Peter Handke
Ein Hexensabbat über den muffigen Geist,
die verlorengegangene Standfestigkeit
des bürgerlichen Restelements
und über das jämmerliche Verhältnis
zwischen Politik und Kultur in der BRD.
Also sprach die Jury von
Düsseldorf, die über den Heinrich‑Heine‑Preis befindet:
"Eigensinnig wie Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu
einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er
rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale." Ein
Hexensabbat war damit in Gang gesetzt und ein Lehrstück über den muffigen Geist
der BRD.
Um mit einem Detail zu
beginnen: Jury-Mitglied Christoph Stölzl, Geschichtsprofessor und
Ex-Kultursenator von Berlin, der sich viel auf seine Vornehmheit zugute hält,
vergaß alle Manieren und plauderte, kaum daß ihm der erste Gegenwind ins
Gesicht blies, Einzelheiten der vertraulichen Beratungen aus, um sich von der
Entscheidung für Handke zu distanzieren. Soviel zur Standfestigkeit des
bürgerlichen Restelements in Deutschland.
Eine andere Frage betrifft das
Verhältnis von Politik und Kultur. Dürfen die Politiker in Düsseldorf sich in
die Verleihung des Heine‑Preises einmischen? Ja, sie dürfen! Schließlich
ist es ein Preis der Stadt, der mit immerhin 50.000 Euro ausgestattet wird. Es
gibt Künstler, die ebenfalls talentiert, doch weniger berühmt sind, die von
einem Fünftel der Summe ihren Lebensunterhalt bestreiten ‑ im Jahr! Nur
kommt es darauf an, welche Qualität die Argumente besitzen und wie sie
vorgebracht werden. Dazu später.
Die Jury hätte es sich leicht
machen und den Preis an eine halbsenile Jeanne d'Arc (zum Beispiel Hildegard
Hamm-Brücher) oder an ein als Drachentöter verkleidetes tapferes Schneiderlein
(wie Heribert Prantl) vergeben können ‑ der Kulturbetrieb wäre weitergelaufen
wie geölt. Aber, wie man dank Stölzls Indiskretionen weiß, war die Eloquenz der
arrivierten Literaturkritikerin Sigrid Löffler stärker. Der Zuschlag wurde
Handke erteilt, der sich während des Jugoslawien‑Krieges in eine
prinzipielle Gegnerschaft nicht nur zur Politik, auch zu den Medien begeben
hatte.
Angesichts solcher Handke‑Sätze
könnte man beinahe von einer Umwertung der Werte sprechen: "Nach
landläufiger Meinung sind die Kreaturen, die aus dem Schoß krochen, die
Rechtsradikalen. ( ... ) Für mich ist das, was aus dem Schoß kroch, etwas
anderes: Die Grünen, der Typ, der Bundeskanzler ist, und der Bombenminister.
Das ist das grausig‑ewige Deutschland."
Wen wundert's, daß
Grünenpolitiker hysterisch auf die Handke‑Ehrung reagierten, ihr
Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Fritz Kuhn, der in Joschkas Glanzzeiten
"Fischers Fritz" genannt wurde, von einem "Skandal", und
Daniel Cohn-Bendit, der sich auf Grünenparteitagen um eine Bombenstimmung
bemüht hatte, von "hellem Wahn" sprach. Noch etwas ist bemerkenswert:
Das Unbehagen am Leerlauf des bundesdeutschen Kulturbetriebs kommt jetzt auch
aus diesem selbst!
Zur Chronologie der Kampagne,
die von der FAZ eröffnet wurde: Unter der Überschrift "Heine wird
verhöhnt" zeterte ihr Literaturredakteur Hubert Spiegel, durch die
Entscheidung würde der HeinePreis "nachhaltig beschädigt". Es hätte
würdigere Kandidaten gegeben ‑ Irene Dische zum Beispiel oder Amos Oz. Er
zitierte die Autorität von Marcel Reich‑Ranicki, der zwar kein
Jugoslawien-Experte, aber seit dem "Literarischen Quartett" mit
Löffler spinnefeind ist und für das FAZ‑Feuilleton eine Bedeutung besitzt
wie Wladimir Iljitsch Lenin für den Staatsbürgerkundeunterricht in der DDR. In
streberhafter Manier warf Spiegel dem Schriftsteller vor, mit seiner Teilnahme
am Begräbnis des serbischen Ex‑Präsidenten Milosevic einem
"Massenmörder" gehuldigt zu haben und überhaupt "serbische
Verbrechen" zu "beschönigen" bzw. zu "leugnen".
