Savonarola
Der
Dominikanermönch, der 1498 in Florenz verbrannt wurde, versuchte aus der Stadt
einen „Gottesstaat“ zu machen. Seine Reden müssen von gewaltiger Wirkung gewesen
sein, denn er brachte das reiche und lebensfrohe Florenz dazu, während vier
Jahren selbst die Kunst zu verbannen und sich seinen strengen und asketischen
Grundsätzen zu unterwerfen. Mangelhaft nachgeschrieben, bewahren seine
Predigten trotzdem einen Hauch seiner starken Persönlichkeit. Die Verfassung,
auf die jene vom 1. April 1495 anspielt, war halb demokratisch und beseitigte
vor allem in der Rechtspflege schreiende Mißstände. Die Predigt in ihrer Mischung
von Politik und apokalyptischen Bildern, ist ein Zeugnis seines religiösen
Lebens und seiner daraus fließenden politischen Vorstellung zugleich.
Predigt
Es gibt kein Ding auf Erden, Ihr Lieben in Jesu Christo, das Größeres wirket vor dem Herrn als der lebendige Glaube, das Gebet ohne Unterlaß und das Ausharren in Geduld! Nicht allein ward uns solches im Alten und Neuen Testamente offenenbart und gezeiget, nicht allein uns solches durch die Erfahrung unserer Ahnen gelehrt, sondern auch wir haben in den Fährlichkeiten unserer Zeit es oft erprobt und fast mit Händen gegriffen. Durch diese drei Waffen wurden wir wunderbarlich errettet aus Gefahren und Schrecken, die heraufzogen über unsre Stadt und alles Volk von Florenz. - Durch sie ward unsre Stadt wiedergeboren und zum Frieden geführt. Durch sie wurden uns Gaben beschert, die wir nach menschlichem Ermessen unmöglich erwarten durften, vornehmlich, da wir so argen Widerspruch erhoben. Und gewiß verdienen der Glaube, das Gebet und die Geduld, daß Gott Seinen gnädigen Beistand gewährt, wenn große Ereignisse den Gang der Zeiten unterbrechen! Niemand nehme es wunder, daß wir so große Dinge erlangten! Blieben wir doch treu in Leid und Trübsal und harrten aus im Gebet und im lebendigen Glauben. Darum hat uns die höchste Güte nicht zufällig, sondern recht eigentlich mit Gaben gesegnet, die hervorragen aus dem gemeinen Lauf unsrer Zeit. Wir wollen nun von diesen Dingen erzählen, und wir bitten, daß Ihr alle Menschenweisheit beiseite lasset und in Einfalt und Andacht lauschet mit dem Ohr des Glaubens, und daß Ihr aufmerksam unsrer Rede folgt.
Ich sah, Geliebte, wie in Eurer Stadt die Herrschaft sich zu wandeln
drohte, und ich erwog, daß das nicht geschehen könnte ohne Blutvergießen und
großen Aufruhr, wenn wir nicht Gottes Barmherzigkeit erlangen würden durch die
Buße und das Gebet der Guten. Von des Herrn Geist erleuchtet, beschloß ich, zu predigen
und das Volk zur Buße zu ermahnen, auf daß der Herr uns gnädig wäre! Am Tage
des Apostels St. Mathäus, nämlich am 22. September 1494, begann ich dieses
Werk. Und mit aller Kraft, die Gott mir verliehen, sprach ich zum Volk und rief
es zur Buße und zum Gebet. Da sie nun willig meinen Worten folgten, hat die
Gnade des Herrn die Gerechtigkeit in Erbarmen verwandelt.
Am 9. November hat sich dann
Eure Herrschaft wunderbarlich gewandelt, ohne Blutvergießen, ohne Bürgerkrieg.
