Menetekel Rinderwahn
von Baldur Springmann
Gezählt ‑ gezählt -
gewogen ‑ geteilt: Das hat nun wahrlich schon oft genug in balkendicken
Buchstaben über dem Gastmahl unserer "fun‑and‑food"-Orgien
gestanden ‑ in solchen Buchstaben aber, wie die Natur sie schreibt.
Menetekel Baumsterben:
"Hört endlich auf, die Euren Planeten umgebende Lebensluft und Eure
Lebensgrundlage Mutterboden zu verpesten und zu vergiften!" ‑ Aber
trotz der zusätzlichen Mahnungen der einsichtigen Minderheit wollen die
herrschenden Wirtschaftszaren weitermachen wie gehabt.
Menetekel Tschernobyl:
"Hört endlich auf, solche Tabus zu mißachten, welche beispielsweise die
'primitiven' Aborigines sehr wohl als göttliche Mahnung erkannt und geachtet
haben:'... in jenen (uranhaltigen) Bergen schläft die Regenbogenschlange. Wer
die weckt, bringt großes Unheil über die Welt ......'" Aber trotz erster
Erfolge der Einsichtigen möchten die herrschenden Zaren am liebsten
weitermachen wie gehabt, und es ist durchaus nicht sicher, ob sie das letztlich
nicht auch noch fertigkriegen.
Menetekel BSE: "Hört endlich
auf, mit Lebewesen so umzugehen, als handelte es sich um Maschinen oder
chemische Labors." ‑ Aber nicht einmal dieser Schreckschuß, daß der
durch menschlichen Profitwahnsinn erzeugte Rinderwahnsinn zurückschlägt in die
Gehirne von Menschen, wird richtig verstanden. Oder bewußt überhört. Denn
alles, was von seiten der Zaren zu hören ist, klingt, als käme es von einer
aufgeregt durcheinander gackernden und durcheinander flatternden Hühnerherde
und ist nichts als verzweifelte Suche nach Mitteln zur Symptombeseitigung.
Dabei ist hier, im Bereich von Landwirtschaft und Ernährung, eher als in
anderen Wirtschaftsbereichen der überall vorhandene unselige Zusammenhang von
längst veralteter rein mechanistischer "Naturwissenschaft" und leider
noch längst nicht veralteter Profitgier als Wirtschaftsmotor und zugleich als
Ursache aller Übel evident.
Genau das, wovor der Entdecker
der Hauptpflanzennährstoffe Justus von Liebig schon vor 130 Jahren in seiner Altersschrift
"Chemische Briefe" unter dem Titel "Wider den Materialismus"
gewarnt hat, genau das haben die materialistischen Agrarwissenschaftler zu
höchster Perfektion gebracht: chemisch mit ungeheurem Energieaufwand aus dem
luftisolierten und aufbereiteten Stickstoff als Kunstdünger "volle
Pulle" in die Produktionsmaschine Pflanze rein, um deren
Produktionsleistung in noch zu meiner Jugendzeit unvorstellbare Zahlen
hochzujagen. Allerdings müssen die dem Rat von Professoren und Verbandsfunktionären
folgenden "konventionellen" Landwirte dieses Treibmittel teuer von der
chemischen Industrie einkaufen. Rationell oder auch nur rational? Die Ökobauern
dagegen begnügen sich mit den naturgegebenen Prozessen, mit denen Uzotobakter
im Humus und die Radicola-Bakterien der Leguminosen den Luftstickstoffpflanzen
verfügbar machen, und dem damit naturgegebenen Spielraum der Ernteerhöhung
durch sorgsame Bodenpflege.
Genau nach demselben Prinzip
wie in dieser "pflanzlichen Produktion", die wir früher Ackerbau
nannten, haben die "Wissenschaftler" in der "tierischen
Produktion" jene Methoden entwickelt, durch die das in vergammeltem Fisch,
Hühnerkot, Schlachtabfällen, Tierkadavern und sonstigem Zeugs vorhandene Eiweiß
aus all dieser Jauche extrahiert und zu einem "Mehl" aufbereitet
wird, dessen aberwitziger Eiweißgehalt aberwitzig hohe Milchmengen aus der
Produktionsmaschine zäh herauskitzelt, Milchmengen, in denen wir ersaufen
würden, wenn nicht ein Teil davon als Pulver in die "Dritte Welt
exportiert oder ein anderer Teil durch eine zu tausend Ungerechtigkeiten
führende Quotierung gedrosselt würde. Und was geschieht jetzt, nach der BSE‑Ohrfeige?