Mit diesen Reizwörtern hatte
er die Schleusen geöffnet. Kurz darauf war von Handkes "revisionistischer
Sicht auf die Balkan‑Kriege" die Rede, eine Düsseldorfer FDP‑Lokalgröße
entdeckte, daß Handke brutale Gewalt "relativiere", und NRW‑Ministerpräsident
Jürgen Rüttgers (CDU) donnerte vor dem Düsseldorfer Landtag: "Die
Landesregierung ist der Meinung, daß für den Heine‑Preis nicht
preiswürdig ist, wer den Holocaust relativiert. Von Rüttgers war nichts anderes
zu erwarten, gehört er doch zu der Unions‑Spezies, die den biegsamen
Rohrstock, mit der der Zeitgeist sie geprügelt hat, verschluckt haben. Nun
dient er ihm anstatt eines Rückgrats. Doch jenseits seiner Lächerlichkeit: Was
Rüttgers hier verübte, erfüllt den Tatbestand des versuchten gesellschaftlichen
Totschlags.
Danach setzte immerhin eine
Gegenströmung ein, FAZ‑Herausgeber Frank Schirrmacher ruderte zurück,
nannte den Umgang mit Handke "ungeheuerlich",
"rücksichtslos", "Rufmord statt Kritik", gewiß auch in
Erinnerung an seine gründlich mißlungene Walser-Denunziation, mit der er den
Nimbus seines Feuilletons zerstörte.
Über die Konflikte wußte man hierzulande wenig
Doch alle reden um den heißen
Brei herum. Worum geht es denn? Handke hat in seinen Büchern, Aufsätzen und
Reportagen ein Bild von Serbien entworfen, das zu dem Horrorgemälde vom Hort
des Bösen, das in den deutschen Medien gezeichnet wurde und das letztlich die
deutsche Außen‑ und Militärpolitik bestimmte, im scharfen Kontrast steht.
Man muß seine Interpretation nicht teilen, man kann Milosevic als bösartigen
Schurken betrachten, die von Serben begangenen Greuel höher gewichten als die
der anderen Kriegsparteien und sich dazu bekennen, daß einem die katholischen
Kroaten und Slowenen instinktiv näher gestanden haben als die orthodoxen
Serben.
Trotzdem ist Handkes Mut
beeindruckend. Er hat Medien und Mediengläubige damit konfrontiert, daß sie
über die Voraussetzungen und den Verlauf der Konflikte in Ex‑Jugoslawien
kaum Bescheid wissen und die Bombenflugzeuge unter vielleicht erlogenen,
jedenfalls schiefen Voraussetzungen nach Belgrad geschickt wurden. Daran waren
alle relevanten politischen Parteien beteiligt, daher ist ihre Empörung über
Handke so einhellig.
Wer Milosevic leichthin einen
"Massenmörder" nennt, sei daran erinnert, daß das Tribunal von Den
Haag sich jahrelang vergeblich bemüht hat, den Nachweis dafür zu führen. Der
Prozeß drohte zur Blamage zu werden, sein Tod, wie immer er erfolgt ist, kam
der "internationalen Gemeinschaft" sehr gelegen. Wer in Mitteleuropa
hat wirklich gewußt, was im Kosovo vor sich geht? Wurzelt die Rat‑ und
Planlosigkeit, in der die dort stationierten deutschen Truppen sich angesichts
der Vertreibung der Serben durch Albaner und niedergebrannter orthodoxer
Klöster befinden, nicht darin, daß die Annahmen, die ihrem Einsatz zugrunde
lagen, falsch waren? Und gibt es heute, sechs Jahre nach dem Bombereinsatz, auf
dem Balkan mehr oder weniger Vertriebene als damals? Fragen, die außer Handke
fast niemand stellt.
