Logenbruder
Napoleon Bonaparte
"Langsam füllten sich die
Bauhütten wieder, und neben den Überlebenden aus der frühen Logenzeit waren es
nun die Kreise um Napoleon, die sich in den Bund aufnehmen ließen. Napoleons angebliche
Zugehörigkeit zum Freimaurerbund ist allerdings höchst umstritten, jedoch
delegierte er in die Loge seine Brüder Joseph, Lucien, Louis und Jerome, seinen
Stiefsohn Beauharnais, den Erzkanzler Cambacérès,
dessen >Projekt de Code Civil< später die Grundlage für den >Code
Napoléon< bildete, sowie auch die meisten seiner Marschälle."
Jürgen Holtorf (Freimaurer): "Die Logen der Freimaurer",
Hamburg 1991, S. 46
Einer der Nachfolger Karl von Soedermanlands, Karl XIII., adoptierte ... 1810 den französischen
Freimaurer und von Napoleon I. zum Fürsten von Pontecorvo
ernannten Marschall Jean Baptiste Bernadotte, der die seitdem herrschende
schwedische Königsdynastie begründete. "Napoleon stand dabei Pate. Er
benutzte die Maurerei für seine imperialistischen Absichten ... Die
italienischen Logen leitete Bonapartes Schwager, König Murat
von Neapel. In Bonifacio auf Korsika empfing Napoleon
seine erste Einweihung und später nochmals auf Malta ... Die Bedeutung
Napoleons für das Maurertum spiegelte sich auch darin,
daß es noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Logen seines Namens gab
..."
E. R. Carmin: "Das schwarze Reich.
Geheimgesellschaften und Politik im 20. Jahrhundert", 1994, 5. Aufl.,
München 2000, S. 273 (zit. Heinz Pfeifer: "Die Brüder des Schattens",
S. 43 ff)
"Bionegative Züge in
Napoleons Wesensart: Aus dem Korsen wurde nie ein Franzose; liebte Frankreich
niemals, diente ihm nie, trug stets Maske. Frankreich durch Zufall sein
Sprungbrett. ... Napoleon besaß maßlos übersteigerten Geltungsdrang. Starke motorische
Unruhe. ... Charakterantinomien (darin vielfach
kriminellen Typen ähnlich): maßloser Machthunger, rücksichtsloser Egoismus,
wilder, brutaler Triebmensch... Seine Cäsaromanie kannte keine Grenzen. Nur durchschnittliche
Begabung. ... Mangel an moralischem Gefühl. Kriminelle Züge. ... Ungeheure
Wutanfälle (schlug, peitschte, trat). Ausgesprochene
Zerstörungswut... Terrorisierte alle. Innere Unrast, äußerste Ungeduld. Wälzte
sich auf der Erde vor Wut. ... Auf der Reise nach Elba
erbärmliches, über alle Maßen feiges Benehmen, bei weitem nicht der Übermensch
der Geschichtsdarstellung. ... Homosexuelle Beziehung zum Bruder Joseph.
Ödipuskomplex... Maßlos in allem, kalt, unbeteiligt, denkt nur an sich. ...
Vollständiges Fehlen jedes ethischen Gefühls. ... Schrankenloser Egoismus und
Ehrgeiz.
Quelle: W. Lange-Eichbaum / W. Kurth "Genie, Irrsinn und Ruhm,
München/Basel 1967/1979, S. 476 ff
Napoleon ist tot. Soviel ist sicher. Wild
spekuliert wird zurzeit jedoch darüber, ob es sich bei der im Pariser
Invalidendom aufgebahrten Leiche tatsächlich um die sterblichen Überreste des
legendären französischen Kaisers handelt.
