Heimat ist kein altmodischer Begriff
Es entspricht einer guten
Tradition, sich am 1. Sonntag im Oktober am Ulrichsberg einzufinden, um in
einer wunderschönen und romantischen Umgebung ein Gedenken an eine Zeit
vorzunehmen, die von jenen, die sie miterlebt haben, viel abgefordert hat. Die
aber vor allem aus Dankbarkeit für die Möglichkeit, wieder aus dem Kriege
heimkehren zu dürfen, dazu geführt hat, daß gerade diese Generation sich bemüht
hat, aktiv und konsequent, am Frieden in Europa zu arbeiten. Daher ist der
Ulrichsberg heute eine Begegnungsstätte, an der sich auch Menschen, die
einstmals als Feinde einander gegenüber gestanden sind, als Freunde begegnen
und die Hand reichen. Daher ist der Ulrichsberg eine Begegnungsstätte, die es
nicht verdient, von einigen, denen eine Lektion in Geschichte erteilt werden
müßte, ständig durch den Schmutz gezogen zu werden, denn es gibt nur wenige
Beispiele dieser Art, wo Feinde von einst zu Freunden von heute
werden, um ein sicheres und friedliches Europa gemeinsam
aufzubauen. ( ... )
Natürlich gibt es immer wieder
Polemiken verschiedenster Art durch die Repräsentanten des sogenannten
Zeitgeistes, die diesen Ulrichsberg und die Gemeinschaft jener Menschen, die
hier zusammenkommt, nicht wahrhaben wollen, weil er nicht in ihr Denken, aber auch
nicht in ihr Gefühlsleben paßt. Das sind jene Repräsentanten eines zum Teil
sehr absonderlichen Zeitgeistes, die den Kollektivschuldgedanken predigen,
soldatischen Opfermut verdammen, die Jugend gegen die Elterngeneration
aufhetzen, Kriegerdenkmäler beseitigen wollen und die Demokratie nur dort
akzeptieren, wo es nach ihrem Willen geht, aber sonst nichts. Das ist nicht
unser Selbstverständnis von geistiger Freiheit und einem friedlichen
Miteinander in einem größer gewordenen Europa. Deshalb sag ich hier, auch als
Landeshauptmann von Kärnten: Wir sind sehr stolz daß dieser Ulrichsberg in
Kärnten steht, denn es ist ein Zeichen der Demokratie, daß diese Feier in einem
Land stattfindet, in dem es weder Denkverbote noch Gesinnungspolizisten in der einen
oder anderen Richtung gibt. Daß dieser Ulrichsberg auch ein Zeichen der
politischen Kultur ist, denn darin wird letztlich auch der tiefe Respekt vor
den Opfern der Kriegsgeneration und das ehrwürdige Denken an die Gefallenen zum
Ausdruck gebracht. Und wir tun dies hier sehr bewußt am Ulrichsberg, auch vor
den Augen der internationalen Öffentlichkeit, und über Pressebeobachtung können
wir uns wahrlich hier nicht beklagen, weil wir bekennen wollen, es kann nicht
so sein, daß die Geschichte unserer Eltern und Großeltern aufgrund
absonderlicher Kommentierungen zu einem einzigen Verbrecheralbum gemacht wird
und ihre Leistungen vor der Geschichte mit Füßen getreten werden.
Kriegsgeneration hat schwere Zeiten erlebt
Es ist dieser Ulrichsberg auch
ein Zeichen des Mutes jener, die ihn durch Jahrzehnte aufrechterhalten haben,
weil sie zum Ausdruck bringen, daß sie trotz der Verteufelung, trotz der
Diffamierungsversuche diesen Gedanken hochgehalten haben und durch die
veröffentlichte Meinung nicht in die Knie gegangen sind. Denn die Menschen, die
hier zum Ulrichsberg kommen, sind nicht jene, als die sie oftmals diffamiert
werden. Es sind nicht die Altnazis, es sind nicht die Neunazis, es sind nicht
die Verbrecher, sondern es sind gute Bürger, die als Zeitzeugen eine schwere
Zeit durchlebt haben, die den Krieg nicht nur erlebt, sondern auch erlitten
haben, die als junge Generation ihre Jugend geopfert haben und die trotzdem
ohne Resignation nach Ende des Krieges, wie es Rudolf Gallob richtig gesagt
hat, an eine großartige Aufbauarbeit überall in Europa gegangen sind. ( ... )
Unsere Bevölkerung weiß es zu
schätzen , daß auch die Tradition der Kriegsgeneration und das stille Gedenken
an die großen Opfer und Entbehrungen einen Platz im Leben eines Volkes haben
muß. Die Angriffe, die da immer wieder kommen, sind letztlich an den Prinzipien
des Rechtsstaates, aber auch an der Redlichkeit der vorgetragenen Argumente der
Ulrichsberger abgebeugt. ( ... ).