Erste Überlegung: Wo kriegen
wir jetzt bloß genauso aberwitzige Mengen Eiweiß her, nachdem wir leider
Tiermehl nicht mehr verfüttern dürfen? Also her mit jeder Menge Sojabohnen, ob
nun genmanipuliert oder nicht, ob solche Eiweißmengen nun dem Verdauungstrakt
eines Wiederkäuers behagen oder nicht. "Wir sind ja dazu gezwungen, weil
die Masse der Verbraucher nicht bereit ist, freiwillig auch nur einen Pfennig mehr
für einen Liter Milch auszugeben.
Zweite Überlegung, sogar
öffentlichkeitswirksam von höchster Stelle verkündet: "Wir müssen endlich
weg von dieser Agrarindustrie!" Bravo!
Doch von Gerhard Schröder kann
man nicht erwarten, daß er als Autofachmann die wahren Konsequenzen seines populistischen
Aufrufs überhaupt auch nur annäherungsweise ahnt. Der Hase liegt nicht da
begraben, wo der Hinweis es vermuten läßt, es seien doch merkwürdigerweise die
bisherigen BSE-Fälle gerade in mittelgroßen und kleinen Familienbetrieben
aufgetreten. Denn nicht die Betriebsgröße in den Unterschieden, wie sie bis vor
etwa 40 Jahren seit altersher üblich waren, sondern das ganz und gar andere Verhältnis
zur belebten Natur unterscheidet Bauern von Agrarfabrikanten.
Ja, und nun? Muß es wirklich
noch dicker kommen? Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen: Der falsche
Kurs kommt daher, daß unsere Steuerleute überhaupt keinen Kompaß haben. Gerade
die am meisten mit ihrer "Fortschrittlichkeit" prahlende derzeitige
"Elite", die Ingenieure modernster virtueller Scheinwelten, die
Konstrukteure modernster Biokonstrukte, die Erfinder abstruser
Gesellschaftsideologien, die Propagandisten und Nutznießer eines pervertierten
Geldwesens, die Anbeter einer von exponentiellem "Wachstum"
abhängigen und damit auf Zusammenbruch programmierten Wirtschaft ‑ sie
alle sind aus einem über Jahrtausende erreichten Status der menschlichen
Evolution wieder weit zurückgefallen, was viel schlimmer ist, als diesen Status
gar nicht erst erreicht zu haben:
Die Weiterentwicklung unserer
Handlungsfreiheit und unserer Intelligenz gegenüber derjenigen von Tieren ist
gekoppelt gewesen an einen entsprechenden Verlust von Instinkt, der für uns
ehemals ähnlich wie heute noch für die Tiere der überlebensnotwendige Kompaß
allen Tuns und Lassens war. Als Kompensation wiederum für diesen Verlust ist
als eines der hauptsächlichen Merkmale des Menschenwesens, des Humanum die
Religiosität entstanden. Dieses Wesensmerkmal ist seitdem genauso unser
überlebensnotwendiger Kompaß wie einst der Instinkt und darf um Gotteswillen
nicht mit einer der vielen Ausdrucksformen derselben, einer Religion
verwechselt werden. Meine Beschreibung von Religiosität ist: Die Fähigkeit zur
bewußten Kommunikation mit dem Göttlichen, deren Bruder Tier und Schwester Pflanze
nicht bedürfen, weil sie ja noch "im Paradies", also ganz und gar
unbewußt durchgottet sind.
Entweder also werden unsere
Wirtschafts- und Politikzaren auf den heute zumeist als "kindlich"
belächelten Hinweis hören, daß menschliches Handeln ohne diesen Kompaß in die
Irre führen muß, und diesem Hinweis entsprechend rundum in fast allen Sektoren
an der vom anbrechenden Wassermannzeitalter geforderten Kurskorrektur mitwirken
... oder es kommt das nächste, noch erschreckendere Menetekel oder auch schon
gleich das, was mit Babylon und der Titanic geschehen ist.
