Manipulierte Demokratie
»Das Gefühl, daß die
Demokratie noch nicht die rechte Form der Freiheit sei, ist ziemlich allgemein
und breitet sich immer mehr aus. Die marxistische Demokratiekritik kann man
nicht einfach beiseite schieben: Wie frei sind Wahlen?
Wie weit ist der Wille durch
Werbung, also durch Kapital, durch einige Herrscher über die öffentliche
Meinung manipuliert?
Gibt es nicht die Oligarchie
deren, die bestimmen, was modern und fortschrittlich ist, was ein aufgeklärter
Mensch zu denken hat?
Die Grausamkeit dieser Oligarchie,
ihre Möglichkeit öffentlicher Hinrichtungen, ist hinlänglich bekannt Wer sich
ihr in den Weg stellen möchte, ist Feind der Freiheit, weil er ja die freie
Meinungsäußerung behindert.
Und wie ist es mit der
Willensbildung in den Gremien demokratischer Repräsentation?
Wer möchte noch glauben, daß
das Wohl der Allgemeinheit dabei das eigentlich bestimmende Moment ist? Wer
könnte an der Macht von Interessen zweifeln, deren schmutzige Hände immer
häufiger sichtbar werden?
Und überhaupt: Ist das System
von Mehrheit und Minderheit wirklich ein System der Freiheit? Und werden nicht
Interessensverbände jeder Art zusehends stärker als die eigentliche politische
Vertretung, das Parlament? In diesem Gewirr von Mächten steigt das Problem der
Unregierbarkeit immer drohender auf. Der gegenseitige Durchsetzungswille
blockiert die Freiheit des Ganzen.«
Quelle: Kardinal Ratzinger (späterer Papst Benedikt XVI.) in einem
Aufsatz zum Thema "Freiheit und Wahrheit" in "1848 - Erbe und
Auftrag", Graz 1998