Höchst zweifelhafte Kriegsverbrecherprozesse
Die alliierten Siegermächte machten sich große Sorgen, ob sie die deutschen Politikern und Soldaten in ihrer Greuelpropaganda angelasteten Verbrechen auch gerichtsfest würden beweisen können.
Der
Historiker Joseph Bellinger hob unter Verweis auf den britischen
Historiker Telford Taylor hervor, daß die Siegermächte sich 1945
zusätzlich Sorgen um ihre Beweislage für deutsche Kriegsverbrechen machten,
sie genau wußten, wie sehr ihre Kriegspropaganda der Beweisführung entbehrte.
Dieser Nachweis Jahrzehnte nach Kriegsende dürfte mit Recht als sensationell
empfunden werden.
"Außerdem waren die Probleme, die mit der Erbringung einwandfreier juristischer Beweise für die den Streitkräften der Achse angelasteten Taten verbunden waren, erheblich. Die kläglichen Ergebnisse, welche die diesbezüglichen Untersuchungen gezeitigt hatten, bereiteten den Westalliierten 1945 arges Bauchgrimmen.
Telford Taylor berichtet:
»unser
Hauptproblem war, daß wir nicht allzu viele Beweise für Kriegsverbrechen in der
Hand hatten ... und für die Erbringung solcher Beweise auf die Sowjetunion
angewiesen waren.
Nikitschenko
[der sowjetische Ankläger in Nürnberg] war gerne bereit, uns behilflich zu sein
und flog nach Moskau.«
Moskaus
Vorstellungen von 'fairen Prozessen' waren freilich etwas eigenwillig, um es
zurückhaltend auszudrücken. Die Sowjets sprachen sich für eine Hinrichtung der
'Hauptkriegsverbrecher' nach einem kurzen Schauprozeß aus und legten den
Engländern sogar nahe, gleich ein Exempel an Rudolf Heß zu statuieren, Hitlers
ehemaliger Stellvertreter, der sich in britischem Gewahrsam befand. Die
Briten lehnten dieses Ansinnen aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre
eigenen Kriegsgefangenen ab.
Obgleich
sich die Sowjets wiederholt großzügig anerboten hatten, das benötigte
Beweismaterial zu liefern, wollte Eden nichts von ihren Vorschlägen
wissen." (Joseph Bellinger: „Himmlers Tod – Freitod oder Mord?“, Kiel
2005, S. 35)
Auch in London hatte man
derweil Kenntnis genommen von zahlreichen sowjetischen „Kriegsverbrecherprozessen“
gegen deutsche Soldaten, deren verlogener Schauprozeßcharakter mit erfundenen
Beschuldigungen ("Gaswagen", "7.000 Morde in Krasnodar",
bis später zu den sieben nach einem sowjetischen Schauprozeß hingerichteten
deutschen Offizieren für die GPU-Verbrechen an über 4.500 polnischen Offizieren
im Wald von Katyn) allzu offensichtlich war und dem Stalin-Schema der
"Säuberungsprozesse" aus den dreißiger Jahren entsprach. Bei diesen
Kriegsprozessen war offensichtlich geworden, daß sie vielfach sogar
sowjetische Täterschaft kaschieren sollten.
Jedenfalls
erhielten die Westalliierten nicht die angeforderten Beweise, selbst nicht für
Auschwitz, die sie seit Februar 1945 mehrfach angemahnt hatten. Den schließlichen
"Untersuchungskommissionsbericht" aus Moskau vom 7. Mai 1945 nahmen
sie ungläubig und sprachlos entgegen, enthielten sich jeglichen offiziellen
Kommentars, bemühten sich gar nicht erst um eine Überprüfung vor Ort und
verweigerten sogar seinen Abdruck in den Protokollbänden des IMT.
Statt
Beweise zu liefern "verstärkten auch die sowjetischen Propagandisten
ihre Greuelpropaganda gegen Deutschland" — ebenso wie Großbritannien
spätestens seit Februar 1944, hier allerdings "zwecks Ablenkung der Öffentlichkeit
von den zu erwartenden Bestialitäten durch die vordringende Rote Armee" (Edward
Rozek: „Allied Wartime Diplomacy – A Pattern in Poland“, London 1958, S. 209 f) -, indem sie z.B. auch verkündeten, das
Oberkommando der Wehrmacht erziehe die deutschen Soldaten dahingehend, "die
überwältigende Mehrheit der Völker der Sowjetunion auszurotten".
(Bellinger, a.a.O.)