Deswegen wiederhole ich, so
oft ich Gehör finde, die Forderung, um deren willen ich vor zwanzig Jahren bei
den Grünen ausgebuht worden bin: Wir müssen auf europäische Art das
verwirklichen, was Gandhi auf indische Art versucht hat ‑ eine von
Religiosität durchleuchtete und von volklicher Eigenart getragene Politik.
Als Fachmann wiederhole ich
den Vorschlag zur Verwirklichung der grundsätzlichen Forderung, den ich
erstmals 1987 gemacht habe. Der damalige schleswig‑holsteinische
Landwirtschaftsminister Günter Fleßner war bereit, zunächst in zehn Betrieben
die Effektivität einer solchen Agrarpolitik erproben zu lassen, und die
Landwirtschaftskammer hatte bereits im Bauernblatt ein Formular eröffnet, mit
dem Interessenten zu diesem Experiment sich melden konnten. Dann kam aber die
"Barschel‑Krise", und hier im Lande lief nichts mehr. Alle
späteren Versuche einer Reaktivierung stießen auf freundliches Schulterzucken
und den bedauernden Hinweis "... aber Bonn, ... aber Brüssel..."
Dennoch glaube ich auch heute noch, daß eine derart begründete und ausgerichtete
Agrarpolitik ein Beispiel und ein Vorläufer für die von all den Menetekels
geforderte Wende auf allen Gebieten von Wirtschaft und Politik sein könnte.
Daher nochmals meine zehn
Thesen zur bäuerlichen Landwirtschaft:
1. Urproduktion ist das
bedeutsamste Merkmal bäuerlicher Landwirtschaft. Bäuerliches Tun ist das
Steuern und Steigern von Naturprozessen innerhalb ihrer naturgegebenen
ökologischen Zusammenhänge. Unabhängig von der Hofgröße entsteht durch solche
Arbeit aus Lichtenergie und Bodenfruchtbarkeit vermehrte Lebensenergie. Außer
Energie (welche noch vor hundert Jahren ebenfalls ausschließlich diesem
Urprozeß entstammte ‑ in Menschen‑ und Pferdemuskeln) ist auch
heute noch zu dieser Wirtschaftsweise keinerlei Input erforderlich.
2. Industrielle Montage ist
das bedeutsamste Merkmal der heute noch "konventionell" genannten
Landwirtschaft. Agrarindustrielle Tätigkeit ‑ wiederum unabhängig von der
Betriebsgröße ‑ benutzt Tiere und Pflanzen als Apparate zur Herstellung
von Produkten aus weitgehend zugekauften Rohstoffen. Ähnlich wie in der übrigen
Konsumgüterindustrie erscheint dabei nur etwa die Hälfte des Inputs wieder im
Output. Alles andere wird Abfall, der wie der meiste industrielle Abfall
lebensfeindlich ist. Ökologische Zusammenhänge werden dabei gestört, manchmal
zerstört.
3. In der kapitalistischen
Marktwirtschaft ist Landwirtschaft, in welcher Form auch immer, nicht
konkurrenzfähig. Einer der Gründe für die prinzipielle Unmöglichkeit, als
landwirtschaftlicher Unternehmer einen wie in der Konsumgüterindustrie üblichen
Gewinn zu erwirtschaften, liegt in der begrenzten Umsatzgeschwindigkeit. Wenn
ein Unternehmen nicht mindestens zehnmal im Jahr sein Kapital umsetzt, geht es
heute pleite. Der Landwirt kann sein "Kapital" nur in mehreren Jahren
einmal umsetzen. Gewinne entstehen ja aber nur durch Umsatz.
4. Landwirtschaft ist heute
zugleich Unternehmen und Dienstleistung. Die in allen Industriegesellschaften
längst üblichen verdeckten oder offenen Subventionen verschleiern nur die
Tatsache, daß Landwirtschaft als reines Unternehmen heute nicht mehr möglich
ist. Es ist eine gesellschaftliche und also auch politische Entscheidung, ob
ein Staat "sich eine eigene Landwirtschaft leisten" will oder nicht.
