Kollektive Idiotie
Auch Du hast Kennedy erschossen: ... Der Schock, daß
Halbgötter durch eine Kugel sterben können, findet seinen Ausdruck im
Erstaunen, daß der Tote wirklich tot ist. In Wahrheit wird durch den Rummel
nach dem Mord vorgetäuscht, in einer Welt austauschbarer Marionetten sei ein
Kennedy nicht austauschbar und ein einzelner könne noch Geschichte machen, wo
doch jeder nur noch wollen kann, was er soll, und wo doch die autonomen Mechanismen
der repressiven Gesellschaft in jedem einzelnen zwangsläufig sich
reproduzieren. Der Pseudokrise folgt der vorgetäuschte
Notstand, und dieser wieder legitimiert den Zwang zur totalen Anpassung. Die
manipulierte Hysterie und die kostenlos konsumierte Tragik erzeugen
Zusammenhalt. Der Genuß des Schmerzes ist das Abzeichen der kollektiven
Idiotie, und das schwülstige Gefühl der Gemeinschaft kann in einer
Gesellschaft, wo jeder von jedem perfekt abgekapselt in der Isolation verharrt,
nur noch durch gesteuerte Massenpsychosen suggeriert werden ... die westliche
Wohlstandsgesellschaft braucht solche Pannen wie Lengede und Kennedy, um an
Hand der Reaktion zu testen, ob noch alle gleichgeschaltet sind: Durch dieses
Manifest geben wir kund, daß der gegängelte Zauber nicht mehr überall ankommt.
Wer das alles nicht versteht, will es nicht verstehen und untermauert nur die
Wahrheit dieser Sätze; gleichzeitig entpuppt er sich als devoter
Befehlsempfänger gesamtgesellschaftlicher Dogmen.
Quelle: Subversive
Aktion, Flugblätter einer Münchener Studentengruppe, Dezember 1963