Bürgermeister Hans Püschel (SPD)

 

Ein Bürgermeister und lang­jähriges SPD-Mitglied aus Krauschwitz, einem kleinen Ort im Burgenlandkreis, macht sich Gedanken zu bewegenden ge­sellschaftlichen und politischen Problemen, besucht den NPD-Parteitag und formuliert seine Be­obachtungen in einem Leserbrief an die „Mitteldeutsche Zeitung“. Diese verweigert erwartungsge­mäß die Veröffentlichung. (...) Wir sind uns sicher, daß dieser Bürgermeister nicht der einzige ist und daß auch an der Basis der sogenannten „gro­ßen Volksparteien“ ein Umden­ken begonnen hat.

 

 

„Spricht es für Demokratie, Welt­offenheit und Toleranz, wenn von allen öffentlichen Seiten auf eine unliebsame politische Gruppierung eingeschlagen wird? Da mir derartige Erscheinungen bereits vor 1990 nicht gefielen und ich mich dann automatisch mehr auf die Seite der Geschlagenen als der Schläger stelle, war es mir ein Bedürfnis, der Sache auf den Grund zu gehen und mich selbst zu überzeugen, was an den all­seits Verteufelten so dran ist. Ich hab mich also am letzten Sam­stag in die Höhle des Löwen, ins Bürgerhaus nach Hohenmölsen begeben.

Da es leicht regnete, konnte ich unauffällig einen Schirm mitneh­men für den Fall, etwas Stabiles in der Hand haben zu müssen. Der Eingang war nicht passierbar mit dem Vermerk, die linken Demon­stranten hätten die Eingangstür beschädigt. Über Nebeneingang und den Weg einer fünf Euro teuren Besucherkarte wurde ich eingelassen, hab an der Garde­robe Mantel und „Bewaffnung“ abgelegt und mich in den ziemlich vollen Saal gedrängt. Zu mei­nem Erstaunen war der angefüllt mit Menschen, wie man sie an je­dem anderen Ort auch begegnen kann. Viele junge Leute, Frauen, sogar Kinder. Ich war fast etwas enttäuscht: Beinahe wie auf ei­nem SPD-Parteitag! Keine Sprin­gerstiefel, keine Schlägertypen. Und in den folgenden rund ein­einhalb Stunden hab ich in den (allerdings manchmal zu lauten) Redebeiträgen kaum einen Satz gefunden, den ich nicht selbst hätte unterschreiben können! Diese Leute suchen offensicht­lich auch nur nach Wegen, um Deutschland aus seiner kranken Situation herauszuführen.

Daß Deutschland schwer krank ist in seiner Bevölkerungsent­wicklung bestreitet wohl ernsthaft niemand mehr und nach der Diskussion mit Franz Müntefering letzte Woche in Weißenfels zum Thema blieb bei mir auch nur die Gewißheit, daß selbst die „quali­fizierte“ Einwanderung nur eine Krücke für’s kranke Deutschland sein kann, aber keine Rettung vorm Rollstuhl oder Pflegebett bringt. Diese „rechten“ Leute sagen das allerdings sehr direkt und ungeschönt. Mehr Kinder braucht das Land und mehr Familienfreundlichkeit mit allen not­wendigen Voraussetzungen! Da sind Leiharbeit, Niedriglohn, be­fristete Beschäftigung natürlich Gift. Übrigens wurde das unter „meiner“ SPD-Regierung einge­führt bzw. verstärkt! Aber gesun­de Familien und Kinder gibt es nur in gesunden Verhältnissen. Wer in der Reihe derer, die das bunte Band durch Hohenmölsen anführten, hat selbst schon ein­mal unter solchen Bedingungen gelebt?

Unter Ministerpräsident Böhmer wurde in Sachsen-Anhalt einge­führt, daß Kinder von Arbeitslo­sen nur noch fünf Stunden in den Kitas betreut werden. Gerade wohl diejenigen, die der stärk­sten Förderung bedürften! Wer von ihnen hat schon mal an eine Betteltür klopfen müssen, weil er von seiner Vollzeitarbeit nicht le­ben kann? Die NPD spricht von Ehestandsdarlehen mit Teilerlaß bei Kinderzuwachs. Dies hab ich noch von DDR-Zeiten in ange­nehmer Erinnerung und es hatte wohl trotz Pillenknick mit anderen Maßnahmen im Verbund auch für eine gute Geburtenentwicklung gesorgt. So verlasse ich diesen Parteitag mit ziemlich gemisch­ten Gefühlen.

Beim Gang zum Markt komme ich an einer Gruppe von Bereit­schaftspolizisten vorüber und frage sie, wo es ihnen besser gefällt: in Hohenmölsen bei der NPD, oder in Gorleben bei man­chen Chaoten? Na gut, antwor­ten darf nur der Pressesprecher, aber ihr fröhliches Grinsen ist Antwort genug! NPD und DVU - undemokratisch sind sie? Wenn ich die 20 Jahre meiner Tätigkeit als Bürgermeister und Kommu­nalpolitiker rekapituliere, dann muß ich feststellen, daß unsere Demokratie wohl mehr Bürokra­tie geworden ist, nur noch ein formaler Ablauf. Dies kann ich täglich feststellen, in den Dingen meines Dorfes wie in denen des Landes und der Republik. In je­dem Sachgebiet, mit dem ich mich befassen muß, merke ich, daß wohl das Volk am wenigsten regiert - schon eher die großen Finanz- und Wirtschaftsgruppen. Die Kleinen zahlen und die Gro­ßen kassieren selbst als Ver­sager noch! Das kann ich jeden Tag neu in der Mitteldeutschen Zeitung lesen.

Wir sprechen diese Dinge manchmal in den Talkrunden vorsichtig an, aber es ändert sich nichts Merkbares. Ein der NPD nahestehender Bürgermeister­kandidat erhält knapp ein Viertel der Wählerstimmen?! Wir ent­rüsten uns, wundern uns? Oder im Grunde nicht? Die steigende Zahl von Nicht-Wählern sagt uns ja, daß immer weniger Menschen den Parteien der Mitte die Lösung ihrer Probleme zutrauen. Kann man es ihnen verübeln? Ich den­ke, wenn die (nur noch formale) Demokratie die existentiellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren wollen.

Das können dann auf Dauer auch keine bunten Stoffketten verhin­dern. Dazu müssen wir zualler­erst ins Gespräch kommen, auch mit den Verteufelten. Scheinbar haben die gar nicht so schlechte Ideen. Zumindest wollen sie sich nicht mit dem Weg Deutschlands hin zum Altersheim abfinden - Ich auch nicht! Und ich hoffe, viele Andere ebenfalls nicht. Aber dazu bedarf es radikaler Änderungen, wenn es nicht zu spät sein soll, weit mehr als nur Rente mit 67 und erhöhter Einwanderung.

Ich hoffe, daß Sie es veröffentli­chen und sich eine derartige Dis­kussion trauen!

Hans Püschel - SPD Bürgermeister in Krauschwitz