Neue Weltordnung (2)
Das Recht der Völker auf
Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit sind nur hohle, wenngleich psychologisch
wirksame Begriffe, die beliebig aufgefüllt der Täuschung und der Manipulation
dienen und von denen letzten Endes doch nur übrigbleibt, was das »internationale
Sittenregiment« der Hüter der Wahrheit erlaubt. Danach richten sich die Inhalte
von Gut und Böse, von Moral und Unmoral, und danach werden sie irgendwann auch
zu messen sein, wenn die »höheren Endzwecke« erreicht sein werden: Und das sind
auch die durchgängigen Spuren, die sich seit den Tagen des Spartacus Weishaupt
nicht mehr bloß im verschwörerischen Untergrund verfolgen lassen. Die
Revolutionen mit ihren Wechselbädern von Horror und dem Erfolgserlebnis
scheinbarer Befreiung; der Fortschritt, der das Leben erleichtert und zugleich
gefährdet und den Brzezinskis die Möglichkeit eröffnet, mit allermodernsten
Techniken das Volksverhalten zu beeinflussen, die Gesellschaft wie den
einzelnen genauestens zu kontrollieren und zu überwachen; die Zerschlagung der
Monarchien, möglicherweise nach dem Prinzip, etwas zu verlieren, um
andererseits um so mehr zu gewinnen; der Nationalismus als »gigantischer
Schritt« in der »fortschreitenden Neudefinition vom Wesen des Menschen«; der
»Kommunismus als Sieg des Denkens über den Glauben. Die »Neuordnungskriege«
dieses Jahrhunderts und auch Hitler und das Dritte Reich sind letzten Endes
also notwendige Ecksteine im Haus der Neuen Ordnung, Stationen und Durchgänge
auf dem Weg zur Weltherrschaft einer kleinen, aber mächtigen Elite, für die
selbst die Mächte des Kapitals möglicherweise nur Werkzeuge sind.
Hitler ist in der Geschichte
der Neuen Weltordnung lediglich ein Synonym für eine ganze Reihe von Hitlers,
die, vor den Karren der illuminierten Weltordnung gespannt, die Menschheit in
die geplante Zukunft ziehen, führen, locken und prügeln. Hitler ist gewiß nicht
tot. Er hat bloß verschiedene Gestalten, Gesichter, Namen, verschiedene Rollen:
die des Diktators, des Massenmörders, des Demokraten, des Rebellen und Revolutionärs,
des Friedensstifters, des unkritischen Mitläufers, des zynischen Ehrgeizlings,
des Verführten und des Verführers, des Welterlösers und des Vernichters, des
»rex mundi« und des »nützlichen Idioten« im relativen Guten wie im relativen
Bösen.
Heute verfügen die
Neuerschaffer der Welt, eben dank des Fortschritts, bereits über jene
unbegrenzte Macht, die der Vision eines Brzezinski von der technotronischen
Gesellschaft zugrunde liegt. Die ganze Bandbreite an Möglichkeiten
psychologischer, intellektueller, politischer, ja auch religiöser Manipulation
steht ihnen zur Verfügung. Gerade weil der einzige Wertmaßstab der Hüter der
Wahrheit die nackte Macht über Mensch
und Gesellschaft ist, können sie
sich auch jedes Mythos bedienen, der ihren Endzwecken dienlich ist: irgendeiner
kosmologischen Ordnung, irgendeiner Religion, irgendwelcher traditioneller
Werte oder Hierarchien in jeder beliebigen verführerischen Verpackung. Die
Instrumentarien stehen ihnen zur Verfügung, um auf viel subtilere Weise, als
dies je zuvor möglich war, nach der Seele des gerade heute immer mehr unter dem
Eindruck seiner Mediokrität und Bedeutungslosigkeit leidenden Menschen zu
greifen und ihr durch gezielte Verwirrung die vielleicht mögliche Erkenntnis
einer höheren Wirklichkeit zu verbauen. Viel wirksamer als dies die roten
Fahnenmeere der Kommunisten und die Aufmärsche der Nationalsozialisten aus dem
Thule-Reich jemals vermochten, können sie in jedem Wohnzimmer dem Menschen
jene Rituale, jene Schauspiele, jenen Pomp und jene Farbenpracht bieten, mit
denen gerade der moderne Geist zu manipulieren, mit denen mit den Emotionen des
einzelnen wie der Masse nach Belieben zu spielen ist. Dank ihrer vielen
freiwilligen und unfreiwilligen Helfershelfer können sie der Menschheit sogar
einen Krieg als ästhetisches technisches Vergnügen der Neuen Weltordnung
verkaufen.
Die Frage ist, wann, wie es in
den Protokollen (der Weisen von Zion, d.V.) heißt, endgültig »die Zeit unserer
offenen Herrschaft kommt, da wir ihre Segnungen verkünden können«. Die Frage
ist auch, wie sie kommt. Ob wir uns nun in der von Meister Pike vorausgesagten
Phase der Neuordnung befinden, da sie endgültig »die Nihilisten und Atheisten loslassen«,
einen »gewaltigen gesellschaftlichen Zusammenbruch provozieren, der in seinem
ganzen Schrecken den Nationen die Auswirkungen von absolutem Atheismus, dem
Ursprung der Grausamkeit und der blutigsten Unruhen vor Augen führen wird«. Ob
tatsächlich eintritt, was Pike geschrieben hat: »Dann werden die Bürger ‑
gezwungen, sich gegen die Minderheit der Revolutionäre zur Wehr zu setzen ‑
jenen Zerstörer der Zivilisation ausrotten, und die Mehrheit der Menschen wird,
gottgläubig wie sie ist, nach der Enttäuschung durch das Christentum und daher
ohne Kompaß, besorgt nach einem Ideal Ausschau halten, ohne jedoch zu wissen,
wen oder was sie anbeten sollen ( ... )«
Gibt es eine Alternative?
Vermutlich nicht. Es ist zumindest keine in Sicht. Jedenfalls keine, die über
die Möglichkeit des einzelnen hinausgeht, für sich selbst die Wahrheit zu suchen,
um sich so der stufenweisen Umerziehung zu einem Zombie der Neuen Weltordnung
entgegenzustellen.
Vielleicht ist es schon ganz
gut zu wissen, wem man letzten Endes sein Glück oder Unglück verdankt, und
vielleicht liegt darin sogar die Möglichkeit einer Alternative: so schnell und
so viel wie möglich über unsere Lage herauszufinden.
Quelle: "Das schwarze Reich - Geheimgesellschaften und Politik im
20. Jahrhundert" von E. R. Carmin, 5. Auflage, München 2000, S. 614 - 616