Links-Rechts-Übereinstimmungen
Nicht irgendeine bestimmte
Klasse oder soziale Schicht, sondern das »ungeteilte Volk« ist Träger dieses
Sozialismus, der als Verkörperung des »modernsten und einzig wissenschaftlichen
Sozialismus« Kapitalismus und Sozialismus aufheben soll: in der Herrschaft der
Politik über das Kapital. Der Sozialismus der Neuen Rechten ergibt sich aus der
»Bereitschaft, nationale Solidarität zu üben«, als dem sozialistischen Maßstab
für den Wert des einzelnen Menschen: Jeder wirkliche Nationalist ist, dem auf Naturanschauung
beruhenden Ganzheitsdenken entsprechend, notwendigerweise auch Sozialist.
Letzten Endes hat die neurechte Konzeption eines Europäischen Sozialismus
weniger eine ökonomische, sondern eine strategisch‑politische Bedeutung
als gesamtkontinentale Revolution: eben als Kapitalismus und Sozialismus
überwindender dritter Weg, wie er auch von osteuropäischen Theoretikern wie Ota
Sik skizziert wurde, den die Neue Rechte als Bundesgenossen adoptierte.
Die nationalistische Konzeption
der Neuen Rechten hat verschiedene Ebenen, wobei der gesamtdeutschen
(Österreich einschließenden) nach der Wiedervereinigung ebenso eine neue
Bedeutung zukommt wie der großdeutschen beziehungsweise kontinentalen
Konzeption, die gegen beide Blöcke gerichtet war: Während sich die alten
Nationalismen gegenseitig ausschlossen, so daß es immer wieder zu
Zusammenstößen kam, begreift sich der Nationalismus der Neuen Rechten als
befreiend, weil er »solidarisch« gegen Unterdrückung und Überfremdung gerichtet
ist und solcherart die ihm innewohnende Aggressivität in eine schöpferische
Kraft umwandelt. Der neurechte Nationalrevolutionär sah und sieht sich seit jeher
als eine gesamteuropäische Gestalt, die in West und Ost in verschiedenen
Erscheinungsformen auftritt. Die Ukrainer, Krimtartaren, Litauer, Armenier und
die zahlreichen sowjetisch unterdrückten und »überfremdeten« Randvölker der
UdSSR waren daher stets die natürlichen Verbündeten der Neuen Rechten, selbst
wenn sich der Kampf um die nationale Eigenart in »national‑kommunistischer«
Form äußerte. Solidaritätsaktionen für die osteuropäische und innersowjetische
Opposition standen daher an allererster Stelle der neurechten Aktivitäten mit
dem Ziel, eine einheitliche revolutionäre Front zwischen Nationalrevolutionären
und Nationalkommunisten zu schmieden. Seit den siebziger Jahren gab es kaum ein
gegen Systemkritiker gerichtetes Gerichtsurteil in Osteuropa, das die Neue
Rechte nicht mit Flugblättern, Unterschriftenaktionen oder Demonstrationen
beantwortet hätte. Es ist daher kein Zufall, daß neurechte Theoretiker zu
denselben Schlüssen kamen wie etwa der marxistisch-leninistische polnische
Philosoph Leszek Kolakowski, der in der Nationalisierung des Kommunismus einen
der »wichtigsten Faktoren im politischen Kräftespiel des 20. Jahrhunderts«
ortete und als Ausweg aus dem Dilemma eine Synthese von Kommunismus und
Sozialismus sah.
Selbst wenn sie sich
bekämpften und äußerlich zwischen den Neuen Rechten und den Neuen Linken wenig
Gemeinsamkeit zu bestehen schien, so waren sie sich vor allem in national‑sozialistischer
Strategie und Taktik durchaus verbunden. Sowohl Bernd Rabehl als auch Rudi
Dutschke befürworteten den Nationalismus als »revolutionäres Instrument«. Aus
verschiedenen Notizen Rabehls geht hervor, daß er es ablehnte, den Nationalismus
auf eine faschistische Haltung zurückzuführen. Seine positive Rolle in der Französischen,
Russischen, Jugoslawischen und Chinesischen Revolution sei unverkennbar.
