Nationalmasochismus ade!
Es gärt im Untergrund - Schluß mit Nationalmasochismus: Matthias Matussek
ist unter die Deutschen gefallen
Daß einer etwas sagt, ist
manchmal wichtiger als das, was er sagt. Das gilt auch für Matthias Matussek,
Feuilletonchef des Spiegel und wichtiger Exponent der sogenannten 68er‑Generation,
von dem soeben das Buch "Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben
können" erschienen ist. Es hält eine Menge Dinge fest, die sich eigentlich
von selbst verstehen, die aber von den herrschenden politischen und
publizistischen Gewalten bisher geleugnet wurden bzw. mit einem Tabu belegt
sind. Matussek betätigt sich also als Großaufklärer in den eigenen Reihen.
Was will er aufklären,
richtigstellen, zur Sprache bringen? Nun, es geht ihm vor allem um die
Einsicht, daß die Deutschen ein ganz normales Volk unter anderen Völkern sind,
zudem ein besonders friedliches und eifrig Kultur stiftendes, dessen Angehörige
auf sich stolz sein können. Und weiter geht es ihm darum, den
"Riegel" aufzubrechen, den die 68er und starke auswärtige Kräfte um
die deutsche Geschichte gelegt haben, dergestalt, daß sie sie auf die zwölf
Jahre nationalsozialistischer Herrschaft von 1933 bis 1945 reduzierten und all
die Jahrhunderte davor und all die Jahrzehnte danach immer nur als Vor‑
bzw. Nach- und Aufarbeitungsgeschichte jener zwölf Jahre verstanden wissen
wollten.
Wie gesagt, pure Selbstverständlichkeiten
an sich, doch das Selbstverständliche gilt in unserem Land leider schon seit
langem als Staatsverbrechen, als "Leugnung", als
"Verharmlosung", als Ursünde und Angriff auf die heiligsten Güter.
Daß dergleichen jetzt ausgerechnet von einem prominenten Vertreter des
politisch‑medialen Komplexes betrieben wird, macht den Fall zu einer
brisanten Affäre, von ferne vergleichbar mit Martin Walsers legendärer
Paulskirchenrede von 1998. Man darf gespannt sein, wie das Establishment darauf
reagieren wird.
Im Falle Walsers, der
wortgewaltig das Ende des nationalen In‑Sack‑und-Asche-Gehens
forderte, gab es damals eine Art medialer Schrecksekunde, man spendete
(erleichterten oder verlegenen) Beifall, aber bald danach zogen sich die
.Wolken über dem Schriftsteller düster zusammen. Er wurde von taz bis FAZ als
"Brandstifter" und "Leugner", gar als "Krypto‑Nazi
mit antisemitischem Gefühlsstau" denunziert, seine öffentlichen Lesungen
wurden und werden seitdem von der "Antifa" systematisch gestört oder
gesprengt; wahrscheinlich nur seine große Prominenz bewahrte ihn vor noch
schärferen Sanktionen.
Wird es im Falle Matussek
ähnlich kommen? Sein Buch ist, im Vergleich zu Walsers Rede, etwas schwammig,
es weicht notwendigen Auseinandersetzungen über Kernfragen aus und taucht die
ganze Sache in eine Soße aus augenzwinkernder Ironie und versöhnlichem
Feuilleton‑Humor. Dennoch, die Botschaft ist der Walserschen gleich und
unüberhörbar, sie lautet: Macht endlich Schluß mit dem schwachsinnigen
Nationalmasochismus! Hört endlich auf, euch wie Sklaven oder resozialisierte
Schwerverbrecher zu benehmen! Besinnt euch endlich wieder auf euer großartiges
kulturelles Erbe und schneidet euch nicht die eigenen Wurzeln ab!
