"Recht auf die Heimat" und "Heimatrecht"

 

In der Sudetendeutschen Zeitung, Jahrgang 56, Folge 11 d. d. 12. März 2004 ist ein Beitrag von Herrn Josef Weikert unter dem Titel Polemik gegen das "Heimatrecht" abgedruckt worden. In diesem Beitrag wurde die in Prag erscheinende deutschsprachige "Landeszeitung" von der tschechischen Zeitung "Národni Osvobozeni" anläßlich der Berichterstattung in der "Landeszeitung" über ein deutsch-­österreichisch‑tschechisches Seminar, das im September 2003 in Oberplan stattgefunden hatte, scharf angegriffen. Professor Fritz Peter Habel wurde von dem tschechischen Historiker Professor Jaroslav Valenta bezichtigt, "die Uninformiertheit der Leser zu benutzen" und weiter "in unzulässig irreführender Weise mit der Bezeichnung Heimatrecht zu jonglieren". Leider geht aus dem Bericht in der Sudetendeutschen Zeitung nicht hervor, in welcher Weise in Oberplan die Rechtsbegriffe "Heimatrecht" und "Recht auf die Heimat" verwendet und interpretiert worden sind.


 

Mir liegt auch nicht der in der "Landeszeitung" veröffentlichte Text über dieses Seminar vor. Daß es sich bei dem Angriff der tschechischen Zeitung "Národni Osvobozeni" jedoch um eine Kampfansage handelt, ist aus dem weiteren Inhalt des Berichts in der erwähnten Ausgabe der Sudetendeutschen Zeitung klar ersichtlich geworden. Dort heißt es nämlich:

 

"Es ist gut bekannt, daß die SL ständig irgend ein Recht auf Heimat verkündet ... es ist nur eine beliebige agitatorische Erfindung, ein Reklameslogan, bis zum Verdruß offensichtlich wiederholt in dem unerschütterlichen Glauben, daß eine hundertmal vorgebrachte Lüge zur Wahrheit wird."

 

Dazu sei folgendes gesagt:


 

Die SL hat sich ‑ wie alle anderen Landsmannschaften der vertriebenen Deutschen ‑ unter der Ägide des Bundes der Vertriebenen in verdienstvoller Weise jahrzehntelang für die Anerkennung des Rechts eines jeden Menschen auf die, d. h. auf seine Heimat eingesetzt. Dieses "Recht auf die Heimat" ist ‑ historisch bedingt ‑ strikt vom altbekannten "Heimatrecht" zu unterscheiden. Dieser Unterschied zwischen den beiden Rechtsbegriffen ist von den deutschen Vertriebenenverbänden bis vor einigen Jahren auch immer gemacht worden. Seitdem aber ist dies leider nicht mehr der Fall. In Kreisen der deutschen Vertriebenenverbände wird "Heimatrecht" jetzt auch verwendet für die Rechtsnorm, die im Rechtsbegriff "Recht auf die Heimat" enthalten ist. Das ist eine Entwicklung, die sehr zu bedauern ist und der m. E. entschieden entgegengetreten werden muß. Es ist besorgniserregend, daß, gerade auch in führenden Kreisen der Vertriebenenverbände, die Rechtsbegriffe "Heimatrecht" und "Recht auf die Heimat" als identisch betrachtet werden. Diese Gleichsetzung beider Rechtsbegriffe ist grundsätzlich falsch. Aus diesem Grunde ist es daher auch zutiefst bedauerlich, daß Herr Dr. Alfred de Zayas seinem jüngsten, ansonsten verdienstvollen Buch den Titel "Heimatrecht ist Menschenrecht" gegeben hat. Es ist für mich unbegreiflich, daß von seiten der Vertriebenenverbände an dem irreführenden Titel des besagten Buches und den in diesem Buch zum Teil enthaltenen unhaltbaren Thesen keine Kritik geübt worden ist. In diesem Buch kommt der Verfasser, Herr Dr. Alfred de Zayas, nämlich zu der Schlußfolgerung, daß die in den deutschen Vertreibungsgebieten ansässig gewordenen Polen und was die sudetendeutschen Gebiete betrifft, wird für die Tschechen, die sich dort nach 1945 niedergelassen haben, wohl dasselbe gelten ‑ dort "Heimatrecht" erworben haben, und daß somit die Rechte der deutschen Heimatvertriebenen, die sie auf Grund des Rechts auf die Heimat für sich in Anspruch nehmen können, mit den Rechten, die die Polen und Tschechen auf Grund des ihnen ‑ vermeintlich zustehenden "Heimatrechts" geltend machen können, aufeinander prallen.

 

"Heimatrecht" ist ein Grundrecht


 

Festzuhalten ist, daß weder aus rechtsgeschichtlicher Sicht, noch inhaltlich betrachtet, die Rechtsbegriffe "Heimatrecht" und "Recht auf die Heimat" nicht identisch sind. Beim Heimatrecht handelt es sich um ein Grundrecht, das den im 19. Jahrhundert vertretenen Ansichten über die damals empfundene soziale Verantwortlichkeit der Gemeinschaft den armen und gebrechlichen alten Menschen gegenüber entsprach. Ein solches Heimatrecht gab es im alten Österreich, im Deutschen Reich und dieses Recht gibt es noch heute in der Schweiz. Durch das Gesetz über die Regelung der Heimatverhältnisse vom 3. Dezember 1863 wurde das Heimatrecht in Österreich neu geregelt. Infolge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde das Gesetz über das Heimatrecht in Österreich am 30. Juni 1939 aufgehoben und ist nach 1945 nicht wieder in Kraft gesetzt worden. Im Deutschen Reich hatte ‑ mit Ausnahme von Bayern, wo das Gesetz erst im Jahre 1903 verbindlich wurde, das Heimatrecht im alten Sinne nach der Reichsgründung seine Existenzberechtigung durch das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870, abgeändert am 12. März 1894 und am 30. Mai 1908, verloren. In der Schweiz bildet die Heimat die Grundlage für die Staatsangehörigkeit und das Heimatrecht steht dort mit dem Gemeindebürgerrecht in Verbindung.