Wenn ja, muß man auch bereit sein, die damit verbundenen Dienstleistung ebenso
zu honorieren wie jede andere.
5. Die Honorierung einer
nachweislich umweltbelastenden Tätigkeit ist unverantwortbar. Solche Halbheiten
wie "Stickstoffminimierung" und Roßtäuschereien wie
"integrierter Landbau" bedeuten keine Wende, sondern Vertuschung des
prinzipiellen Festhaltens am industriellen System. Mindestvoraussetzung
nachhaltig bäuerlichen Wirtschaftens ist der vollständige Verzicht auf
Mineraldünger, gemischten "Pflanzenschutz" und flächenunabhängige
Tierhaltung. Der damit geleistete Beitrag zur Umweltgesundung muß dann aber
auch honoriert werden.
6. Nicht mit Besitz, sondern
nur mit Arbeit kann man sich ein Honorar verdienen. Produkt‑ oder
flächenbezogene Subventionen (wie gehabt) sind asozial. Sie erlauben nur
Großbesitzern eine gewisse Abzweigung für persönlichen Bedarf. Die bisherige
Agrarpolitik ist mitschuldig am brutalsten Bauernlegen der europäischen
Geschichte. Also anstelle aller unwürdigen "Almosen‑Subventionen"
mindestens die Hälfte eines angemessenen Verdienstes für jede Vollarbeitskraft
im ökologischen Landbau, zur Zeit etwa 35.000 Mark pro Jahr aus öffentlichen Mitteln
als Honorar für Umweltschutz. Die andere Hälfte ist nach wie vor zu
erwirtschaften.
7. Eine derart ehrliche und
konsequente Agrarpolitik hätte auch bedeutsame soziale Effekte. Das Kleinbauerntum,
dieser unersetzliche Mosaikstein im Gesellschaftsbild aller europäischen
Kulturvölker, erhielte anstelle der nun auch in Polen drohenden Vernichtung
eine neue Chance. Dem gnadenlosen "Strukturwandel" wäre ein Ende
gesetzt.
8. Sozialer Effekt Nummer
zwei: Entlastung des Arbeitsmarktes. Der höhere Arbeitskräftebedarf je Hektar
im Kleinbetrieb und der allgemein höhere Arbeitskräftebedarf im ökologischen
Landbau sowie die Begünstigung arbeitsintensiver Kulturen, insbesondere eine
angemessene Bezahlung für die oft schwere Arbeit, würden ein Leben auf dem
Lande wieder für mehr junge Menschen attraktiv machen.
9. Sozialer Effekt Nummer
drei: Es würde nicht nur das Angebot biologischer Nahrungsmittel aus
kontrolliertem Anbau erheblich steigen, mehr und mehr ‑ je nachdem,
wieviel Landwirte sich zur Umstellung entschließen ‑, die Fabrikwaren aus
den Regalen zu verdrängen, sondern die nunmehr moderaten Preise würden sie auch
für Wenigverdienende erschwinglich machen.
10. Es bedarf keines
gesetzlichen Zwanges. Jeder Landwirt kann sich frei entscheiden, ob er weiter ‑
allerdings ohne jegliche Subventionen ‑ industriell produzieren will oder
ob er Ökobauer werden will. Außerdem kann das milliardenteure, undurchschaubare
Brüsseler Agrardickicht gerodet werden. Seine derzeitigen Nutznießer in
Bürosesseln und Handelskontoren können sich dann ihr Geld mit Unkrauthacken auf
einem Ökohof verdienen!
Baldur Springmann, 1912 im westfälischen Hagen geboren,
bewirtschaftet als Bio-Bauer seinen Hof in Mecklenburg-Vorpommern. Er war
Mitbegründer der Grünen und ist seit 1991 Mitglied der Unabhängigen Ökologen
Deutschlands (UÖD). Außerdem engagiert er sich in der Deutschen Aufbau‑Organisation
(DAO) von Alfred Mechtersheimer. Buchveröffentlichungen: "Partner
Erde" (1991) und seine Biographie "Bauer mit Leib und Seele"(1995).
Quelle:
"Junge Freiheit" vom 26. Januar 2001, Seite 14