Wörtlich schrieb er sogar: »Die marxistische Linke muß Ansätze des
Nationalismus weitertreiben, gerade auf den neuralgischen Punkt, daß
Deutschland geteilt wurde durch den Bundesgenossen USA [ ... ] Der
Nationalismus in dieser Form ist eine Art Sammlung, schafft ein Bündnis
zwischen den einzelnen Sozialisten, die dadurch politisch wirksam werden
können.« Rudi Dutschke ging noch einen Schritt weiter und rechnete in diesem
Zusammenhang mit SPD und KPD auch die NSDAP zu den »bedeutendsten deutschen
Arbeiterparteien«. »Allein schon diese Abweichung von der kommunistisch‑sozialistischen
Schablone, die den Nationalsozialismus als kleinbürgerlich strukturiert und
großbürgerlich finanziert hinzustellt, ließ auch bei Dutschke eine neue Form
des nationalen Sozialismus zu, wie sie zur gleichen Zeit von den ersten Gruppen
der Neuen Rechten angestrebt wurde.«
Während Neue Rechte und Neue
Linke in anderen Ländern wie vor allem in Frankreich oder im spanischen
Baskenland vielfach gemeinsam agierten, kam es in Deutschland freilich zu
keiner Aktionseinheit zwischen den beiden Polen der Jugendbewegung: Die Linke
bildete sich als neue Form des Antifaschismus, die Rechte sah sich unter
anderem in der Tradition der Waffen‑SS. Nur scheinbar kurioserweise
stellte aber gerade auch in Deutschland der National‑Sozialismus neben
vielen anderen fundamentalen Gemeinsamkeiten sozusagen die ideologisch‑strategische
Klammer dar, die die Neue Linke wie die Neue Rechte auf eine gemeinsame
Frontlinie in diesem bedeutenden »Kräftespiel des 20. Jahrhunderts« stellte.
Quelle: "Das schwarze Reich. Geheimgesellschaften
und Politik im 20. Jahrhundert" von E. R. Carmin, München 1994, 5. Auflage
2000, S. 546-548
Gegenüber diesen
Niedergangstendenzen hebt sich das Engagement des früheren Linksterroristen
Horst MAHLER in bemerkenswerter Weise ab. Er trat nicht nur auf Veranstaltungen
der unterschiedlichen rechtsextremistischen Organisationen als Referent auf,
sondern veröffentlichte in den verschiedenen rechtsextremistischen
Publikationsorganen Interviews und Kommentare und scheute selbst Kontakte in
das neonazistische Lager nicht. Zusammen mit anderen ehemaligen Angehörigen des
»Sozialistischen Deutschen Studentenbundes« (SDS) der 68er-Bewegung, wie dem
mittlerweile zum rechtsextremistischen Theoretiker gewandelten Dr. Reinhold
OBERLERCHER, veröffentlichte MAHLER eine »Kanonische Erklärung zur Bewegung von
1968« in den »Staatsbriefen«. Darin wollten die Autoren klarstellen, dass diese
politische Strömung weder für die östliche noch für die westliche
Wertegemeinschaft aufgestanden sei, sondern sich für das Recht eines jeden
Volkes auf national‑ wie sozialrevolutionäre Selbstbefreiung eingesetzt
habe. Das deutsche >Achtundsechzig< sei nach dem Nationalsozialismus der
zweite Revolutionsversuch gegen die Weltherrschaft des Kapitals gewesen. Mit
ihrer >Kanonischen Erklärung< wollten die Unterzeichner die 68er‑Bewegung
im nationalrevolutionären Sinne uminterpretieren, um so ehemalige Anhänger der
damaligen »Neuen Linken« für eine Orientierung nach >rechts< zu
mobilisieren. Dieses Ansinnen stieß indessen überwiegend auf scharfe Ablehnung.
Vor diesem Hintergrund muss
auch die von anderen rechtsextremistischen Intellektuellen formulierte Hoffnung
eines "Brückenschlags nach links" ‑ so Jürgen SCHWAB im NPD‑Organ
»Deutsche Stimme« und in dem Magazin >Signal< als bündnispolitische und
ideologische Öffnung als gescheitert angesehen werden. Zwar bestehen eine Reihe
von inhaltlichen und strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Rechts‑ und
Linksextremisten bei der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaats, die
starken politischen Vorbehalte der »Linken« dürften aber auch für die Zukunft
eine Annäherung beider Lager verhindern.
Quelle: "Verfassungsschutzbericht 1999" des Bundesministerium
des Innern, S. 71
Anmerkung: Es geht hier keinesfalls nur um die grundlegenden Aussagen von
Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Horst Mahler und Reinhold Oberlercher. Allerdings
ist es dem System als Inhaber der politischen und medialen Macht gelungen, die
flächendeckende Verbreitung solcher Tatsachen und Überzeugungen weitgehend zu
verhindern. Kaum etwas muß das System mit seinen Bütteln der
Gesinnungschnüffelei mehr fürchten als die raumgreifende Einsicht in den
erstaunlich hohen Grad der Übereinstimmung von "neulinken" und
"neurechten" Positionen. Eine Allianz dieser Kräfte hätte nämlich die
realistische Chance, dieses verlogene, verrottete, korrupte und ungerechte
System hinwegzufegen und zwar mit verfassungskonformen Mitteln. Deshalb agiert
natürlich auch der VS nach dem "altbewährten" Prinzip des "teile
und herrsche". Der entscheidende Schritt dagegen ist der kritische Umgang
mit dem Nationalsozialismus, der die Lügengeschichten der Siegermächte ebenso
entlarvt wie die NS-Apologien unbelehrbarer Menschenverächter.