Juden und Freimaurer in Frankreich

 

Einen hervorragenden Überblick zu diesem Thema gibt ein Abschnitt aus "Les Juifs" von Roger Peyrefitte, dem Bestsellerautor und Ehrenpräsidenten des französischen Homosexuellen-Verbandes (Deutsche Ausgabe: "Die Juden" in der Übersetzung von Brigitte Weitbrecht)

 

Die Stellung der Juden im Grand Orient hatte sich nicht verändert, seit Sarre Mitglied war. Sie waren zwar zahlreich vertreten, spielten aber keine beherrschende Rolle. Man ließ sie möglichst nicht zu Ämtern zu, weil man wußte, daß sie andere Juden einführen würden. Manche Freimaurer‑Logen boykottierten sie sogar aus Vorsicht weiter. Die Symbolisten wiesen darauf hin, daß trotz allem, was die Maurerei dem Judentum verdankte, der Freimaurerstern nur fünf und nicht sechs Zacken wie der Davidstern habe. Die Bruderbünde hatten den Justiz‑Palast vor Augen, in dem die jüdischen Anwälte eine stets wachsende Mehrheit besaßen, was die Nichtjuden störte.

 

Die Großloge von Frankreich war eher aufnahmebereit. Zu ihren Großmeistern hatten schon die Juden Welhoff, Hazan und Coen gezählt. Großmeister Dupuy, ein Halbjude, war vor kurzem wiedergewählt worden. Im Obersten Rat schien Baron Marsaudon, ehemaliger Gesandter des Malteserordens, mit anderen spiritualistischen Freimaurern die Hoffnung aufgegeben zu haben, daß Papst Johannes XXIII. mit einem »kleinen Federstrich« die Exkommunikation löschen würde. Wenn der Oberste Rat die Juden auch nicht exkommunizierte, so nahm er sie doch nicht auf. Doktor Pariente, ein bewährter Dreiunddreißiger (höchster Freimaurer-Grad im Schottischen Ritus, d.V.), der von Marranen, das heißt bekehrten spanischen Juden abstammte, wartete ungeduldig vor der Tür. Einst war man nachsichtiger gewesen dem Grafen Foy gegenüber, der einen jüdischen Namen, von den Gérard jüdisches Blut und eine jüdische Frau besaß. Allerdings gehörte der jüdische Name Foy zu denen, die Sarre ungekannt nannte.

 

Er bedauerte, daß er in der Rue Cadet seinen Freund Marius Lepage nicht mehr traf, den einstigen Meister vom Stuhl der Loge »Volney« in Laval. Dieser Mann mit seiner hervorragenden Freimaurerkultur und ‑treue hatte unter dem Einfluß seiner angelsächsischen Freunde eines Tages der Anziehungskraft der sogenannten regulären Freimaurerei nicht mehr widerstanden. Er war in die französische Nationalgroßloge übergetreten, die die reguläre Maurerei für die drei ersten Grade vertrat wie der Oberste Rat in der Rue Puteaux für die Hochgrade, und er hatte die Loge "Ambroise Paré" gegründet, zusammen mit dem einstigen Polizeipräfekten Baylot, dem zweiten großen Anhänger dieser Obödienz. Der Großloge vom Boulevard Bineau war noch kein Jude vorgestanden, doch hatte ihr Großmeister van Hecke bis zum letzten Jahr einen Robinson als stellvertretenden Großmeister neben sich und immer einen Sampson als Freundschaftsbürgen bei der Großloge von Israel. Im Büro mochten Großmeister Schneider und der Experte Roger als ungekannte Juden gelten.