PARIS ‑ Der Jurist und
Amateurhistoriker Bruno Roy‑Henry ist fest davon überzeugt, dass der im
Jahr 1840 von Sankt Helena nach Paris überführte Körper nicht der von Napoleon
ist. Seit Jahren versucht Roy-Henry, diese These zu beweisen. Jetzt hat er
offenbar auch den französischen Kulturminister Jean-Jacques Aillagon
mit seinen Zweifeln angesteckt. Der Antrag, das Rätsel mit einem Gentest zu
klären, werde vom Kulturminister wohlwollend geprüft, berichtet die Zeitung
"Liberation". Doch das Dementi folgte auf
dem Fuße: Er habe lediglich eine Prüfung veranlasst, inwieweit sein Ministerium
überhaupt zuständig sei, sagte Aillagon gestern.
Seiner Einschätzung nach sei
ein eventueller Gentest Sache des Verteidigungsministeriums als Besitzer des
Invalidendoms sowie der Nachfahren Napoleons. Während sich die Nachkommen des
Kaisers bisher nicht geäußert haben, hat die Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie bereits signalisiert, dass sie den Sarkophag
nicht öffnen lassen will.
Unruhestifter Roy‑Henry
stützt sich bei seiner Theorie auf Indizien: So seien zum Beispiel die Zähne
des 1840 Beigesetzten als besonders weiß beschrieben worden, während der Korse
bekanntlich äußerst schlechte Zähne hatte. Die beiden Gefäße mit Herz und Magen
des Verstorbenen sollen nach Berichten aus Napoleons Sterbejahr 1821 an anderer
Stelle im Sarg platziert worden sein, als sie bei der Exhumierung 19 Jahre
später aufgefunden wurden. Ähnlich unerklärliche Unterschiede gebe es auch bei
den Haaren, der Kleidung und der Totenmaske.
Verschwörungstheorien zufolge
könnte es sich bei dem Leichnam im Pariser Sarkophag um einen von Napoleons Bediensteten
handeln, der ein Spion der Engländer gewesen sein soll. Die wahre Kaiserleiche
liege in einer Gruft von Westminster Abbey in London.
Die These von der
ausgetauschten Kaiserleiche geistert zwar schon seit Jahrzehnten durch die
Welt, erhielt jedoch jetzt neuen Auftrieb, weil ganz Frankreich derzeit im
Napoleon‑Fieber steckt. Über neun Millionen Zuschauer sahen kürzlich den
TV‑Vierteiler "Napoleon" (der im Januar auch im deutschen
Fernsehen zu sehen ist), und die aufwändige Bühnenshow "Das war Bonaparte"
bricht zurzeit alle Publikumsrekorde. Soziologe Emmanuel de Waresquiel
glaubt, den Grund für die "Napoleon‑Manie" zu kennen: "Er
gehört mit Johanna von Orléans und Charles de Gaulle
zu den wenigen nationalen Ikonen in Frankreich." Der Kaiser verkörpere das
Image eines "universellen Diktators, der im Zeitalter der Globalisierung
eine besondere Bedeutung annimmt." Zahllose Historiker und Schriftsteller
haben sich mit dem Mythos des großen Feldherrn beschäftigt. Fast 80 000 Bücher
sind über Napoleon geschrieben worden, mehr als eins pro Tag seit seinem Tod.
Bis heute streiten Experten erbittert darüber, ob er ein Stratege oder ein
Schlächter war, ein weiser Herrscher oder ein grausamer Tyrann. Napoleons
Spuren wirken bis heute in Frankreich nach. Er hat dem Land den "Code
Civil" gegeben, das Gegenstück des Bürgerlichen Gesetzbuches, er hat die
Zentralbank "Banque de France" gegründet und das Amt des Präfekten
geschaffen.
Die jahrelangen Spekulationen,
dass Napoleon vergiftet wurde, haben französische Wissenschaftler jetzt
endgültig zurückgewiesen. Die Funde von Arsen in den Haaren des Kaisers seien
auf äußere Einwirkungen zurückzuführen wie Haarpflegeprodukte oder der Umgang
mit Rattengift und Waffen, heißt es in der November‑Ausgabe der
Zeitschrift "Science et Vie". Ursache für den Tod des Kaisers, der im
Alter von 51 Jahren starb, war vermutlich Magenkrebs.