"Unsere höchsten Einsichten sollen wie Torheiten klingen"
Eine weitere Äußerung von ihm
aus einem Zeit‑Interview vom
Februar 2006: "Hat jemals jemand in einer westlichen Zeitung von den
Flüchtlingen, mehr als einer halben Millionen, in Serbien erzählt? Nie habe ich
etwas darüber gelesen, wie die vegetieren. Und zum ersten Mal habe ich deren
Geschichte erzählt. Warum geht nicht einer der Reporter der Zeit, die die Geschichte vom serbischen
Adolf zum siebzigsten Mal als Dossier aufmöbeln, wo doch die bosnischen
Muselmanen und die Kroaten genausoviel Blut am Stecken haben, zu den serbischen
Flüchtlingen. Die kommen aus dem Kosovo, aus Kroatien, aus Bosnien und werden
von den eigenen Landsleuten in Serbien verachtet. Ich habe darüber geschrieben,
ohne irgendeine Ideologie damit zu verbinden, und ich werde dafür
niedergemacht. ( ... ) für mich habt ihr Deutschen eine große Schuld auf euch
geladen, schon mit der Anerkennung Kroatiens. Euer Herausgeber Josef Joffe hat
gesagt, daß das Wort Auschwitz als Schlagwort verwendet wurde. Aber wer hat
damit angefangen? Es war euer Außenminister Fischer. Scharping hat von KZs in
Pristina geredet, was ein Unsinn ist. Die Knüppelwörter stammen von euren
Offiziellen. Und die haben den Knüppel benützt, indem sie den Bombenkrieg
mitverantwortet haben."
Handke hat hier die
neuralgischen Punkte benannt und wieder die Alltagssprache umgewertet, indem er
von einer deutschen Schuld spricht, begangen unter Berufung auf Auschwitz.
(Oder sollte man lieber von Infantilität sprechen?) Die Debatten und
Entscheidungen folgen keiner Fakten‑ und Interessenanalyse, sondern einer
Erregungskultur, Wissenslücken wurden mit Versatzstücken aus hoher, von einem
sakralisierten Geschichtsbild abgeleiteten Moral ersetzt. Die Suche nach der
"offenen Wahrheit", auf die Handke sich auf seine Weise begeben hat,
stellt für dieses starre System eine Bedrohung dar.
Doch eben das ist nicht der
Maßstab seines Handelns, Risiken inklusive. Bei Nietzsche heißt es:
"Unsere höchsten Einsichten müssen ‑ und sollen ‑ wie
Torheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen, wenn sie ( ... ) denen zu
Ohren kommen, welche nicht dafür geartet und vorbestimmt sind." Deren
geistige Hervorbringungen nennt er "Allerwelts‑" und
"übelriechende Bücher: der Kleine-Leute‑Geruch klebt daran".
Nun fühlen die kleinen Leute in Politik und Medien sich von Handke beleidigt
und bloßgestellt, sie giften und bellen. Er sollte ihnen den Heine-Preis vor
die Füße werfen.
Quelle: DORIS NEUJAHR in JUNGE FREIHEIT vom 9.6.2006
Anmerkung: Aus mehreren Beiträgen auf dieser Weltnetzseite ergibt sich,
daß Handkes Darstellungen über den Balkankrieg in allen wesentlichen Punkten
zutreffend sind. Daraus folgt weiterhin, daß wir auch insoweit wiedereinmal von
den System-Medien und der rot-grünen Bundesregierung schamlos hinters Licht
geführt wurden.
Dem aufmerksamen SPIEGEL-Leser wäre übrigens geraume Zeit vor dem
völkerrechtswidrigen Nato-Krieg auf dem Balkan ein klitzekleiner Artikel
aufgefallen, wonach Rotary-International - eine Metastase der Weltfreimaurerei
- überall auf der Welt Fuß gefaßt habe, allerdings mit zwei Ausnahmen: Serbien
und die VR China. Serbien wurde angegriffen und die chinesische Botschaft in
Belgrad erhielt von einem mit dem Shell-Atlas navigierenden Bomberpiloten einen
Volltreffer mit einigen toten Chinesen.
Welche zersetzende und quasi geheimdienstliche Rolle Rotary und die
Freimaurerei bereits im Jugoslawien Titos gespielt hat, kann man in den
Beständen der Gauck-Behörde nachlesen.
Dann kann man sich noch über den vorangegangenen Bundesaußenminister
Kinkel schlau machen in dem Buch "Der Schattenkrieger".
Sigrid Löffler kann man nur höchsten Respekt zollen und ihren Intimfeind
Marcel Reich-Ranicki darf man immerhin nach Auffassung der Hamburger
Staatsanwaltschaft ungestraft den "Eichmann von Kattowitz" nennen.