Deshalb ist das
Bewundernswerte an dieser Generation, daß sie trotz enttäuschter Hoffnung,
trotz mißbrauchtem Idealismus und trotz Verachtung bei der Heimkehr aus dem
Krieg aus diesen Trümmern wieder ein schönes Land aufgebaut hat. Besonders
bewundernswert ist es, daß sie dieser Demokratie eine so feste Grundlage gegeben
haben, die die Basis für eine friedliche Entwicklung sein kann. In der Generation
derer, die am Krieg teilgenommen haben, hat die Lehre aus dem totalitären
Jahrhundert, das zu Ende gegangen ist, gezogen. Die ältere Generation hat die
Lektion gründlich gelernt, und uns jüngeren Nachgeborenen bleibt eine
Gedächtnislast, die wir zu tragen haben aus den Ereignissen des 20.
Jahrhunderts. Eine Gedächtnislast, die uns aufgibt, Verantwortung für den
Frieden, aber auch Verantwortung für soziale Gerechtigkeit zu tragen, um
Konflikte von vornherein auszuschließen und letztlich auch Verantwortung für
das eigene Volk zu übernehmen und aus diesem Selbstverständnis heraus auch
Respekt und Anerkennung gegenüber ethnischen Minderheiten zu beobachten.
Der Ulrichsberg ist im
wahrsten Sinne des Wortes ein menschliches und humanes Anliegen. Eben deshalb,
weil sie den Krieg kennengelernt haben, achten sie und arbeiten sie für den
Frieden. Weil sie die Heimat verloren haben, arbeiten sie daran, daß es keine
ethnische Vertreibung in Europa mehr geben kann. Und weil sie ideologischen Haß
und Verblendung erlebt haben, die Europa in den Abgrund gestürzt hat, sind sie für
Gedankenfreiheit und Demokratie in einem Europa der Bürger und der
Vaterländer.
Aber dieser Friede, für den
diese Generation steht, braucht auch Wahrheit. Er braucht eine Wahrheit, die
manchen vielleicht nicht schmeckt, die aber unverzichtbar ist. Es ist die
Wahrheit um die tatsächliche Haltung und Geschichte der Generation, die diesen
Krieg erlebt hat. Deshalb ist es richtig, die Verleumdungen, wie sie durch die
Wehrmachtsausstellungen passiert sind, nicht nur zurückzuweisen, sondern auch
von jenen hohen politischen Würdenträgern, die als Ehrenschützer aufgetreten
sind, um unsere Jugend mit gefälschten Bildern zu manipulieren, mit Recht zu
verlangen, daß diese politischen Würdenträger jetzt den Mut und die
Selbstachtung haben, sich dafür zu entschuldigen, was sie an historischer
Unwahrheit in die Öffentlichkeit gesetzt haben.
Friede braucht auch Wahrheit,
und Wahrheit heißt, daß wir auch erkennen müssen, daß hierzulande manche politische
Würdenträger weniger Mut und Zivilcourage an den Tag legen, als etwa der
verstorbene Staatspräsident Mitterrand, der in der Beurteilung der Angehörigen
der Wehrmacht wesentlich respektvoller und anständiger vorgegangen ist. Weil er
sie als Männer bezeichnet hat, die nach ihrem Charakter zu beurteilen sind, und
nicht danach, welchen Rock sie als Soldaten getragen haben. Friede braucht auch
Wahrheit, in der Hinsicht, daß wir sicherlich auch im heutigen Europa und hier
in Österreich daran arbeiten, die Folgen dieser fürchterlichen Katastrophe des
20. Jahrhunderts zu beseitigen und abzuarbeiten. Und wenn hierzulande, mit
Recht, möchte ich sagen, auch die Frage der Zwangsarbeiter während des Krieges in
Österreich einer positiven Lösung zugeführt wird, dann ist es aber auch genauso
zu verlangen, daß mit demselben Recht den Spätheimkehrern ein Augenmerk zugewendet
wird, die ihre besten Jahre in Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit verbringen
mußten.