Quelle: Lübecker Nachrichten vom 31.10.2002
Ist Napoleon wirklich auf der
einsamen Felseninsel Sankt Helena inmitten des Atlantischen Ozeans gestorben
und im romantischen Geraniental von Hutsgate an der Stelle, die er selbst als seine letzte
Ruhestätte ausgewählt hatte, von seinen getreuen Gefährten in Gegenwart der
englischen Garnison begraben worden? So einwandfrei diese geschichtliche
Tatsache auch durch die Aufzeichnungen so ziemlich aller Augenzeugen dieses
denkwürdigen Ereignisses beglaubigt ist so hat es doch nicht an Stimmen
gefehlt, die das Gegenteil behaupteten. Daß der große Kaiser, der durch seine
Taten den Erdball erschüttert und der Welt ein andres Gesicht gegeben hatte,
als verhältnismäßig rüstiger Mann von zweiundfünfzig Jahren in der
Gefangenschaft der Engländer den Strohtod gestorben sein sollte, er, der Sieger
in hundert Schlachten, der leibhaftige Kriegsgott, das dünkte der Phantasie des
Volkes ein zu nüchterner und armseliger Abschluß für
dieses "wundersamste aller Heldenleben" (Goethe). Dieser
Titanengeist, in dessen Sprachschatz das Wort "Unmöglich" fehlte,
dieser Faust der Tat und des Willens war in den Augen der staunenden Mitwelt
längst über das beschränkte Maß irdischer Hinfälligkeit und Unzulänglichkeit
hinausgewachsen und zum Halbgott geworden, der über das Gesetz der
Sterblichkeit erhaben sein mußte. Es ging den Zeitgenossen wie der heißblütigen
Polin Potocka, die, hingerissen von dem ersten
Eindruck, den der Empereur auf sie machte, in ihren
Memoiren bekennt: "Ich war starr, von stummem Erstaunen erfaßt, dem nämlichen Erstaunen, das irgendein Wunder
hervorruft . . . Der einzige Gedanke, den ich fassen konnte, war der: ein
solches Wesen könne nicht sterben,
ein so gewaltiges Genie sich nie verzehren. Und in meinem tiefsten Innern
verlieh ich ihm eine doppelte Unsterblichkeit."
Eine ähnliche suggestive und
faszinierende Wirkung übte die Erscheinung Napoleons auf die Mitwelt aus. Der
einfache Mann aus dem Volke, der den Kaiser zehn Jahre lang von Sieg zu Sieg
hatte eilen sehen und der ihm im Millionenheer der Großen Armee getreulich über
die Schlachtfelder vom Tajo bis zur Moskwa, vom Nil
bis zur Donau gefolgt war, wollte nicht an den Tod seines Abgottes glauben. Er
zog es vor, in der unfreiwilligen Muße der an großen Begebenheiten so armen
Aufbau‑ und Biedermeierzeit den imperialen Märchentraum weiterzuspinnen
und zur Ilias, die mit Waterloo ihren Abschluß
gefunden hatte, noch ein paar Gesänge hinzuzudichten. Wie er nach dem
Zusammenbruch der Kaiserherrlichkeit von seinem ersten Verbannungsort Elba zurückgekehrt war und mühelos Reich und Krone
zurückerobert hatte, ebensogut konnte er eines Tages
auch aus Sankt Helena entfliehen und in Europa oder Amerika aufs neue seine
ungeheure Aktivität entfalten. Napoleon selbst hat anfangs nur mit einem
vorübergehenden Aufenthalt auf der einsamen Insel gerechnet. Er hoffte, bei
einem Sturz der konservativ‑legitimistischen
Toryregierung durch die Liberalen eine wesentliche Erleichterung seines Exils,
wenn nicht völlige Befreiung zu erlangen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach
hätte Napoleon seine Tage auch niemals auf der einsamen Insel beschlossen, wenn
ihm ein längeres Leben beschieden gewesen wäre. Das rasche Fortschreiten einer
niemals genau festgestellten Krankheit, deren Vorboten sich bereits frühzeitig
gemeldet hatten, warf indes den noch nicht zweiundfünfzigjährigen Mann auf die
Totenbahre.
