Unsere Rebellion

 

Die seriösen zeitgenössischen Beobachter der Studentenrevolte in Deutschland, die gegen eine erstarrte Universitäts‑ und Staatsadministration protestiert, pflegen die aufgebrachten Bürger über derartige Unverschämtheiten der Studenten in Zeitungskommentaren und Glossen damit zu beruhigen, daß die Radikalität, die sich unter einer «Minderheit» der deutschen Studenten breitgemacht habe, ein «weltweites Phänomen» sei, das sich sowohl in USA und England, wie auch in Japan, Korea, Lateinamerika bemerkbar mache. Nebenbei wurde sogar die Ursache der Unruhe erwähnt: da die Studenten gegen den imperialistischen Krieg der US-­Regierung in Vietnam und gegen die Zwangsmaßnahmen der einheimischen Bürokratien protestieren, handele es sich bei diesen Zwangsmaßnahmen um die strafrechtliche Verfolgung der Demonstranten oder um die Zwangsreglementierungen durch die Universität. Das <Wesentliche> der Rebellion wurde aber im psychisch bedingten Unbehagen der Jugend gesucht. Die radikal politische Kritik der Studenten wurde in die Idylle des Generationsproblems schematisiert. Darin sah man die Gelegenheit, die Opposition gegen die gesellschaftlichen Autoritäten nach psychologischen und biologischen Gesichtspunkten zu verharmlosen. Die Beat­besessene Jugend, die LSD‑berauschten Hippies, die lebensgierigen Gammler und die fanatischen Polit‑Provos katalogisierten die <Freunde> der Jugend unter dem Begriff des wilden ziellosen Ausbruchs und der aufgestauten Aggressionen im Jugendlichen. Daß dieser altersbedingte <Drang> derartige Ausmaße annahm und sich nicht in sportlichen Wettkämpfen und nationaler Begeisterung erledigte, schrieb der nüchterne Analytiker dem Versagen gesellschaftlicher Vorbilder zu.

 

Die aufrechten Liberalen attestierten gönnerhaft dem jugendbewegten antiautoritären Lager Erfolge. Durch seine außerparlamentarischen Aktionen habe es die parlamentarische Tätigkeit wieder «in Schwung» gebracht, habe als wichtiges Korrelat dieses Systems gewirkt, die Erstarrung und die Gleichgültigkeit der Parteien aufgestört. Jetzt aber gelte es, das «Erreichte zu bewahren», es gelte, die Aktionen einzuschränken oder mit ihnen aufzuhören, weil «beim Stand der Dinge» die faschistischen Elemente der Gesellschaft mobilisiert werden könnten, die dann die «demokratischen Spielregeln» abschaffen würden. Die Aktionen der studentischen Opposition selbst erhielten den Geruch faschistischer Ausschreitungen, die man nicht mehr bereit war, in den Toleranzraum der bürgerlichen Demokratie einzubeziehen. Diese Theoretiker des «Gleichgewichts der Kräfte» stellten ihr liberales Denken mit der eigenartigen Geschichtsauffassung unter Beweis, daß der Faschismus nicht angelegt ist in der gesellschaftlichen Struktur des Kapitalismus, sondern daß er provoziert und damit im starken Maße erzeugt werde durch die Aktionen der linken außerparlamentarischen Opposition. Die Vorstellung der Balance der Kräfte war das stärkste Argument der liberalen Kommentatoren, das ihnen ermöglichte, den Staat als Regulator der gesellschaftlichen Probleme anzuerkennen und in der staatlichen Bürokratie einen Stand zu sehen, der über den Klassen und Schichten der Gesellschaft schwebt. Diese gesellschaftliche Verfassung garantiert nach ihrer Ansicht ein Maximum an Freiheit und an gesellschaftlichen Reformen. Kein Wunder, wenn diese liberalen Ehrenmänner Appelle an die Würdenträger des westdeutschen Staates richten, demokratisches Beispiel für die Jugend zu werden. Salbungsvolle Reden, beschlipste Hälse, zukunftssicheres Lächeln, graumelierte Eleganz, aufgefülltes Leben sollen aufgeboten werden, um endlich der Jugend Vertrauen einzuflößen, sie mit der harmonischen Gesellschaft der <Sozialpartner> zu versöhnen.

 

Quelle: "Von der antiautoritären Bewegung zur sozialistischen Opposition" von Bernd Rabehl (Bergmann / Dutschke / Lefèvre / Rabehl: "Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition", Reinbek bei Hamburg 1968, S. 151 f)