Matussek hat vor seiner
Berufung auf den Chefposten im Spiegel‑Feuilleton jahrelang als
Auslandskorrespondent des Magazins in Amerika, Brasilien und England gelebt und
bringt seine auswärtigen Erfahrungen voll in sein neues Buch ein. Er weiß,
wovon er spricht, wenn er etwa die übliche Anti‑Deutschen‑Hetze in
den britischen Medien und in der britischen Upperclass in ihrer vollen
Dümmlichkeit aufleuchten läßt oder wenn er die spontane Sympathie würdigt, die
die Brasilianer dem alten (und ‑ in Maßen ‑ dem neuen) Deutschland
entgegenbringen. Und er zögert nicht, daraus seine Schlußfolgerungen zu ziehen.
Völker sind wie einzelne
Menschen, zeigt er, sie haben ihre Macken, ihre Vorurteile und dunkle Flecken
in ihrer Geschichte, aber keines ist verflucht, zuallerletzt im eigenen
Selbstverständnis. Rein aus Selbsterhaltung pflegt und verinnerlicht jedes Volk
positive Erinnerungen, freut sich an der Kontinuität des Ansehnlichen und
Gelungenen und bildet daraus seine Traditionen, so gut es gehen mag.
Traditionen des Selbsthasses und der Selbstzerstörung gibt es nicht. Sie
führen, sofern man sie zu installieren versucht, notwendig zur Kulturlosigkeit,
zur Auflösung und schließlich zum Untergang. Natürlich gilt das auch für das
deutsche Volk.
Wenn solche Erkenntnisse seit
jüngstem auch in Kreisen Raum finden, in denen sich Matussek üblicherweise
bewegt, ist das ein gutes Zeichen. Viele Dinge sind zur Zeit im Fluß. Zwar hat
die Regierung Merkel den offiziellen Zug zur negativen
"Traditionsbildung" noch einmal kräftig verstärkt, lebt von der
nationalen Hand in den masochistischen Mund, agiert als ein völlig seins- und
geschichtsvergessener Landsknechtshaufen. Doch im geistigen Untergrund gärt es.
Trendforscher halten den feuchten Finger in den Wind und registrieren
unerwartete Richtungswechsel. Die Trias "Multikulti‑Homoehe‑Materialismus"
ist "out", registrieren sie, "Gott ‑ Familie ‑
Vaterland" sind wieder "im Kommen". Die "Restauration"
marschiert.
Medienfürsten auf gleicher
Augenhöhe mit Matussek fragen sich besorgt: Ist das Buch "Wir
Deutschen" nur eine Schwalbe, die bekanntlich noch keinen Sommer macht,
oder ist es ein echter Trendsetter, ein bandwagon,
auf den man zur rechten Zeit draufspringen muß, um an Bord zu bleiben?
Matussek selbst scheint kein bloßer Konjunkturritter zu sein, scheint es ernst
zu meinen. Aber er hat noch manche Eierschalen um die Ohren. So glaubt er (und
schreibt es sogar), daß die Kanzlerin Merkel ein wahrer
"Hoffnungsträger" und mit ihr die Nachkriegszeit und damit die Epoche
des Nationalmasochismus endgültig zu Ende sei. Naives Gemüt!
Immerhin versichert er mit
liebenswerter Bonhomie, daß er immer mehr Möglichkeiten entdecke, als Deutscher
stolz zu sein. "Ich bin immer öfter stolz darauf, Deutscher zu sein."
Schön und gut, indes, zum Stolz auf etwas oder jemanden gehört unabdingbar
dazu, daß man letztlich unzufrieden mit dem Objekt seines Stolzes ist und auf Änderung,
Verbesserung sinnt. Sogar im Zustand der Trunkenheit weiß man das. Als bei
Goethe Faust (und Mephisto) Auerbachs Keller betreten, konstatiert einer der dort
bechernden Studenten ehrfürchtig: "Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
/ Sie sehen stolz und unzufrieden aus". Edles Haus bedingt
Unzufriedenheit.
Quelle: GÜNTER ZEHM in JUNGE FREIHEIT vom 2.6.2006
Matthias Matussek: Wir
Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können. S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2006, gebunden, 352 Seiten, 18,90 Euro