Gleichwohl wurden schon in den
ersten Exilsjahren von verschiedenen Seiten Pläne zur Befreiung des Kaisers aus
der Haft der Engländer geschmiedet. Napoleons Bruder Joseph, der nach Waterloo
sich nach Amerika begeben und sich in Point Breeze im
Staat New York niedergelassen hatte, scheute weder Geld noch Mühe, Napoleon mit
Hilfe eines amerikanischen Schiffes nach Brasilien oder Mexiko zu entführen. Ja
ein Deutscher, der Frankfurter Johann Konrad Friederich, trug sich sogar mit
dem bei den damaligen technischen Hilfsmitteln nicht durchführbaren Plan, ein
Unterseeboot zu bauen, das, unbemerkt von der englischen Küstenwache, Sankt
Helena erreichen und den Kaiser an Bord nehmen sollte.
Zur praktischen Ausführung ist
indes keiner dieser mehr oder minder abenteuerlichen Fluchtversuche gelangt, da
den Verschwörern jede Möglichkeit fehlte, sich mit dem Gefangenen in Verbindung
zu setzen, und andrerseits die englische Flotte die Annäherung fremder
verdächtiger Schiffe an die Insel verhinderte.
So ist denn Napoleon am 5. Mai
1821 gegen sechs Uhr abends in dem einsamen Farmerhause zu Longwood
gestorben. Sieben Jahre nach seinem Tod gab es in Europa wieder einmal Krieg.
Die seit dem Abend von Waterloo verstummten Kanonen donnerten aufs neue, und
wehmütig dachten die alten verabschiedeten Grognards
der Großen Armee an die waffenklirrenden
Tage des Empires zurück, da der Kaiser Jahr für Jahr "ein neues Epos
dichtete". Russen und Türken lagen einander in den Haaren, und man
erwartete allgemein, daß dieser Feldzug mit der Auflösung des Osmanischen
Reiches und der Eroberung Konstantinopels durch den Zaren enden werde. Der alte
Wunschtraum Katharinas II. schien seiner Verwirklichung nahe. Da nahmen die
Dinge plötzlich eine ganz andre Wendung. Der Vormarsch der russischen Armee kam
in der Dobrudscha zum Stehen. Die Türken hielten sich tapfer in ihren schlecht
ausgerüsteten Festungen, von Asien her war ein starkes Heer im Anmarsch, und
schon bangten ängstliche Gemüter vor einer neuen Türkengefahr, die das
christliche Abendland bedrohte wie einst in den Tagen, da Kara
Mustaphas Roßschweife auf
den Wällen Wiens flatterten. Die Türken entwickelten ungeahnte militärische
Tugenden, während die Russen, die selbst einen Napoleon besiegt hatten, nicht
vom Fleck kamen. Daß der Aufmarsch der türkischen Truppen sich innerhalb des
ihnen bekannten Geländes viel rascher vollziehen mußte als der des Gegners, der
bei den damaligen Verkehrsverhältnissen viele Monate brauchte, um seine
Streitkräfte aus dem Innern des russischen Reiches nach der Donau zu
konzentrieren, daß ferner Cholera und Typhus im russischen Heere wüteten und
dessen Schlagfertigkeit lähmten, alle diese Umstände entgingen dem
oberflächlichen Laien oder wurden von ihm nicht berücksichtigt. Man beurteilte
die Kriegslage nur nach den äußeren Erfolgen, und diese waren zunächst unbestritten
auf türkischer Seite. Der hartnäckige Widerstand, den die Festung Varna den Russen entgegensetzte, erregte in ganz Europa
Aufsehen und Bewunderung. Man vermutete in dem tapferen türkischen Kommandanten
Hussein Pascha einen kriegserfahrenen europäischen
General, denn solche militärische Leistungsfähigkeit traute man den
verweichlichten Osmanen schon längst nicht mehr zu.
