Heines Prophezeiung im Jahre 1835
»Doch noch schrecklicher als
alles wären Naturphilosophen, die handelnd eingriffen in eine deutsche
Revolution und sich mit dem Zerstörungswerk selbst identifizieren würden. Denn
wenn die Hand des Kantianers stark und sicher zuschlägt, weil sein Herz von keiner
traditionellen Ehrfurcht bewegt wird, wenn der Fichteaner mutvoll jeder Gefahr
trotzt, weil sie für ihn in der Realität gar nicht existiert: so wird der
Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, daß er mit den ursprünglichen Gewalten
der Natur in Verbindung tritt, daß er die dämonischen Kräfte des
altgermanischen Pantheismus beschwören kann und daß in ihm jene Kampflust
erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden und die nicht kämpft, um zu
zerstören, noch um zu siegen, sondern bloß, um zu kämpfen. Das Christentum ‑
und das ist sein schönstes Verdienst ‑ hat jene brutale germanische
Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn
einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor
die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die
nordischen Dichter soviel singen und sagen. Jener Talisman ist morsch, und
kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht. Die alten steinernen Götter
erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen
Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und
zerschlägt die gotischen Dome. ...
Lächelt nicht über meinen Rat,
den Rat eines Träumers, der euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen
warnt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen
dieselbe Revolution erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefunden. Der
Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist
freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam
herangerollt; aber kommen wird er, und wenn ihr es einst krachen hört, wie es
noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner
hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusche werden die Adler aus der
Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die
Schwänze einkneifen und sich in ihren königlichen Höhlen verkriechen. Es wird
ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution
nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte. . . . Wie auf den Stufen eines
Amphitheaters werden die Völker sich um Deutschland herumgruppieren, um die
großen Kampfspiele zu betrachten.... Ihr habt von dem befreiten Deutschland
mehr zu befürchten als von der ganzen Heiligen Allianz mitsamt allen Kroaten
und Kosaken. ... Es mag in Deutschland vorgehen, was da wolle, es mag der
Kronprinz von Preußen oder der Doktor Wirth zur Herrschaft gelangen, haltet
euch immer gerüstet, bleibt ruhig auf eurem Posten stehen, das Gewehr im Arm.«
Quelle: Heinrich Heine "Werke und Briefe in zehn Bänden" Band
5, herausgegeben von Hans Kaufmann, Berlin / Weimar 1980, S. 306 - 308