Vielleicht gab es im Grand Orient mehr Juden als man dachte. Gehörte nicht auch Großmeister Ravel, der vor kurzem Jacques Mitterand (nicht identisch mit dem sozialistischen französischen Staatspräsidenten, der allerdings auch Freimaurer gewesen sein soll, wie alle Präsidenten der Republik mit Ausnahme von General Charles de Gaulle, d.V.)  seinen Platz überlassen hatte, zu ihnen? Seine Herkunft aus Martinique schien solche bevorzugte Abkunft auszuschließen, aber es gibt Juden jeglicher Hautfarbe, und in den Vereinigten Staaten war der Komponist Ravel als Jude begrüßt worden, wenn er sich auch dagegen gewehrt hatte. Er wäre in der Rue Cadet der einzige jüdische Großmeister gewesen; der Grand Orient brüstete sich wie die französische Nationalgroßloge und wie der Rat der Anwaltskammer damit, sein höchstes Amt niemals an Israel abgetreten zu haben. Im Büro wurde jedoch den Juden ein Sitz zugestanden, um den sie sich heftig stritten; seit 1962 hatte ihn ein Bernheim inne. Bei den niedrigeren Ämtern entschädigten sich die ungekannten Juden: Jullian, Errera, Joxe (Namensvetter des Ministers) saßen in der Rechts‑ und Berufungskammer; Darmon, Chicurel im Unterstützungskomitee.

 

Unter den Meistern vom Stuhl der dreihundertfünfzehn Logen von Paris waren Marcovici in der Loge »Chantiers des Egaux«, Boubli in der Loge "Clémente Amité", Baehr in der Loge »L'Evolution«, Cohen in der Loge "Fraternité des peuples et Ernest Renan" anzutreffen, also vier von fünfzig, weniger als im Ministerium Pompidou. Die achtundzwanzig Logen in der Pariser Umgebung wiesen Lévy in Juvisy, Michel. in Aulnay-­sous‑Bois, Moreau in Chelles, de la Roque in Levallois-­Perret auf ‑ auch ungekannte Juden tragen Adelsprädikate. In den zweihundertsechzehn Logen der Provinz befanden sich Daniel in Bordeaux, Lefèvre in Fontenay‑le‑Comte, Gay in Grasse, Jacob in Lons‑le‑Saulnier, Netter in Belfort, wieder Michel und Bonnet in Marseille, Maresco in Ajaccio, Bernard in Nantes, Robert in Vendome, Brun in Straßburg, Tixier in Vichy, alles Stuhlmeister, die, abgesehen von Jacob und Netter, nicht weniger überrascht gewesen wären als Bruder de la Roque, daß sie jüdische Namen tragen. Es war aber merkwürdig, daß zwei von den drei in Algerien noch bestehenden Logen ‑ die Logen von Tunesien hatten ihre Arbeit eingestellt und die von Marokko hatten sich in Paris neu gebildet ‑ mutmaßliche Juden zu ihren Stuhlmeistern zählten, nämlich Viel und Picard. Im Ausland stand ein Alexander der Loge in Baden‑Baden und ein Kagan einer der drei Logen von New York vor.

 

Vielleicht wußten die Juden selbst nichts von der Existenz ungekannter Juden, aber sie verfuhren oft hart mit denjenigen der Ihren, die sich als Christen ausgaben. Im Konvent hatten sie geschlossen gegen Larrier, früher Nattan‑Larrier, gestimmt, der vor dem Disziplinarrat stand, und bewirkt, daß er sich geschlagen geben mußte. Vielleicht waren sie neidisch, weil die Träger des Namens Nattan am Anfang des Jahrhunderts zu Nattan‑Larrier wurden und sich fünfzig Jahre später nur noch kurz Larrier nannten. Viel schneller ging es noch bei dem Flugzeugkonstrukteur Bloch und seinem Bruder, dem General, die keine Freimaurer waren; 1946 begannen sie ihren Aufschwung unter dem Namen Bloch‑Dassault und landeten 1950 unter dem Namen Dassault. Immerhin versuchten viele jüdische Freimaurer, Nattan‑Larrier nachzuahmen, auch wenn sie die Gunst ihrer Glaubensgenossen verloren. Insgeheim klagten sie über die Hindernisse, die der Staatsrat einer Namensänderung in den Weg legte. Die großen jüdischen Familien, die sich seit mehreren Generationen in diesem Gerichtshof auszeichneten, wie die Cahen‑Salvador oder die Helbronner ‑ oder Heilbronner ‑, Nachfolger der Grunebaum‑Ballin und Seligmann, heute unterstützt von den Larroque und Siméon ‑ diese als ungekannte Juden ‑, standen dem Namenswechsel im allgemeinen feindlich gegenüber. Der einstige Vizepräsident Cassin war auch nicht positiver eingestellt gewesen. Deshalb haben im Gegensatz zur allgemeinen Meinung, nach der über hunderttausend Juden seit dem Krieg ihren Namen änderten, nur knapp tausend einen neuen Namen angenommen. Glücklich war Nathan‑Murat zu nennen, hatte er doch, ohne den Staatsrat zu bemühen und ohne jemandes Mißfallen zu erregen, seinem jüdischen Namen den ruhmreichen Widerstandskämpfernamen angehängt und glänzte nun in der Rue Cadet.