Friede bedeutet aber auch, daß
er ohne Europa nicht möglich sein wird. In einem Europa, das nicht eines der
Bürokraten in Brüssel, sondern ein Europa der Bürger ist, ein Europa, das von
den Völkern getragen wird und nicht durch eine selbsternannte Avantgarde
führender Mächte dirigiert wird. Europa wird mir dann den Frieden beobachten
können, wenn es ein Europa der Menschlichkeit ist, in dem nicht Sanktionen
gegen gute Demokraten ergriffen werden und rote Teppiche für Kriegsverbrecher
aufgerollt werden, sondern die Menschenrechte ungeschmälert Geltung haben. Ein
Europa wird nur dann den Frieden besichern können, wenn es ein Europa der
Gerechtigkeit ist, in dem Gerechtigkeit so funktioniert, daß nicht Ausgrenzung
unbequemer Demokraten passiert, während man Verständnis für die sogenannten
Pflichtverteidiger von Völkermord und ethnischer Vertreibung nach wie vor
aufzubringen in der Lage ist. Solange es die Beneschdekrete gibt, muß Europa
deren Abschaffung einfordern, wenn es nicht unglaubwürdig in der Verteidigung
der Menschenrechte sein will. Vertreibung kann und darf sich in diesem Europa nicht
mehr wiederholen.
Tugendterrorismus kann nicht akzeptiert werden
Wenn Europa eine
Wertegemeinschaft sein will, dann müssen die Menschenrechte universell gelten.
Dann muß die Meinungsfreiheit garantiert sein, aber dann muß es auch ein Europa
sein, das die kulturelle Vielfalt ernst nimmt. Nicht eine Wertegemeinschaft,
die beliebig durch die Schar der Tugendterroristen der politisch korrekten
Gesellschaft definiert, welche Werte gerade im Moment Geltung haben, und dann
auf jeden mit der Faschismuskeule vorgeht, der nicht ihrer Meinung ist.
Freiheit ist auch Gedankenfreiheit, aber niemals Narrenfreiheit für extreme
Linke und Denkverbote für konservative Rechte. Hier muß es Gleichheit geben.
Ich sag' das deshalb auch,
weil ja in der letzten Zeit im Zusammenhang mit den Sanktionen gegenüber
Österreich sehr viele eigenartige Argumente auf der Tagesordnung gewesen sind,
warum diese Sanktionen zu ergreifen sind. Denken wir nur daran, daß die
Tugendterroristen nicht wahrhaben wollen, daß unter einer Links‑Regierung
in Deutschland Asylantenheime brennen und nicht unter einer Mitte‑Rechts-Regierung
in Österreich. Denken wir daran, daß unter einer Linksregierung in Schweden
Neonazis marschieren und nicht unter einer Mitte‑Rechts‑Koalition
in Österreich. Und denken wir daran, daß unter einer Links‑Regierung in
Deutschland ehemalige Sympathisanten von Terrororganisationen zu höchsten
Staatsämtern aufsteigen konnten und nicht in einer Mitte‑Rechts‑Koalition
in Österreich. Und denken wir daran, daß es in Frankreich eine Links‑Regierung
gibt, deren Partner noch immer nicht den Greueltaten des Stalinismus abgeschworen
haben und trotzdem als gute Demokraten in Europas Büchern geführt werden.
Diese Art des
Tugendterrorismus kann nicht akzeptiert werden, wenn Europa friedlich und frei
sein soll, denn ein freies Europa hat immer auch Gedankenfreiheit garantiert.
So wie es der Schriftsteller Martin Walser richtigerweise gesagt hat: Der
Tugendterror der politisch Korrekten in unserer Zeit macht freie
Meinungsäußerung manchmal zu einem halsbrecherischen Risiko. Uni diesem
halsbrecherischen Risiko zu entgehen, kann es für uns keine andere Alternative
geben, als an der Festigung und an dem Ausbau der Demokratie in diesem Europa
zu arbeiten.
Demokratie setzt freie Bürger
voraus, die entscheiden dürfen, wie ihre Zukunft gestaltet werden soll. Die
entscheiden dürfen über Euro, Osterweiterung, aber auch über die Grundrechte,
die jetzt in Europa geschaffen werden sollen. Grundrechte haben nur dann einen
Sinn, wenn sie nicht zurückfallen hinter dem, was wir an Grund‑ und
Freiheitsrechten in unseren Nationalstaaten bereits garantiert erhalten haben.