Ein ähnliches Feldherrntalent
hatte in neuerer Zeit nur der große Kaiser entwickelt, der jetzt unter den
Trauerweiden von Sankt Helena schlief. "Man fragte sich, wer ist dieser
Mann, der die Fähigkeit besitzt, die großen Pläne im napoleonischen Geiste zu
entwerfen und auszuführen? Das mußte ein General aus Napoleons Schule sein! Da
blitzte es in der leicht entzündbaren Phantasie der Menschen auf wie ein
Offenbarungsstrahl! Dieser Hussein Pascha war für sie kein anderer als der
große Taktiker selbst, Napoleon, der Welteroberer! Aber nicht nur in den Köpfen
des Volkes spukte diese Idee. Auch ernstdenkende
Männer suchten ganz sachlich zu begründen, warum und weshalb der türkische
Oberbefehlshaber Napoleon und kein andrer sein müßte."
(Kircheisen.)
In süddeutschen Zeitungen
wurde diese Frage zuerst aufgeworfen, und zwar anfänglich mehr in Form einer
Satire als einer bestimmten Tatsache. "Das Volk aber nahm es für Wahrheit
und glaubte um so mehr daran, als es den Helden von Sankt Helena am liebsten
für unsterblich hielt." Eine ganze höchst sonderbare
Flugschriftenliteratur entstand, deren phantasiebegabte Verfasser einander in
der Ausführung immer neuer und überzeugender Gründe zu überbieten suchten,
"daß Hussein Pascha, Oberbefehlshaber der ottomanischen Heere, der wieder
auferstandene zurückgekehrte Napoleon sey". Die
"Beweise", die die anonymen Verfasser für ihre Hypothese ins Feld
führten, sind freilich meist zu naiv und scherzhaft, als daß sie überzeugend
auf den Leser wirken konnten. So wird in einer dieser heute sehr selten
gewordenen Schriften die Tatsache, daß Napoleon an Magenkrebs gestorben ist,
mit der köstlichen Begründung in Abrede gestellt: "Napoleon hatte
bekanntlich einen in jeder Hinsicht sehr guten
Magen, der nie genug bekommen und selbst ungerechtes Gut sehr wohl vertragen
konnte." Es hieß ferner, die Russen hätten an der türkischen Front
leibhaftig den Schlachtenkaiser in seinem historischen Aufzug gesehen,
"und zwar im grauen Überrock und dreieckigen Hut, mit der Leitung der
türkischen Kanonen beschäftigt, bekanntlich die Waffe, auf welche sich Napoleon
vorzugsweise versteht". Zur selben Zeit soll aus einem französischen
Museum der dort aufbewahrte legendäre Hut des Kaisers verschwunden sein.
"Wie nun, wenn er ihn sich als ein altes, wertes Andenken hätte kommen
lassen?"
Eine dieser Mystifikationen
gebar die andre, aber alle Verfasser waren sich in dem Hauptpunkt einig, daß
Napoleon noch lebe und die türkischen Truppen zu neuen Siegen führen werde.
Kircheisen hat die Titel von zehn solcher Schriften zusammengestellt, die alle
im Laufe des Jahres 1829 erschienen sind, gewiß ein
beredtes Zeichen dafür, daß diese abenteuerliche Fiktion vom Fortleben
Napoleons durchaus dem Geschmack der Zeit entsprochen und lebhaften Beifall
gefunden haben muß. Die romantischen Mätzchen fanden offenbar auch einen
ziemlich ausgedehnten Kreis von gutgläubigen Anhängern, denn im gleichen Jahre 1829
sah sich "ein Freund der Wahrheit" in Danzig bemüßigt, in einer
Gegenschrift den "unumstößlichen" Beweis zu erbringen, "daß
Napoleon Bonaparte tot ist und daß die kürzlich erschienenen Flugschriften,
wodurch bewiesen werden soll, er sei als Hussein Pascha wieder auferstanden,
baren Unsinn enthalten".
