Sufi-Bruderschaft

 

(...) Wo der Seemannssohn Recep Tayyip Erdogan geboren wurde, in einem Holz­haus an der Altyumak-Straße 15, Stadtteil Kasimpasa, da wirkt das Istanbul der Nachtclubs, Designer-Tempel und Galerien bereits wie eine sündige Versuchung aus vergangener Zeit. In Kasimpasa kauern Frauen grüppchenweise im schwarzen Carsaf, der türkischen Ausgabe des Tschador, vor den Häusern. Der Alkoholverkauf im Viertel wurde schon vor Jahren und ohne behördliche Anordnung eingestellt.

Es ist mehr als eine Fußnote der Ge­schichte, dass ausgerechnet hier in Kasim­pasa, dem alten „Tal der Quellen“, die Truppen von Sultan Mehmed II. im Mai 1453 ihre Boote über den Berg schleppten vor dem entscheidenden Angriff auf das christliche Konstantinopel.

Als ob das Volk unterbewusst den Spu­ren seiner verdrängten Geschichte folgte, siedeln vor allem rund um die islamischen Kultstätten entlang dem Goldenen Horn nun die Strenggläubigen - in Eminönü, wo ein Barthaar des Propheten gezeigt wird; in Eyüp, wo der Bannerträger Mohammeds begraben liegt, der im siebten Jahrhundert vor den Mauern Konstantinopels den Tod fand; oder in Fatih, wo dem Vernehmen nach der spätere Präsident Turgut Özal wie der spätere Premier Erdogan vom Scheich der Iskender-Pascha-Moschee in Geheim­nisse des verbotenen Naksibendi-Ordens, einer mächtigen sufistischen Muslim-Bru­derschaft, eingeweiht wurden. (...)

 

Quelle: DER SPIEGEL 29 / 2007 / 100 (Hervorhebung vom Bearbeiter)

 

 

(...) Ende Juli 1900 reiste (Adam Alfred Rudolf) Glauer (alias: Rudolf Freiherr von Sebottendorf) in die Türkei, wo er im Landhaus Husseins in Cubuklu in der Nähe von Beykoz wohnte. Vom Imam der dortigen Moschee lernte er die türkische Sprache, was es ihm schließlich ermöglichte, die anatolischen Güter Hussein Paschas bei Bandirma und in Yenikiöy nahe Bursa erfolgreich zu verwalten. Kontakte mit den tanzenden Mewlewi-Derwischen weckten sein Interesse für exotische Religionen und führten Glauer schließlich zu einem ernsthaften Studium okkulter Lehren, wozu zweifellos auch der Umstand beitrug, daß sein wohlhabender Gast­geber, Hussein, selbst praktizierendes Mitglied einer Sufi-Gemeinschaft war. In Bursa machte Glauer schließlich die Bekanntschaft mit der Familie Termudi, wohlhabenden griechischen Juden aus Saloniki. Der alte Termudi hatte sich von seinen Geschäften zurückgezogen und widmete sich dem Studium der Kabbala und dem Sammeln alchemistischer und rosenkreuzerischer Texte, während seine Söhne den Bankgeschäften in Bursa und Saloniki nachgingen. Die Termudis waren Freimaurer und gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach einer den französischen Memphis-Misraim-Ritus praktizierenden Loge an (vgl. Nicholas Goodrick-Clarke, The occult roots of nazism – The ariosophists of Austria and Germany 1890 – 1935, Wellingborough 1985, S. 138 sowie Anm. 49, 53, 57). Termudi führte Glauer schließlich auch in die Loge ein und stellte ihm seine okkulte Bibliothek zur Verfügung. Folgt man etwa Sebottendorfs Angaben in Der Talisman des Rosenkreuzers, Pfullingen 1923, S. 65, entdeckte er in einem der Bücher Notizen von Hussein Pascha über die geheimen mystischen Riten und Traditionen islamischer Alchemisten, wie sie von den Derwischen der von Hadschi Bektasch von Chorassan gegründeten Bektaschi-Sekte nach wie vor praktiziert wurden und werden. Glauers Studien dieser Praktiken fanden tatsächlich ihren Niederschlag in Die Praxis der alten türkischen Freimaurerei – Der Schlüssel zum Verständnis der Alchemie – Eine Darstellung des Rituals, der Lehre, der Erkennungszeichen orientalischer Freimaurer, Leipzig 1924. Dies ist, wenn schon von »geistigen Ahnherren« Sebottendorfs gespro­chen wird, höchst bemerkenswert. Denn in der Tat behaupten die Bektaschi-Derwische von sich selbst, »Baumeister« und solcherart »gleichgestellt« mit den Freimaurern zu sein. Vgl. Brown, J. P., The Darwisches, London 1927, S. 166ff, durchaus ein weiterer früher Beleg für die Verbindungen zwischen Sufismus und Freimaurerei, wie sie neuerdings etwa von Idris Shah, Die Sufis – Die Botschaft der Derwische – Weisheit der Magier, Düsseldorf Köln 1980, S. 166ff., oder von Ernest Scott, Die Geheimnisträger – Auf den Spuren der verborgenen Baumeister der Evolution, München 1989, an die Öffentlichkeit gebracht werden (vgl. auch Birge, J. K., The Bektashi Order of Dervishes, London 1937). Bemerkenswerterweise sind einige der Übungen, die (George Ivanovitch) Gurdjieff im Westen lehrte, mit denen der Bektaschis identisch (vgl. Scott, a.a.O., S. 258, sowie Lefort, Rafael, Die Sufi-Lehrer Gurdjieffs, München 1985 ...). Darüber hinaus ähnelt auch die theosophische Doktrin von den verborgenen Meistern frappant der sufischen Überlieferung von den Chwadjadschan (...)

 

Quelle: „Das schwarze Reich. Geheimgesellschaften und Politik im 20. Jahrhundert“ von E. R. Carmin, 5. Aufl., München 2000, S. 667f  / Anm. 96 (kursive Klammerinhalte vom Bearbeiter)

 

Anmerkung: In diesem Zusammenhang wird auch auf den Beitrag „Familie Assad“ auf dieser Weltnetzseite hingewiesen.