- Da du, Volk von Florenz, ein neues Regiment dir schaffen solltest, da rief
ich dich (doch ohne die Frauen) in der Hauptkirche zusammen, und auch die
Signoren und die anderen Obrigkeiten deiner Stadt waren dabei. — Ich sprach
mancherlei über die Herrschaft in deiner Stadt und offenbarte dir dann, welche
nach den Lehren der Philosophen und Theologen die natürliche sei für das Volk
von Florenz. Als ich dann fortfuhr in meinen Predigten, ermahnte ich dich, vier
Dinge zu tun: Du solltest Gott fürchten, das Gemeinwohl lieben und mehr nach
dem Wohl des ganzen Staates, denn nach
deinem eignen trachten; zum dritten solltest du Frieden machen zwischen dir und
denen, die bis hierher den Staat regierten, und ich fügte hier auch den Appell
an die „Sei fave“ (Gegen die grenzenlose Willkür, mit der die „Otto di Guardia e Balia“
durch die sechs Fave = sechs Spruchstimmen die Justiz verwalteten, hatte
Savonarola in der Predigt den „Appell an die sechs Fave“ vorgeschlagen. Durch
ihn wurde es den ungerecht Verurteilten möglich, ihren Richterspruch noch
einmal prüfen zu lassen. Im „Großen Rat“ hatte der Vorschlag durch
Stimmenmehrheit gesiegt) bei, auf daß es künftig
niemand wage, sich zum Herrn der
Stadt zu machen. Zum vierten ermahnte ich dich, einen großen Rat zu bilden nach
dem Vorbild der Venetianer, daß der Reichtum
deiner Stadt dem ganzen
Volk zugute käme und nicht ein
einzelner Bürger allzu reich und übermächtig würde. „Diese vier Dinge gebietet
Euch der Herr“, sprach ich zu Euch; „Er will, daß das Volk der Stadt Florenz
auf solche Art regieret werde.“ Ich sagte auch: „Niemand kann sich diesem
Willen widersetzen. Denn auf Gottes Wort werden die weißen Stimmscherben sich
in schwarze verwandeln. Er wird die Herzen derer wenden, die wider Ihn sind.
Wenn sie die weißen Stimmscherben geben wollen, so wird Gott schaffen, daß sie
die schwarzen geben.“ Also
ist es geschehen, wie wir bezeugen, und
wie viele es öffentlich bekannten, die zuvor dem Willen Gottes widerstrebten.
Doch auf dein Geheiß habe ich nicht allein das Volk zu diesen vier Dingen
überredet, sondern ich habe mehrfach mit schlagenden Gründen bewiesen, daß nur
dieses Regiment ihm frommt. — Und wenn du dem Gebote Gottes folgen wolltest,
verhieß ich dir: Ruhmvoller wie je wird deine Stadt dann werden in der
geistigen und in der weltlichen Herrschaft, und ihr Reichtum und ihre Macht
werden größer sein denn je zuvor. Doch weil so viele in Unglauben, Torheit und
Bosheit verharrten und nicht einwilligen wollten, da der Große Rat schon eingesetzt war, sondern dem allgemeinen
Frieden und dem Appell an die „Sei fave“ widersprachen, so ist der Zorn des
Herrn über sie entbrannt, und der Allmächtige hat seine Hand von ihnen
abgezogen. Und ich fürchtete, Florenz, der Herr wollte zurücknehmen, was Er dir
verheißen. -
Aber
dann dachten wir an Seine unendliche Güte und mit größerer Inbrunst lagen wir
dem Beten und Fasten ob. Und siehe, nach einiger Zeit, wie wir zuvor schon
berichtet, ward der Friede geschlossen und der Appell an die „Sei fave“
angenommen. Da ich nun dieses Wunder sah, begann ich zu glauben, daß die
Verheißungen vielleicht verzögert, doch nicht verloren wären. Und ich ermahnte
Euch, mit Fleiß zu beten, und ich versprach, Euer Bote zu sein bei dem höchsten
und ewigen Gott, auf daß Seine Verheißung und Gnade wieder über Euch leuchten.
Ihr harrtet aus in Fasten und Gebet. Da ich mich nicht würdig erachtete,
unmittelbar vor den Thron der ewigen Majestät zu treten, vor der die Mächtigen
der Erde sich beugen müssen, stellte ich mich am Himmelfahrtstage, dem Anfang
Eures Jahres, der glorreichen Jungfrau, der Mutter Gottes vor. Zu ihr flehte
ich, daß sie aus Freude an jenem Tage gelobte, unsere Fürbitterin zu sein bei
der heiligen Dreieinigkeit. Und sie, die Gnadenreiche, nahm huldvoll unsre
Bitte auf. Diese frohe Botschaft brachte ich Euch, da ich an jenem Tage in San
Marco predigte. Wir verharrten weiter im Gebet, und da ich an der „Oktave“ die
Kanzel bestieg, verkündigte ich dir, daß wir eine gute Antwort an der „Oktave“
des Marientages erwarten könnten. Ich ermahnte Euch noch dringlicher:
„Trachtet danach, Euer Leben und Euer Gebet vollkommener zu gestalten, auf daß