Man beschränkte sich indes
nicht auf die einfache Beweisführung von Napoleons posthumem Fortleben unter
der Maske eines türkischen Paschas, die Schriftsteller wußten
den sensationslüsternen Lesern auch mit den näheren Begleitumständen und einer
ausführlichen Schilderung der Flucht des Kaisers aus Sankt Helena und seiner
abenteuerlichen Reise nach Konstantinopel aufzuwarten. In einem vom Dezember
1818 datierten, natürlich apokryphen Briefe schildert
Gräfin Bertrand, die Gattin des treuen Hofmarschalls, der dem Kaiser ins Exil
gefolgt war, die näheren Umstände, unter denen es Napoleon geglückt sein
sollte, die Wachsamkeit der Engländer zu täuschen und an Bord eines
amerikanischen Schiffes zu gelangen.
Diesen Faden der Erzählung
griff Adolph von Schaden, ein fruchtbarer Schriftsteller jener Zeit, auf, um
ihn zu einem umfangreichen Abenteuerroman weiterzuspinnen. Schaden läßt den
Kaiser auf eine höchst romantische Art aus Sankt Helena entkommen: ein zufällig
auf der Insel weilender Kurier des Herzogs von Wellington, der mit wichtigen
Depeschen nach London zurückkehren soll und der zufällig Napoleon sehr ähnlich
sieht, wird vergiftet, während der Kaiser dessen Rolle zunächst bei Miltons
Frau, der schlanken Betty, spielt. Der angeblich tote Napoleon wird begraben,
während der echte unter der Maske des Kuriers Milton unangefochten nach England
reist. Wellington (auch Freimaurer, d.V.) ist mit der
Leistung seines Untergebenen sehr zufrieden und ernennt den begabten Kurier zu
seinem Geheimsekretär. In dieser Eigenschaft dient der Exkaiser mehrere Jahre
hindurch unerkannt dem Sieger von Waterloo, bis er eines Tages abermals seinen
Tod vortäuscht, um als französischer Naturforscher Nicolas Petit mit falschem Paß nach Ägypten zu reisen. Dort findet er seinen alten
Mamelucken Roustam wieder, gräbt mit ihm gemeinsam
einen Schatz aus, den er einst während seines Feldzuges in der Nähe der
Pyramiden verborgen hatte. Nun mietet er in Kairo ein großes Haus und gibt sich
für einen "morgenländischen Sklavenhändler" aus. Er spielte seine
Rolle um so leichter, als er sich bereits vor 25
Jahren mit der Sprache und den Bräuchen des Morgenlandes vertraut gemacht hatte
und die ägyptische Polizei gleich der schweizerischen sich weder um Stand noch
Tun der Fremden bekümmert, solange diese volle Säckel haben.
Täglich besuchte der ehemalige
Kaiser der Franzosen den Sklavenmarkt und kaufte allmählich die schönsten
Odalisken zusammen, die hier angeboten wurden. "Indes nicht für sich hatte
sich der Exkaiser dieses interessante Serailchen beigelegt, obwohl er nicht
ungern seine Abende in demselben zubrachte und bald bei dieser, bald bei jener
Schönen seinen Tee trank. Dem Großherrn zu Konstantinopel einen Besuch
abzustatten, war unser Held längst entschlossen gewesen; aber dahin darf man
nicht mit leerer Hand gehen! Alle die Mädchen waren für das Serail des Sultans
Mahmud bestimmt." Im Jahre 1826 finden wir Napoleon in der türkischen
Hauptstadt wieder. Es ist ihm gelungen, vom Padischah empfangen zu werden, der
mit Kennerblick die ihm von dem Fremden angebotenen Frauen und Geschenke
mustert. Dem Sultan gibt der Kaiser sich zu erkennen und erzählt ihm die
wundersame Geschichte seines angeblichen Todes und seiner Flucht. Mahmud ist
anfangs noch mißtrauisch, als aber Napoleon ihm aus
dem Gedächtnis fast den ganzen Wortlaut mehrerer Geheimdepeschen, die er einst
von Elba aus an den Sultan gerichtet hatte, vorträgt,
schwinden die letzten Bedenken des Großherrn. Mit den Worten: "Du bist es,
großer Mann! Du bist wirklich Napoleon ‑ an mein Herz, Herr Bruder!"