 

In den Logen hielt man die Söhne Abrahams in Schach, noch mehr in den Hochgraden, die der einstige Großmeister Viaud leitete. Man mußte bis Dakar gehen, um ein Rosenkreuzerkapitel unter dem Vorsitz eines Weiss zu finden. Die Kadoschritter oder Dreißiger hatten in Montpellier einen Colonna als Präsidenten, in Dijon einen Lévy und in New York den Anwalt Claude Lewy, ehemaligen Bürgermeister von Orléans.

 

Gewiß konnte sich der Grand Orient seit dem Tode des Präsidenten Ramadier keines so bedeutenden Dreiunddreißigers rühmen wie es Präsident Monnerville war, die Zierde der Großloge von Frankreich, aber noch nicht des Obersten Rates. Er war der Hauptgegner General de Gaulles geworden und vertrat den in der Rue Puteaux gepflegten Spiritualismus. Bei der Bestattung des Präsidenten Coty in Le Havre befand sich der Dreiunddreißiger Monnerville in der ersten Reihe, während Guy Mollet, Freimaurer aus der Rue Cadet, nicht in die Kirche trat. Als Johannes XXIII. einmal krank war, telephonierten Geistliche mit Baron Marsaudon, um Neues über den Zustand des Papstes zu erfahren. Und der Papst hatte dem Dreiunddreißiger Ramadier ein Glückwunschtelegramm gesandt, kurz vor dessen Tode.

 

Man wird sagen können, daß die Haltung des Präsidenten Guy Mollet die wahre Lage der Dinge besser widerspiegelte als die des Präsidenten Monnerville. In der Rue Puteaux hatte der neue Souveräne Großkommandeur Riandey, umgarnt von einem jüdischen, christlichen und royalistischen Geheimboten des Paters Riquet, eine Unterredung mit diesem Jesuiten »im Geist des Konzils«. Bei der zweiten Zusammenkunft hob er die Sitzung auf: Sein Gesprächspartner, der sich den Juden und den Freimaurern so geneigt zeigte, hatte ihn nur um eines gebeten, damit die Versöhnung zwischen den Söhnen Gottes und den Söhnen der Witwe erleichtert werde, nämlich um die Aufgabe des »veralteten Laizitätsprinzips«.

 

Die Intrigen des Paters Riquet und seines Boten, die die Großloge von Frankreich mehr oder weniger begünstigt hatte, schienen unerwartete Folgen zu zeitigen: Riandey plante übereinstimmend mit Großmeister van Hecke die Gründung einer Distriktsgroßloge, eines Ablegers der französischen Nationalgroßloge, deren höchstes Organ ihr Oberster Rat sein sollte. Der Oberste Rat von Boston‑Washington, »die Mutter der Welt«, schien den Plan zu unterstützen. Sein berühmtes Oberhaupt, der Souveräne Großkommandeur Luther Smith, war ebensowenig wie Riandey für geheime Einverständnisse zwischen Juden und Jesuiten.