Nationalrat Dr. Friedrich Wichtl

 

"Am Freitag fand im kaufmännischen Vereinshaus eine vom "Bürgerverein 1918" einberufene Versammlung statt, in der der Rektor der Universität, Doktor S c h u 11 e r, über "F r e i m a u r e r e i und Weltkrieg" sprach. Der Redner, der ein umfassendes Material vorlegte, fand an zahlreichen Stellen starken Widerspruch bei gewissen Anwesenden, da Stuhlmeister, Logenbrüder und Logenbeamte in stattlicher Anzahl erschienen waren. Nach dem Referenten ergriff der neue Grossredner der österreichischen Grossloge das Wort, der zur Verblüffung aller den Vortrag Dr. Schullers als ein Hohes Lied auf die Freimaurerei bezeichnete und sich in Lobeshymnen auf diesen erging. Er suchte hiebei die Freimaurerei, wie üblich, als eine rein ideale, geistige und humanitäre Vereinigung hinzustellen. Während nun die Zuhörer bereits zum Aufbruch sich bereit machten, lud der Vortragsleiter, Herr Sektionsrat Dr. Scheinpflug, im Namen des Präsidenten Grafen Czernin den anwesenden bisherigen Nationalrat Dr. Wichtl, den Verfasser des Buches "Weltfreimaurerei ‑ Weltrevolution - Weltrepublik", ein, von seinem Standpunkt aus die ganze Frage zu beleuchten. Dr. Wichtl legte nun das Wesen und die Endziele der heutigen Freimaurerei dar und seine flammenden Worte trafen die anwesenden "Maurerfürsten" an empfindlichen Stellen. Unter gespanntester Aufmerksamkeit behandelte der Redner den Thronfolgermord, der von Freimaurern. angestiftet, von Freimaurern bezahlt und von Freimaurern, die nebenbei auch Mitglieder der "Narodna Odbrana" waren, ausgeführt worden sei. Der serbische Major Tankosic sei Freimaurer gewesen und sei in Verbindung gestanden mit dem englischen Freimaurer‑Major Susley, der an der Spitze der sogenannten "Mordabteilung" in London stand. Der Eisenbahnbeamte Ciganovic, der den Mördern die Mordwaffen einhändigte, sei Freimaurer gewesen, ebenso der "Freimaurerfürst" Dr. Kazimirovic, der vor der Mordtat die Grosslogen von ganz Europa aufsuchte, um die nötigen Mittel aufzutreiben. Aber auch von den eigentlichen Mördern seien einige Freimaurer gewesen, so z. B. Cabrinovic, der sehr genau über die Freimaurer unterrichtet gewesen sei. Cabrinovic habe bekanntlich auch vor Gericht erklärt: "In der Freimaurerei ist es erlaubt zu töten." Bei dieser Stelle machten die anwesenden Freimaurer einige Zwischenrufe. Dr. Wichtl entgegnete, dass Cabrinovic Schriftsetzer von Beruf war und vor Gericht erklärt habe, dass er die Ordensregeln der Freimaurer selbst gesetzt habe. Weiter wies der Redner darauf hin, dass der Thronfolgermord vom Grand Orient de France in Paris bereits im Jahre 1912 beschlossen worden sei und nur aus Mangel an Mördern nicht sofort ausgeführt werden konnte. Der Redner erinnerte an die Prophezeiungen der Madame Savigny (Madame de Thebes), welche die Ermordung des Thronfolgers bereits im Dezember 1912 für das Jahr 1913, und als das Ereignis in diesem Jahr nicht erfolgte, neuerdings für das Jahr 1914 angekündigt hatte. In fesselnden Worten besprach der Redner sodann die Folgewirkungen, welche die Freimaurer an die Ermordung des Thronfolgers knüpften und hob besonders hervor, dass der "Oberste Rat" der serbischen Freimaurer genau vier Wochen vor der Ermordung Franz Ferdinands, nämlich am 31. Mai 1914 von dem Deutschen Grosslogentag in Frankfurt am Main anerkannt wurde, was gleichbedeutend mit einer Rücken­deckung für die Mörder und deren Helfershelfer sei. Es verfehlte eine tiefe Wirkung nicht, als Dr. Wichtl dabei den Namen desjenigen nannte, der damals an der Spitze der gesamten deutschen Frei­maurerei stand: der "hochehrwürdigste Grossmeister" ‑ Kohn. Sein Name wurde jedoch geheimgehalten, "er verschwand" wie der Redner bemerkte, "unter dem geheimnisvollen Teppich der Loge".

Der Redner zeigte ferner, wie die Freimaurerfürsten von kommenden Weltereignissen einander zu unterrichten pflegen und zog daraus den Schluss, dass auch das bevorstehende tragische Ereignis im österreichischen Kaiserhaus die hiesigen Freimaurer nicht über­rascht haben könne. Hier machte ein "Meister vom Stuhl" den Zwischenruf: "Das ist nicht wahr!" Doch schlagfertig antwortete ihm der Redner: "Entweder sind Sie ein 'Wissender', dann sagen Sie das gegen Ihre bessere Ueberzeugung, oder aber Sie sind ein 'Unwissender', wie es ja in der deutschen Freimaurerei ungezählte Tausende gibt, wozu auch die allermeisten der biederen kleinen 'Meister vom Stuhl' gehören!" Dr. Wichtl wies daraufhin nach, dass z. B. der portugiesische Königsmord (1908) ein Werk der Freimaurer gewesen sei, dass aber dessenungeachtet der Gross­meister der portugiesischen Maurer Dr. Magelhaes Lima, nicht bloss in England und Frankreich, sondern auch von der ungarischen Grossloge, der damals noch die österreichischen Frei­maurer unterstellt waren, mit allen maurerischen Auszeichnungen und  Ehrenbezeigungen empfangen worden sei. Auch auf die von Freimaurern angezettelte jungtürkische Revolution und die von Freimaurern in Szene gesetzte Entthronung des Sultans wies der Redner hin und viele andere Tatsachen konnten nur flüchtig gestreift werden.­

 

Der Vortrag bildete ein Ereignis. Auf diese mutige Rede fanden die anwesenden "Freimaurerfürsten", die sich schon als Sieger gefühlt hatten, kein Wort der Erwiderung. In herzlichster Weise wurde Dr. Wichtl sowohl vom Ehrenpräsidenten Minister a. D. Grafen Czernin, als auch von vielen anderen Seiten zu seiner treffenden Darstellung beglückwünscht.

 

Quelle: Wiener "Reichspost" vom 9. März 1919 ("Freimaurerfürsten und ihre Gegner")