umarmt er den wiedererstandenen Welteroberer und bewirtet ihn mit Mokka und Tschibuk. Bald darauf tritt Napoleon zum Islam über ‑
die vom Koran vorgeschriebene Zeremonie der Beschneidung wird ihm vom Mufti
erlassen ‑ und empfängt den Namen Jussuph,
während der Sultan ihn zu seinem "Geheimen Obertabakspfeifenstopfer"
ernennt. Ein etwas seltsamer Posten für den Mann, der einst über Europa geboten
hatte, aber "man würde jedoch sehr irren, wenn man glauben wollte, ein
türkischer geheimer Hofpfeifenstopfer müsse in der Tat die Tabakspfeifen seines
hohen Gebieters stopfen und in Ordnung halten. Dies ist ebensowenig sein
Geschäft, als die Schlüssel, welche deutsche und französische Kammerherren auf
der rechten oder linken Hüfte tragen, die Türen in den Palästen ihrer Könige
und Fürsten öffnen". Mit dieser hohen Würde pflegt der Sultan vielmehr nur
seine intimsten Ratgeber zu bekleiden, die jederzeit unangemeldet Zutritt zu seinen Gemächern haben. Mahmud stellte seinem
Freund die "weiße Fatime", eine seiner Odalisken vor, die in
Wirklichkeit keine andre als Napoleons ehemalige Feindin, die bereits 1817
verstorbene Frau von Stael, ist. Als die beiden
einander gegenüberstehen, kann die Tochter Neckers nicht umhin, dem von ihr
tödlich gehaßten Exkaiser einige derbe Grobheiten zu
sagen. Napoleon wird darob vor Zorn und Wut ohnmächtig, die weiße Fatime aber
muß ihr vorlautes Wesen mit dem Tode bezahlen, denn die Vollschlanke stirbt auf
Befehl des Sultans plötzlich an ‑ "Engbrüstigkeit".
Jussuph, der
unterdessen auch zum Pascha von zwei Roßschweifen
befördert wurde, begann die türkische Armee nach europäischem Vorbild zu
reorganisieren und abzurichten, was ihm als erfahrenem Feldherrn ja nicht schwerfiel. Als die Janitscharen,
die alte Elitetruppe der Sultane, sich diesen Reformbestrebungen zu widersetzen
suchten und einen offenen Aufstand wagten, ließ Napoleon, der dabei offenbar an
den 13. Vendémiaire zurückdachte, die Meuterer
einfach zusammenschießen, um den Sultan von den unbequemen Prätorianern zu
befreien.
Zur Belohnung für diese
Verdienste, die Jussuph Pascha sich um das Osmanische
Reich erworben hatte, machte Mahmud seinen Oberhofpfeifenstopfer zu seinem
Schwiegersohn, indem er ihm die "mit den frischen und üppigen Reizen des
Orients ausgestattete" Prinzessin Zoraide zur
Gemahlin gab.
