Seiten einer Medaille: Ebenso wie bei Kuron Modzelewski alias Cohn Bendit wird man auch bei anderen neulinken und neurechten Wortführern wie etwa Alain Benoist dieselbe Frage zu stellen haben, die im Zusammenhang mit den seit den siebziger Jahren ebenfalls in Paris agierenden allerneuesten Linken »Neue Philo­sophen« André Glucksmann und Bernhard‑Henri Lévy der Alt‑Trotzkist Cornelius Castoriadis mit gewiß ätzender Bosheit stellte: »Wer gibt zum Beispiel Bernhard‑Henri Lévy die Möglichkeit zu sprechen und zu publi­zieren? Woher kommt es, daß er ein Philosophie‑Marketing veranstalten kann, anstatt der achte Parfümhändler im Harem eines Sultans zu sein ‑ was vielleicht mehr der >Ordnung der Dinge< entspräche?« In der aktuellen Situation dürfte dem internationalen Konzept des neurechten Befreiungsnationalismus (möglicherweise verbunden mit dem Ökologismus) erstrangige Bedeutung zukommen: das ethnische Ordnungsprinzip der völkischen Selbstbestimmung als explosiver Keim einer neuen Weltordnung, was durchaus den Weltregierungsplänen aller  föderalistischen Weltordner entgegenkommt, die alte Welt über Destabilisierung und Chaos in lauter selbstbestimmte, befreite Bundesstaaten und als solche in ihre monopolkapitalistisch‑multinationale Neue Weltordnung hinein zu »demokratisieren«. Das ist eben kein Widerspruch! Wie der einstige amerikanische Botschafter in Italien, Richard Gardner, im April 1974 in der CFR‑Zeitschrift Foreign Relations schrieb: »[ ... ] das Haus der Weltordnung muß von unten nach oben gebaut werden und nicht von oben nach unten. Ein Endspurt um die nationale Souveränität, bei dem sie Stück für Stück abgetragen wird, wird sehr viel mehr zustande bringen als der altmodische Frontalangriff.«

 

Das ethnopluralistische Ordnungsprinzip widerspricht übrigens keineswegs der Haltung der Neuen Rechten (und in gewisser Weise auch der Linken) gegenüber der Fremdarbeiter‑ und Ausländerfrage, die als moderner Sklavenhandel mit ihren Vaterländern entfremdeten Menschen zugunsten durchsichtiger Wirtschaftsinteressen betrachtet wird, der das Nationalitätenprinzip untergräbt und die biologische und genetische Volkssubstanz bedroht: Hier verbirgt sich nicht mehr, sondern offenbart sich bereits deutlich, wie man nicht zuletzt in Frankreich und in der Bundesrepublik sieht, ein jederzeit sehr leicht manipulierbares und explosives Konfliktpotential, das im Bedarfsfall zur ordnungspolitischen Chaotisierung der jeweiligen Staaten und Gesellschaften zur Verfügung steht.

 

Mochten befreiungsnationalistische Theorien, die ja, wie deutlich wurde, nicht nur auf der »rechten« Seite zu finden waren, angesichts der angeblich »realpolitischen Verhältnisse« vor Jahren noch als rückwärtsgewandte Defensiv‑Gefechte zu belächeln gewesen sein, so haben sie sich nun mit den Umbrüchen in Osteuropa von allein in die Selbstbestätigung und in die Offensive katapultiert.

 

Quelle: "Das schwarze Reich"  von  E. R. Carmin, Heyne, 5. Auflage, München 2000, S. 547 f