My Lai
Aus der Begründung des Bezirksrichters Elliott
in dem Urteil vom 25.9.1974 über die Aufhebung
des Urteils gegen den Oberleutnant Calley
wegen des Massakers von My Lai:
Krieg ist Krieg, und es ist, keineswegs
ungewöhnlich, daß unschuldige Zivilisten, wie die Opfer von My Lai, getötet werden. In der gesamten überlieferten
Geschichte war das so. Es war so, als Josua Jericho einnahm. Josua wurde
allerdings nicht wegen Mordes an der Zivilbevölkerung Jerichos angeklagt. Aber
schließlich, so sagt man uns, stand ja Gott auf Seiten Josuas. Als russische
Truppen 1565 die polnische Grenzstadt Polozk besetzten, befahl Iwan der
Schreckliche, die gesamte jüdische Bevölkerung zu ertränken. Im zweiten
Weltkrieg befahl Churchill der Royal Air Force, deutsche Städte in der Nacht
mit Bombenteppichen zu belegen, und Eisenhower ließ seine Bomberarmada das
Gemetzel bei Tag fortsetzen. Eine halbe Million Deutsche kamen dabei um, doch
Churchill wurde als der große Mann des 20. Jahrhunderts gefeiert und Eisenhower
wurde zweimal zum Präsidenten gewählt. Truman ließ Hiroshima bombardieren,
wobei 80.000 Menschen, meist Frauen und Kinder, den Tod fanden, doch er wurde
später zum Präsidenten gewählt. Der Krieg ist die Hölle, und wenn wir einen
jungen Mann in die Armee aufnehmen und ihn zum Töten ausbilden, ihm beibringen,
Befehlen zu gehorchen, und ihn in ein fremdes Land schicken, und wenn er dann
in der Verwirrung des Kampfes etwas tut, was lange nach dem Geschehnis zu einer
Anklage wegen Kapitalverbrechens führt, dann verlangt einfach die
Gerechtigkeit, daß er von der Presse, von seiner Regierung und von der
Waffengattung, bei der er diente, fair behandelt wird. Statt
dessen ist Calley von der Presse drangsaliert
und angeprangert, vom Fernsehen verhöhnt und besudelt worden. Seine Regierung
verwehrte ihm den Zugang zu Beweismitteln, seine Eingaben beim
Justizministerium blieben unbeantwortet, seine Verurteilung sollte als
Katharsis zur Reinigung des nationalen Gewissens und Hebung des Ansehens der
Armee dienen. Sein Land versagte ihm nicht nur einen fairen Prozeß, es versagte
ihm sogar die eine faire Chance für einen fairen Prozeß.