Putin der Große
Moskau-Korrespondentin Gabriele
Krone-Schmalz spricht in Lübeck - Vom TV als Gastprofessorin in den Hörsaal
Lübecker Nachrichten: Von der
Costa Blanca nach Lübeck ‑ was führt Sie ausgerechnet in die Hörsäle der
Hansestadt?
Gabriele Krone‑Schmalz: Ich finde die Sache mit der
Gastprofessur in Lübeck spannend ‑ und ich freue mich sehr darauf.
LN: Aber Lübeck hat ja
nun keinen politischen Schwerpunkt an der Uni, sondern Medizin ...
Krone‑Schmalz: Um so besser. Gerade das Interdisziplinäre ‑
auch wenn das ein abgenutzter Begriff ist ‑ war mir immer wichtig.
LN: Nach Ihrem
Vortrag kann man eine Dreiviertelstunde diskutieren ‑was wünschen Sie
sich da von den Studenten?
Krone‑Schmalz: Interesse. Gerade junge Menschen fragen aus
echtem Interesse, habe ich festgestellt. Weil sie etwas wirklich wissen wollen.
Das bringt auch denjenigen, der antwortet, weiter.
LN: Sie sprechen
über Russland unter Putin . . .
Krone‑Schmalz: Ja, haben wir terminlich gut hingekriegt, wenn
man sich die aktuellen Ereignisse ansieht.
LN: Genau. Müssen
Sie jetzt bei der aktuellen Jukos‑Affäre ihr gesamtes Konzept
überarbeiten?
Krone‑Schmalz: Eben nicht, eben nicht. Das ist ja das Tolle.
LN: Weil. . ?
Krone‑Schmalz: Weil ich auch in meinen Vorträgen versuche, die
Dinge in anderen Ländern ‑ auch wenn das schwierig ist ‑ nicht mit meiner
eigenen Brille zu sehen.
LN: Und welche Brille
setzen Sie auf, wenn nicht ihre eigene?
Krone‑Schmalz: Eine möglichst faire. Ich versuche, mich in die
Lage derjenigen zu versetzen, über die ich berichte. Man kann nicht einfach
Dinge aus dem eigenen Land auf ein anderes Land übertragen. Sätze wie: Die
Russen haben oder wollen keine Demokratie sind nur dumm. Sonst nichts.
LN: Putins
Eingreifen, bewerten Sie das als ein Zeichen für mehr Demokratie in Russland
oder als ein Signal, dass er sich zum neuen Zaren aufschwingen will? Die
deutschen Medien sind sich da uneins.
Krone‑Schmalz: Wer Letzteres sagt, will sich wahrscheinlich
nur wichtig machen. Putin ist das Beste, was Russland nach Jelzin passieren
konnte und ich werde das in meinem Vortrag an konkreten Beispielen deutlich
machen. Viele werden sich wahrscheinlich wundern, wie leicht verheerende
Missverständnisse entstehen, wenn man sich in der Beurteilung nur auf seinen
eigenen Erfahrungshorizont verlässt.
LN: Möchten Sie in
so einem Moment nicht lieber in Moskau als in Spanien sein?
Krone‑Schmalz: Ich bin ja oft in Moskau. Aber ich muss nicht
mehr im Geschirr eines Auslandkorrespondenten sein. Vielleicht hört sich das
jetzt fast resignativ an ‑ soll es aber nicht. Aber ich habe keine Lust
mehr, mich mit Leuten rumzuärgern, die bestimmte Erwartungshaltungen haben, was
man aus Russland liefern muss.
LN: Der Ausspruch:
"Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen, an Russland muss man
einfach glauben" trifft der auf die jetzige Situation auch zu?
Krone‑Schmalz: Ja, und zwar in dem Sinne, dass man sich gegenseitig
auch mal 'was glauben muss, ohne immer gleich alles verstehen zu können. Das
hat etwas mit Vertrauen zu tun, ohne die eine Partnerschaft, die diesen Namen
verdient, nicht auskommt.
LN: Was ist so
anders in Russland?
Krone‑Schmalz: In Russland insgesamt ist mir aufgefallen, dass
Menschen mit Widersprüchen anders umgehen und zu sehr viel Differenzierung in
der Lage sind. Auch bei existenziellen Problemen. Bei uns ist immer gleich
Weltuntergang, wenn etwas nicht so funktioniert, wie wir wollen.
LN: Da sind wir in
Deutschland: Einen Neuanfang für dieses Land haben Sie bereits 1997 in ihrem Buch
"Anstiftung zum Neuanfang" gefordert ‑ startet er jetzt mit der
Agenda 2010 oder den Steuerreform‑Vorschlägen von Merz?
Krone‑Schmalz: Es ist zumindest mal ein Einstieg in die
richtige Richtung. Das denke ich schon. Aber ich fürchte, dass es auf dem Weg
dahin verwässert wird. Da wären wir beim Thema Demokratie: Setzen sich bei uns
Mehrheiten durch oder nur lautstarke Minderheiten, die der Mehrheit verkaufen,
was gerecht sein soll.
LN: Stichwort
Pressefreiheit: Deutschland, Russland ‑ ein Vergleich?
Krone‑Schmalz: Das ist natürlich schwierig. Ich wäre
vorsichtig, zu behaupten, ‑ dass es irgendein Land in der Welt gibt, in
der Pressefreiheit zu hundert Prozent umgesetzt ist. Es muss gar nicht Zensur
sein, doch reicht oft die Schere im Kopf. Und da ist bei uns vieles im Argen.
Jede Menge.
LN: Trotz alledem.
Geben Sie den Studenten ein Motto mit auf den Weg ...
Krone‑Schmalz: Da halte ich es mit Dostojewski: "Es ist nicht
der Verstand, auf den es ankommt, sondern auf das, was ihn leitet: Herz und
Charakter."
Interview:
Josephine von Zastrow
Quelle:
Lübecker Nachrichten vom 5.11.2003