Das britische Informationsministerium sowie die Geheimdienste bemühten
sich gegen Kriegsende verstärkt, Bürger aus den von deutschen Truppen besetzten
Ländern aufzurufen, Greueltaten der Okkupanten zu melden. Im Ergebnis führte
dies zu einer Flut von erfundenen Geschichten und Meldungen mit überstürzten
Verurteilungen und Hinrichtungen wahllos beschuldigter Kriegsgefangener, und
zwar nicht nur der angeprangerten "Täter", sondern auch von "Begünstigern
der Greueltaten". (Bellinger, S. 33)
Führende Männer in England haben - wenn auch weitgehend ergebnislos -
gegen diese Methode Bedenken vorgetragen:
"Victor
Cavendish-Bentinck, Vorsitzender des Joint Intelligence Committee (Gemeinsames
nachrichtendienstliches Komitee) war inmitten der ganzen Kriegshysterie dazu
aufgefordert worden, handfeste Beweise für Greueltaten zu erbringen, doch war
er der Ansicht, es sei »gefährlich«, konkrete Fälle genau zu schildern. Die
Deutschen ... könnten beeidigte Aussagen vorlegen, die vorgeblich von Bewohnern
der Orte stammten, wo die Greuel verübt worden seien, oder gar eine
Untersuchung durch Neutrale vorschlagen.
Bentinck,
der
während des Ersten Weltkrieges felsenfest an die den Deutschen damals von den
alliierten Propagandisten zur Last gelegten Untaten geglaubt hat, gab
freimütig zu, daß es schwierig sein würde, viele der gegenwärtig erhobenen
Anklagen zu beweisen. ...Er selbst stehe den zur Zeit eintreffenden Berichten
skeptisch gegenüber, insbesondere jenen aus der Sowjetunion, die er als
»Produkt slawischer Einbildungskraft« abtat: er wies daraufhin, daß
Großbritannien
selbst »bei verschiedenen Anlässen Gerüchte über Greuel und Scheußlichkeiten
in die Welt gesetzt habe« und schloß:
»Ich
hege keinen Zweifel daran, daß dieses Spiel weit verbreitet ist.« (Arieh Kochavi: „Prelude to Nuremberg: Alied War Crimes Policy and the
Question of Punishment“, Chapel Hill: University of North Carolina Press 1998,
S. 16 + 29)
Er
fügte hinzu, daß, obgleich Großbritannien aus verschiedenen Quellen Berichte
über deutsche Missetaten erhalten habe, sei es nicht in der Lage, die auf
Fakten fußenden Berichte von den unwahren zu unterscheiden.
Ungeachtet
dieses unverkennbaren Mangels an Beweisen für Greueltaten gewann die Kampagne
zur sofortigen Hinrichtung gefangengenommener feindlicher Führer — nicht aber
bloßer Vollstrecker — an Stärke. ...
»Der britische Außenminister [Anthony Eden] war der Ansicht, man müsse zwischen hochrangigen
feindlichen Führern wie Hitler, Mussolini, Göring, Goebbels und Himmler,
für die ein juristisches Verfahren unangemessen sei, und anderen Personen
untergeordneten Ranges unterscheiden. Seiner Auffassung nach ist die Schuld
dieser Männer so groß, daß sie nicht mit den Maßstäben eines juristischen
Verfahrens gemessen werden kann.«" (Kochavi, a.a.O.; Bellinger,
S. 34)
Sorgen machte den britischen Kriegspolitikern vor allem, daß
"Kriegsverbrecherprozesse" den führenden Deutschen "Gelegenheit
für lange Reden" und damit Rechtfertigungsmöglichkeiten für ihr
Handeln geben würden, was unter allen Umständen zu verhindern sei. Bei einem im
Büro von Winston Churchill verfaßten britischen Regierungsdokument vom
17. September 1944 war als wichtiger Grund zur Verhinderung solcher Prozesse
auch "die schwierige Beweislage" hervorgehoben worden:
"...
Es scheint, daß die Methode des Prozesses, des Schuldspruchs und des
gerichtlichen Urteils für berüchtigte Bandenführer wie Hitler, Himmler,
Göring, Goebbels und Ribbentrop ganz unangemessen ist. Abgesehen von
den enormen Schwierigkeiten bei der Zusammensetzung des Gerichts, der
Formulierung der Anklage und der Sammlung des Beweismaterials ist die Frage
nach dem Schicksal dieser Leute politischer und nicht juristischer
Natur." (Bellinger, S. 46)
Erst
nach dem Tod Adolf Hitlers und Heinrich Himmlers einigten sich
die Alliierten bekanntlich auf ihre neue "Rechtskonstruktion" des
Londoner Protokolls vom 8. August 1945. Ein von ihnen eingerichteter
"Internationaler Militärgerichtshof" nahm danach in Nürnberg unter
den von ihnen kodifizierten Richtlinien seine Tätigkeit im "Namen
internationalen Rechts" auf. Die "schwierige Beweislage" wurde
u.a. auch damit überwunden, daß laut Londoner Vertrag die
"Militärrichter" an keine Beweisregeln gebunden waren (Art. 19) und "allgemein
bekannte historische Tatsachen von amtswegen zur Kenntnis zu nehmen
hatten" (Art. 21), also daran gehindert wurden, sie zu überprüfen.
Dies betraf auch alle Dokumentenfälschungen, erpreßte Geständnisse in
alliierter Regie und selbst fragwürdigste, von den Siegerregierungen
präsentierte, Zeugenaussagen. (IMT = Der Prozeß gegen die
Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 – 1. Oktober 1946“, Nürnberg 1947, Bd. I S. 7 – 19)
Quelle: Siegfried Egel in
“Historische Tatsachen” Nr. 96, S. 6f („Sorge um fehlende Beweise“)