Die Flitterwochen des jungen
Paares wurden indes sehr bald durch die bedrohliche außenpolitische Lage der
Türkei getrübt. Die europäischen Großmächte hatten den Aufstand in Griechenland
benutzt, um zwischen der Hohen Pforte und den Rebellen zu vermitteln. Jeden
Augenblick konnte es im Hafen von Navarino, wo die
gesamte türkisch-ägyptische Kriegsflotte vor Anker lag und inzwischen die
Geschwader der Großmächte eingetroffen waren, zum Zusammenstoß kommen. Sultan
Mahmud bangte um seine schöne Flotte und beauftragte daher seinen
Schwiegersohn, sich unverzüglich mit zwei Fregatten auf den Kriegsschauplatz im
Jonischen Meere zu begeben und die großherrliche
Armada vor dem drohenden Untergang zu retten. "Nach einem rührenden
Abschied von der sich in guter Hoffnung befindenden Zoraide
ging unser Held am frühen Morgen des folgenden Tages bei günstigem Winde unter
Segel." Leider kam Jussuph ein paar Stunden zu
spät. Als er Navarino erreichte, war
die Schlacht in vollem Gange und das Schicksal der in dem engen Hafen
zusammengepferchten türkischen Flotte bereits besiegelt. Die meisten Schiffe
waren untergegangen oder standen in Flammen und drohten jeden Augenblick in die
Luft zu fliegen. Nur ein großes türkisches Linienschiff war der allgemeinen
Vernichtung entgangen; es war allerdings von dem vereinigten englisch‑französischen
Geschwader umstellt und eine sichere Beute des Feindes, wenn es Jussuph nicht gelang, ihm den Rückzugsweg aus dem Hafen zu
bahnen. Durch geschicktes Manövrieren erreichte Jussuph
das bedrohte Schiff, nachdem der Kampf infolge eines schweren Gewitters, das
sich gerade entlud, abgebrochen worden war.
"Inmitten dieses
Unwetters vernahm man plötzlich drei fürchterliche Kanonenschläge. Mit dem
dritten stand das türkische Linienschiff von oben bis unten in allen Tauen und
Masten durch sogenanntes bengalisches hellblaues
Theaterfeuer in feenartiger Strahlenglorie. Es
steuerte geradeaus; die beiden Fregatten Jussuphs
folgten ihm direkt auf die Mitte des französischen Geschwaders zu.
Vom Hauptmaste des
Feuerschiffs herab wehte die aufgesteckte dreifarbige französische
Nationalflagge. Mitten auf dem Verdeck stand Napoleon Bonaparte, gekleidet wie
in den Tagen seines Glückes, in der hellgrünen Uniform der italienischen Armee,
den bekannten dreieckigen Hut auf dem Kopfe, mit verschränkten Armen, dem
vorgesetzten rechten Fuß, kurz in der ihm eigenen Haltung und Ruhe; hinter ihm
erhob ein Offizier den ehemals so siegreichen Adler des Kaisertums. An beiden
Seiten des Decks stand in Doppelreihen ein Bataillon, angetan mit der Uniform
der kaiserlichen Garde. Die würdigen Veteranen trugen das Gewehr im Arm, wie
sie wohl sonst pflegten, wenn sie in heldenmütiger Gelassenheit gemessenen Schrittes
den verwüstenden Feuerschlünden des Feindes entgegengingen. Eine herrliche Janitscharenmusik erklang, und von ihr begleitet, stimmten
nun einige sonore Männerstimmen die Marseillaise an."
Die Wirkung, die diese
seltsame Vision auf die abergläubischen französischen Matrosen hervorrief, die
ihren Grand‑Empereur unter Blitz und Donner an
Bord eines Gespensterschiffes dem Fliegenden Holländer gleich dahinsegeln
sahen, kann man sich wohl vorstellen. Kein Schuß
fiel, niemand wagte ein Glied zu rühren, und so erreichte Napoleon dank dieses
Theatercoups unangefochten das freie Meer und rettete durch eine Kriegslist das
Flaggschiff der türkischen Flotte aus der Umklammerung der Feinde. Dieser
Erfolg tröstete den unglücklichen Sultan wenigstens einigermaßen über den
schweren Verlust seiner Flotte, die bei Navarino ihr
Grab in den Wogen gefunden hatte. ...
Quelle: "Rätsel der Weltgeschichte" von Friedrich Wencker-Wildberg, Berlin 1944, S. 212 - 219 (Aus dem Nachlaß eines Freimaurers)