Diese Demokratie in Europa braucht aber auch ein lebendiges Bekenntnis zur
kulturellen und sprachlichen Vielfalt seiner Völker und Volkstümer. Aber auch
ein klares Nein zu einem multikulturellen Einheitsbrei, die anderenseits im
Grunde genommen zur Kulturlosigkeit geführt hat. Und ein demokratisch festes
Europa braucht auch lebendiges Bekenntnis der Menschen zu ihren Heimaten.
Heimat ist kein altmodische Begriff. Heimat verdient es auch nicht, verdächtig
gemacht zu werden. Weil Heimat nicht provinziell ist, sondern letztlich jener
sichere Hafen, in dem die Menschen nicht nur materiell Erfüllung finden können,
sondern auch seelisch ihre Geborgenheit haben. ( ... )
Darüber sollte jene "Clique
pseudointelektueller Besserwisser" einmal nachdenken, ob es nicht besser
wäre, zu erkennen, daß man den Geist der Ulrichsberger nicht beseitigen kann
und daß man ein Volk nicht manipulieren kann, ihm das Heimatbewußtsein austreiben
kann, und schon gar nicht von jenen Kräften, die uns vor ein paar Jahren noch
einreden wollten, daß die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland ein Segen der
Politik sei, daß die Wiedervereinigung eine Lebenslüge der Deutschen sei, und
die uns einreden wollten, in der richtigen politischen Gesellschaft zu sein,
wenn sie sich mit Politikern umgeben, die nachweisbar vom KGB mit Geld
bestochen sind, und wenn sie schweigen zu jener neuen europäischen Charta, die
in diesen Stunden verabschiedet werden soll, wo nicht einmal elementare
Minderheitenrechte verankert sind, und wenn sie glauben, uns einreden zu
müssen, man könne ein größeres Europa auch Richtung Osten entwickeln, in dem
das Volk kein Mitspracherecht haben soll. Das ist nicht die Welt von uns. Das
ist geistiger Flugsand, der auch den Überzeugungen jener, die sich am
Ulrichsberg einfinden, nichts anhaben kann.
Vor der Geschichte wird nur
Wahrheit Bestand haben können, und daher sind wir gut beraten, uns darum zu
bemühen, dieses Vermächtnis des Ulrichsberges nicht nur rückwärtsgewandt, als
dankbare Geste für die Heimkehrer zur sehen, sondern auch den jungen Menschen
zu sagen: Dieser Wohlstand, den wir heute genießen, und dieser Frieden, den wir
heute haben, ist nicht selbstverständlich und automatisch gesichert. Diese
Zukunft eines freien und demokratischen Europas wird nur dann möglich sein,
wenn es auch gelingt, der jungen Generation nicht nur Rechte, sondern auch die
Überzeugung, Verpflichtungen der Gemeinschaft zu übertragen und der Jugend
klarzumachen, daß jenes Gemeinschaftsleben nur so wertvoll ist, als es Tugenden
gibt, die man auch beachtet. Tugenden, die zu einem gerechten Freiheitsgebrauch
führen, wo die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des anderen beginnt,
wo die Toleranz zum Prinzip der Gesellschaft wird und wo die Menschlichkeit
eine tragende Säule für das Miteinander auch über Grenzen hinweg, die wir
wechselseitig respektieren, ist.
Wer den Ulrichsberg so
versteht, versteht ihn als ein Vermächtnis für ein friedliches, für ein freies
Europa von Menschen, die sich nicht manipulieren lassen, sondern die als
kritische Bürger Hand anlegen wollen, daß das, was das 20. Jahrhundert an Verwüstungen
in diesem wunderschönen Europa gebracht hat, sich nie mehr ereignen darf und sich
nie mehr ereignen wird, weil die Kraft und die Überzeugung jener, die auf der
Seite der Freiheit und des Frieden stehen, größer sind als die jener, die
Ideologien, Haß und Fanatismus noch immer nicht abgelegt haben.
Jörg Haiders Rede auf dem Ulrichsberg anläßlich des Totengedenkens an die
Opfer und Gefallenen der beiden Weltkriege
Jörg Haider ist
Landeshauptmann (Ministerpräsident) von Kärnten. Bis Anfang Mai 2000 war er
Vorsitzender der Freiheitlicher Partei Österreichs (FPÖ).
Quelle: JUNGE FREIHEIT vom 24. November 2000