Dr. Egon Schneider zum 75. Geburtstag

 

Es gilt, eine außergewöhnliche Juristenpersönlichkeit zu ehren. EGON SCHNEIDER ist Praktiker, Rechtswissenschaftler und Lehrer in einem. Das Besondere ist bei ihm, daß nicht zwei oder doch eines dieser Attribute lediglich Akzessorien eines einzigen principale sind, sondern daß alle drei bei ihm in solido gegeben sind. Als großen Richter haben ihn seine früheren Kollegen und die Anwälte am Kölner Oberlandesgericht in Erinnerung, als Meister des Zivilprozesses kennt ihn seit Jahrzehnten jeder deutsche Jurist. Das untrennbare Amalgam von Wissenschaft und Praxis, von Empirie und Dogmatik, das Prozessualistik seit jeher ausmacht, verkörpert er wie wohl kein anderer. Dabei ist sein wissenschaftliches Wirken nicht auf den weiten Raum von Zivilprozeß‑ und Zivilrecht beschränkt. Seine "Logik für Juristen" (5. Aufl. 1999) wendet die klassische Erkenntnislogik auf die Jurisprudenz als ganze an. Die Hochschullaufbahn im Strafrecht, in dem seine 1954 einsetzende Publikationstätigkeit begonnen hatte, schlug SCHNEIDER aus; die Spuren, die das 1945 zu Ende gegangene Zeitalter an den Universitäten hinterlassen hatte und die in diesem Rechtsgebiet vielleicht besonders deutlich zutage traten, schienen ihm noch zu frisch. Im Zivilrecht waren sie subtiler.

 

In vielen seiner mehreren tausend Aufsätze und in etlichen seiner Bücher, zu denen neben der soeben erschienenen "ZPO‑Reform" (2002) Klassiker wie "Beweis und Beweiswürdigung" (5. Aufl. 1994), der "Streitwert‑Kommentar für den Zivilprozeß" (11. Aufl. 1996), "Der Zivilrechtsfall in Prüfung und Praxis" (7. Aufl. 1988) und der von der 12. bis zur 18. Auflage (1993) von ihm mitverfaßte und geprägte ZÖLLERSCHE Kommentar zur Zivilprozeßordnung gehören, ist der Jubilar zugleich Lehrer, Lehrer im hohen Sinne dessen, der durch Wissenschaft bildet. Die Unterzeichneten gehören zu dem kleinen Kreis derjenigen, die ihn darüber hinaus in ihrer Referendarzeit als Einzelausbilder erleben durften. Wie groß das corpus mysticum der so Privilegierten ist, wissen wir nicht; schon größer war derjenige Teil der cupida legum iuventus, der nach Rechtskenntnis verlangenden Jugend, der seiner Arbeitsgemeinschaft zugeteilt war. Das Privileg der OLG‑Stage bei EGON SCHNEIDER bedurfte besonderer Gewährung weit im Vorfeld. Doch wer inauguriert wurde, war auf Zeit in den Zweiten Zivilsenat aufgenommen und hatte Anteil an der gelassenen Kollegialität, die dort herrschte. SCHNEIDER ist diesem Spruchkörper bis zuletzt treu geblieben; schon den Gedanken an die Übernahme eines anderen Senats oder eines Landge­richts oder gar an einen Wechsel zum Bundesgerichtshof pflegte er a limine von sich zu weisen.

 

Wir lernten ihn als einen Richter kennen, der den beständigen Willen, jedem sein Recht zuteil werden zu lassen: die constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi förmlich ausstrahl­te. Um dieses Zieles willen wich er keiner Schwierigkeit und keiner Mühe aus; mit seinem si­cheren Judiz verband sich die Bereitschaft zu absoluter Fairneß. SCHNEIDER wußte, daß er eine solche Haltung nicht überall voraussetzen konnte, und er litt darunter. Justizkritiker war er schon immer; die Mühlen der Justiz (unter Einschluß des dieser anvertrauten Prüfungswesens) als etwas, in das man hineingeraten kann, waren Gesprächstopos im Senat. In ihm galt das freie Wort, selbstverständlich auch für die nur zeitweiligen Mitglieder. Mangelnde Zivilcourage, Kar­rieredenken und Blendertum geißelte und geißelt SCHNEIDER in allen juristischen Berufen. Die anderswo bis zur Manier gepflegte gegenseitige Abneigung zwischen Richtern und Anwälten als solchen war ihm und ist ihm auch nach seinem Wechsel in die Anwaltsrolle fremd. Vorbildlich war für die staunenden Referendare EGON SCHNEIDER aber auch in seinem Arbeitsethos. Er füllte rein äußerlich zwei Berufe voll aus, nämlich neben dem Richteramt den eines juristischen Schriftstellers. Der Umfang seines (Euvres übertrifft seit langem dasjenige der meisten Nurwissenschaftler um Stadien.

 

Die Ausbildung war ganzheitlich. Nicht selten hat SCHNEIDER auf die Auswahl oder die endgültige Fassung von Promotionsthemen entscheidenden Einfluß genommen. Während der Sitzung kam es vor, daß dem Referendar ein konspirativer Zettel nach links außen durchgereicht wurde, der in bekannter Skriptur eine abgewogene, in geeigneten Fällen lapidare Beurteilung des gerade vortragenden Anwalts enthielt: Exempla trahunt, nichts ist besser als ein konkretes Beispiel. Oder die Anweisung an den Referendar über die Geschäftsstelle: "Sie haben ein Bäuchlein Dagegen müssen Sie was tun. Ich mache Gymnastik." Jede Woche wurde nachgehalten; auf dem Weg in den Sitzungssaal war an einem Baugerüst im weitläufigen Gebäude am Reichenspergerplatz unter dem Vorgang von SCHNEIDER, schon in Robe, und unter den kritischen Blicken des Senats im übrigen eine von Sitzung zu Sitzung höhere Anzahl Klimmzüge zu absolvieren.

 

Triebfeder des öffentlichen Wirkens von EGON SCHNEIDER ist seine tiefe Humanität, seine kämpferische Menschenliebe, eingebettet in die Lebensart und Welthaltigkeit, wie sie seit jeher mit der großen alten Stadt am Rhein verbunden ist. Am 3. April 2002 feiert er seinen 75. Geburtstag. Seine habilitierten Schüler gratulieren.

 

Prof. Dr. Holger Altmeppen, Passau

 

Prof. Dr. Ekkehard Becker‑Eberhard, Leipzig

 

Prof. Dr. Barbara Dauner‑Lieb, Köln

 

Prof. Dr. Ingo Reichard, Bielefeld

 

 

Quelle: Zeitschrift für Anwaltspraxis (ZAP) Sonderheft für Dr. Egon Schneider

 

Anmerkung: Dr. Egon Schneider ist in dem Jammertal der deutschen Justiz eine phänomenale Lichtgestalt. Damit auch die Nicht-Juristen von seinem schriftstellerischen Wirken profitieren können, sei ihnen dringend zur Lektüre empfohlen: Egon Schneider, ZAP-Report: JUSTIZSPIEGEL Kritische Justizberichte, 2. Auflage, Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Herne/Berlin 1997

ISBN 3-927935-11-5