 

Das Recht auf die Heimat dagegen beinhaltet eine Rechtsmaterie, die erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden ist. Anlaß für diese Entwicklung war die Vertreibung von Millionen von Menschen aus ihrer angestammten Heimat, wie diese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa stattgefunden hat. Die unmittelbaren mitteleuropäischen Vertreiberstaaten haben sich von Anfang an auf das Heftigste gegen die im Recht auf die Heimat enthaltene Rechtsnorm zur Wehr gesetzt. Sie haben sich bei ihrem Widerstand unterschiedlichster Argumente bedient, die sich sowohl aus rechtlichen Gründen als auch aus moralischen Überlegungen heraus allesamt leicht widerlegen lassen und somit unhaltbar sind. Zweifelsohne ist dieser Widerstand der Vertreiberstaaten daraus zu erklären, daß die Regierungen dieser Staaten sich immer der Tatsache bewußt gewesen sind, daß es sich bei der von ihnen angeordneten Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung aus ihrer angestammten, auf reichsdeutschem Gebiet gelegenen Heimat um ein Verbrechen handelt, das ebenso verurteilt werden muß als jene Vertreibungen bzw. Deportationen, die während des Zweiten Weltkrieges von deutscher Seite in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Feindgebieten angeordnet und durchgeführt worden sind. Im westlichen Ausland (aus deutscher Sicht betrachtet), ist der nach 1945 erfolgten Vertreibung von Millionen von Deutschen aus den östlichen Gebieten des Reiches sehr bewußt zugestimmt oder ist diese Vertreibung doch zumindest gebilligt worden. Demzufolge stieß die von den deutschen Vertriebenenverbänden ergriffene Initiative zur Ausarbeitung einer Rechtsnorm, daß der Mensch nicht aus seiner angestammten Heimat vertrieben werden darf ‑ eben das Recht auf die Heimat ‑ auch im westlichen Ausland jahrzehntelang auf Unverständnis oder gar Ablehnung.

 

Als Menschenrecht anerkannt und in den Katalog der Menschenrechte aufgenommen


 

Als im Laufe der Zeit durch den Verlust ihrer Heimat infolge Flucht und Vertreibung die Entwurzelung von Menschen einen immer größeren Umfang annahm und zu einem weltweiten Problem wurde, hat sich aber gezeigt, daß eine Rechtsnorm, die das Recht auf die Heimat beinhaltet, nicht nur ihre Existenzberechtigung hat, sondern auch, daß die Anerkennung und Durchsetzung eines solchen Rechts auch dringend geboten ist. In einigen konkreten Fällen ist das Recht des Menschen auf unbehelligten Verbleib in seiner Heimat inzwischen anerkannt worden. Man kann sogar sagen, daß die im Recht auf die Heimat enthaltene Rechtsnorm inzwischen als sogenanntes Menschenrecht anerkannt worden und in den Katalog der Menschenrechte aufgenommen worden ist. Nur muß leider immer wieder festgestellt werden, daß Menschenrechte ‑ und auch Grundrechte aus Gründen politischer Opportunität oft verletzt und mißachtet werden. Davon wissen die deutschen Heimatvertriebenen ein Lied zu singen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert warten sie vergebens darauf, daß ihnen Gerechtigkeit widerfährt, und daß das ihnen von seiten der Vertreiberstaaten zugefügte Unrecht wiedergutgemacht wird. Daß eine Wiedergutmachung dieses Unrechts bis jetzt nicht stattgefunden hat, ist nicht nur der Weigerung der unmittelbaren und mittelbaren Vertreiberstaaten, sondern auch dem der Regierung der BRD völlig abhanden gekommenen Gerechtigkeitsempfinden zuzuschreiben. Daß inzwischen auch führende Kreise der Vertriebenenverbände sich von der im Recht auf die Heimat enthaltenen Rechtsnorm distanzieren, zwischen den Rechtsbegriffen "Recht auf die Heimat" und "Heimatrecht" nicht mehr zu unterscheiden vermögen und beide Rechtsbegriffe als identisch betrachten, ist nicht nur eine enttäuschende Erfahrung, sondern auch als eine besorgniserregende Entwicklung zu betrachten. Wo sollen die deutschen Heimatvertriebenen, die ohne wenn und aber ein Recht auf Wiedergutmachung des an ihnen verübten Unrechts haben, jetzt noch Schutz suchen und Unterstützung finden? Eine Besinnung auf diese Frage ist dringend geboten, eine Antwort auf sie muß gefunden werden!

 

Dr. F. H. E. W. du Buy

Mozartlaan 107

7522 HL Enschede

Niederlande

 

Quelle: DER SCHLESIER vom 9.4.2004