jene Verheißung gnädig in Erfüllung gehe.“
Die Jungfrau sprach zu mir:
„Gott ist getreu, und was Er zusagt, das hält er gewiß! Die Stadt Florenz soll
groß und mächtig werden, wie nie zuvor, und ihr Ruhm und ihr Reichtum wird sich
mehren, und sie wird ihre Flügel ausbreiten über das weite Land, daß viele
darob sich wundern werden! Was sie verlor, wird ihr wiederbescheret werden, und
wenn sie auch fürderhin verliert, fürchtet nicht! Der Herr wird ihr doch alles
wiedergeben. Die Stadt wird zunehmen und so viel Land erwerben, wie sie nie
zuvor besessen hat. Wehe denen, die sich empören wider ihre Herrschaft, denn
der Herr wird eine harte Strafe über sie senden! Derselbe Geist, der dir solche
Worte eingibt, ließ vor vier Jahren den Pisanern verkündigen, daß sie sich
empören würden in den kommenden Drangsalen, und daß dann ihr Verderben
hereinbrechen würde! Die Zeit der Drangsale ist da und ihnen wird geschehen,
wie ich geweissagt habe.“ Dann sprach ich: „Haltet mich nicht für allzu kühn,
Madonna, doch ich begehre noch mehr von Euch zu wissen, um jene zu befriedigen,
die mich gesandt. Ich möchte hören, ob unsre Stadt vor jenen Tröstungen noch
großes Leid erdulden muß?“ Die Jungfrau antwortete: „Mein Sohn, du hast schon
seit vielen Jahren die Wiedergeburt der Kirche geweissagt, und ohne Zweifel
wird diese bald geschehen. Von dem heiligen Geist erleuchtet, hast du die
Bekehrung der Türken und Magyaren und vieler andrer Heiden vorausgesagt. Dieses
Wunder wird bald geschehen, und viele, die jetzt auf Erden weilen, werden es
noch erleben.“
„Diese
Wiedergeburt soll nicht geschehen, bevor große Drangsale und das Schwert die
Welt verheert haben, wie du geweissagt hast, vornehmlich in Italien. Denn
dieses Land hat alles Leid heraufbeschworen, durch den Prunk und die Hoffart
und alle die andern unzähligen und unsagbaren Laster seiner Häupter. Darum
sollst du nicht verzagen, wenn deine Stadt und deine Söhne für kurze Zeit
geängstigt werden, denn die Drangsale sollen Florenz nicht so arg treffen, wie
die andern Städte.“
Da sie solche Worte geredet
hatte, streckte sie ihre Hand aus und reichte dem Engel, der mit ihr war, eine
Kugel oder Halbkugel. Auf dieser sah ich das ganze Land Italiens. Der Engel
nahm die Kugel und öffnete sie, und siehe, da kam alles in große Verwirrung,
und viele Städte waren voller Aufruhr und Schrecken. Doch darf ich Euch nicht
enthüllen, welche Städte es sind, denn der Herr hat mir die Zunge gebunden.
Etliche hatten von außen her Frieden. Aber der Bürgerkrieg wütete in ihren
Mauern und verheerte sie ganz und gar. Ich sah auch die Stadt Florenz in großer
Bedrängnis, doch ihr Leiden war geringer, denn das der andern Städte. - Zum
andern Male streckte die Jungfrau ihre Hand aus und reichte mir eine andre
Kugel oder Halbkugel, die war klein, und auf ihr standen die Worte geschrieben,
dem Buchstaben nach, wie ich sie zuvor gesagt habe. Ich öffnete die Kugel, und
da sah ich die Stadt Florenz, ganz voller Lilien - die blühten und wuchsen und
breiteten sich aus bis über die Zinnen unsrer Stadt und weit hinaus über die
Mauern und sie bedeckten viel Land rings umher. Und über den Mauern der Stadt
schwebten die Engel, und sie schauten herab und schützten sie. Da ich solches
sah, freute ich mich sehr und sprach: „Mir deucht es wahrhaft wohlgetan, wenn
die kleinen Lilien sich den großen verbinden, die zu unsren Zeiten wachsen und
sich ausdehnen überweites Land.“ Doch die Jungfrau antwortete nicht auf diese
Rede, sondern sie sagte: „Mein Sohn, wüßten die Nachbarn der Stadt Florenz, die
jetzt ob ihres Leidens triumphieren, welch Unheil ihnen droht, sie würden sich
nicht mehr freuen über andrer Leid, sondern sie würden weinen und wehklagen
über sich selbst, denn der Herr wird arges Unheil über sie senden und
Schrecken, die größer sind als die Drangsale von Florenz.“
Ich erwiderte ihr: „Glorreiche Jungfrau, ob ich auch Staub und Asche
bin, so möchte ich doch noch ein Wort zu dir reden: Was soll ich meinem Volke
sagen, wenn es mich fragt, ob diese Verheißung bedingungslos ist, oder ob sie
sich nur erfüllt, wenn das Volk dieses
und jenes tut?“ Sie sprach:
„Wisse,
mein Sohn, daß diese Verheißung unbedingt sich erfüllen wird! In seiner
himmlischen Vorsehung wird Gott Mittel und Wege finden, die alles zum
glücklichen Ausgang führen, wie Er Euch verheißen hat! Verkünde den ungläubigen
Bürgern von Florenz, die nur glauben, wenn sie schauen, daß die diese Dinge auf
jeden Fall geschehen werden, und daß auch nicht ein Jota fehlen wird. Diese
Bösen und Gottlosen mögen sündigen und Übles tun, soviel sie wollen, sie können
doch nicht hindern, daß das Heil sich naht. Aber die Seligkeit der Frommen
sollen sie nicht teilen, sondern Gott wird sie
mit schweren Strafen schlagen, wenn sie sich nicht zur Buße wenden. Ihre
Drangsale werden geringer und größer sein, je nach dem Maß ihrer guten Werke
und je nachdem sie dem Gesetz des Herrn gehorchten oder nicht. Und des Herrn
Gericht wird über sie kommen, je nachdem sie selbst gerichtet haben über
Trunkene und Ruchlose, Spieler und Gotteslästerer und jene, die dem
widernatürlichen Laster fröhnen. Und der Schrecken des Herrn wird über sie
kommen, je nachdem sie das verrottete Volk, den Grund alles Übels, aus ihrer
Stadt vertreiben, und je nachdem sie ein christlich Leben führen, der Tugend
huldigen und das Laster verbannen.“ Als sie geendet hatte, sprach ich: „Halte
mich nicht für anmaßend, milde und gütige Königin - wenn ich noch ein Wort zu
sagen wage. Wenn mein Volk mich fragt: Wann wird das geschehen? Was soll ich
ihm dann erwidern?“ Sie sprach: „Schnell und eilends. Doch tue ihnen kund, daß,
seit du zuerst die Schrecken Italiens geweissagt hast in Florenz, schon fünf
Jahre verflossen sind, doch daß es schon mehr als zehn Jahre her ist, daß du
sie an andern Orten verkündet hast. Im Anfang sagtest du, daß sie ‚schnell und
eilends’ kommen würden. - Aber du fügtest bei: Ich sage nicht in diesem Jahr,
noch in zwei Jahren, noch in vier oder gar in acht Jahren, doch über die zehn
gingst du nie hinaus. - Und doch sind diese Drangsale gekommen und eher, als
Ihres geglaubt! So sprich jetzt zu ihnen: ‚Schnell und eilends’ und verkünde
sie jetzt: nicht für diesen Monat, oder den April, oder für den Juli, den
September, sage auch nicht für dieses Jahr, oder das folgende, oder in sechs
Jahren, oder bestimme dafür einen späteren Zeitpunkt, sondern sprich allein:
,Schnell und eilends’. Und also wird das Unheil früher nahen, denn viele
wähnen.“ Da sie solche Worte gesagt hatte, entließ sie mich.
Ich war so
entbrannt in himmlischer Liebe und hatte so ganz mich selbst vergessen, ob der
großen Schönheit, die mich umgab, daß ich nicht mehr meiner sterblichen Hülle
gedachte und nicht vermochte, von hier zu scheiden. Doch da ich hörte, daß die
Madonna mich entließ, sprach ich noch einmal: „Glorreiche Jungfrau, Ihr habt
hier oben so viele, die Euch dienen, sendet ihrer einen zu dem florentinischen
Volke, daß er Eure Botschaft verkünde, denn schauet mich an, ich bin gar müde
und matt von der vielen Sorge, die ich so lange Jahre um dies Volk getragen,
und ich sehne mich nach Ruhe und Erquickung.“ Da ich solche Worte geredet
hatte, fing die ganze Menge der himmlischen Heerscharen zu lachen an ob meiner
Einfalt. Auch die Jungfrau lächelte noch, da sie mir Trost zusprach: „Noch
bleibt dir ein groß Stück Weges; aber vertraue dem Herrn und erweise dich
stark, denn Er ist mit dir, und wenn du bis zum Ende ausharrest, wirst du
gerettet werden und wir alle wollen dir beistehen! Fürchte dich nicht vor
deinen Widersachern und sei fröhlich in Trübsal, denn bald wirst du zu uns
gelangen nach vielen Leiden! Die Krone des Lebens winkt, die Gott verhieß
denen, die Ihn lieben.“ Da erhob ich mich voller Demut und Ehrfurcht, dankte
ich der heiligen Dreieinigkeit und unserm Erlöser, Jesu Christo, und befahl mich
und meine Brüder und die Stadt Seiner ewigen Barmherzigkeit! Dann dankte ich
auch der Jungfrau Maria, der Mutter Gottes, legte mein Herz in ihre Hand und
bat sie, fürderhin unser Fürsprecher zu sein und uns Trost zu gewähren in den
kommenden Leiden. Amen.
Quelle: „Große Reden aus drei Jahrtausenden“ zusammengestellt von Wolfgang Müller, S. 95 ff
Anmerkung:
Man beachte, daß Martin Luther Girolamo Savonarola für einen Heiligen hielt.