Holger Strohm: „GAIA weint“
oder
Das Wunder des Seins und das
Böse
Immenstelle 10
D-23879 MÖLLN
Tel: +49 (0)4542 4300
Fax: +49 (0)4542 7300
Als Teilvorabdruck
präsentieren wir das Vorwort des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesumweltministerium
Michael Müller (SPD)
DIE
FALSCHE EINRICHTUNG DER WELT ERKENNEN
von
Michael Müller
Die falsche Einrichtung der
Welt, das wissen wir von Max
Horckheimer, ist die Ursache für Krisen,
Unordnung und
Ungleichheit. Zwar werden
mit der globalen
Informationsgesellschaft die
eklatanten Widersprüche in der
Verteilung von Macht,
Chancen und Reichtum allen Menschen,
gleich wo sie auf dem Globus
zu Hause sind, vor Augen geführt.
Dennoch geschieht wenig,
denn zugleich sind auch die
Mechanismen der
Manipulation, Verschleierung und
Herrschaftssicherung
subtiler und wirkungsvoller geworden.
Vor allem überwiegt das
Gefühl der Ohnmacht, sich gegen den
„Sachzwang
Weltmarkt“ (Helmut Schmidt) durchsetzen zu können.
Für die positive Alternative
fehlt eine konkrete Utopie, wie eine
soziale Ordnung aussehen
kann, die in der Globalisierung allen
Menschen zu Gute kommt.
Einfache Lösungen gibt es dafür
allerdings
nicht.
Warum
aber tun wir uns so schwer, einen eigenen Weg der sozialen
und
ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
zu gehen? Das hat viel mit
einer Gefangenheit in einem verengten
Denken zu tun, dass eine
Gesamtsicht erschwert, eine
Durchdringung von
Zusammenhängen verhindert und eine
Ablösung von
eingeschliffenen Mustern blockiert.
Und es hat auch viel mit
Egoismus, Geld und Macht zu tun, mit
dem Reiz des
Globalismus, in dem Benjamin Barber eine
gigantische Affenfalle sieht. Das ist eine Kiste mit einem Loch in
der Oberseite, in der eine
Kokosnuss liegt. Der Affe will sie
unbedingt herausholen, aber
er schafft es nicht, denn das Loch ist
kleiner als die Frucht, also nicht groß genug, um
das Objekt der
Begierde
zu bekommen.
Die
Falle funktioniert perfekt. In seiner Gier zieht der Affe den
Arm nicht zurück, sondern
hält die Nuss solange fest, bis er
entweder
gefangen wird oder verhungert ist. Er kann sich dem Reiz
der
Frucht nicht entziehen. Übertragen heißt das: Die
Kommerzialisierung
der Welt übt einen schizophrenen Reiz aus.
Obwohl
Angst und Unsicherheit überwiegen, vermittelt sie die
Illusion von Überlegenheit
und Wohlstand, der sich kaum einer
entziehen
kann.
Offenkundig
halten uns die Zwänge der Gegenwart so sehr in
Atem, dass wir fast nur noch
die aktuellen Probleme sehen, deren
Triebkräfte wir genauso
wenig verstehen wie wir die Chancen und
die
Möglichkeiten der weiteren Zukunft erkennen. Diese
Unfähigkeit
kommt nicht von ungefähr.
Nach Eric Hobsbawm ist
eines der beunruhigenden Phänomene
unserer
Zeit, dass wir mit der Beschleunigung der Abläufe und der
Globalisierung aller Prozesse
in einer Art permanenter Gegenwart
leben, in der trotz der
großen historischen Rucksäcke, die wir
schultern,
die Verbindungen zu Vergangenheit und die
Perspektiven zur Zukunft
gekappt werden. Die Folgen sind ein
Verlust
an Identität und Orientierung.
Der englische
Sozialhistoriker beschreibt das so: „Die Zerstörung
der
Vergangenheit, oder vielmehr jenes sozialen Mechanismus, der
die
Gegenwartserfahrung mit derjenigen früherer Generationen
verknüpft, ist eines der
charakteristischsten und unheimlichsten
Phänomene. Die meisten
jungen Menschen wachsen in einer Art
permanenter
Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung
zur
Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt“.
Was auf der Strecke bleibt, ist ein kritisches Denken. So wächst der
einem
vernunftbetonten Handeln. Wir werden immer mehr zu hoch
gebildeten
Idioten, weil die steigende Perfektion in Teilsektoren in
einem krassen Missverhältnis
zur schwindenden Gesamtrationalität
steht.
Wir wissen immer mehr, verstehen aber immer weniger.
Ausschlaggebend dafür sind
in erster Linie ökonomische
Mechanismen,
die die Jagd nach heißem Geld diktieren. Das Diktat
der Quote, das die Medien
beherrscht, ist in der Wirtschaft
insgesamt der schnelle
Gewinn. Das zentriert die Entscheidungen
auf
eine durchökonomisierte Gesellschaft. Nicht die Kultur hat die
Hegemonie, sondern der Zwang
der Renditen. Wir verlieren die
Maßstäbe
von Zeit und Wert.
Im Regime des globalen Kapitalismus findet ein unerklärter Krieg
mit der Zukunft statt, der auf alle zurückwirkt, besonders auf die,
die nicht mitkommen, weil sie nicht über die ökonomischen oder
machtpolitischen
Voraussetzungen verfugen, die heute den
Wettbewerb
um Anerkennung und Wohlstand bestimmen. Doch es
kann
kein gutes Leben geben, wenn dies allein unser Leben
bestimmt.
Europa
würde zerbrechen, wenn nur Markt und Kapital zählen. Der
Kern der europäischen
Moderne ist die Idee der sozialen und
solidarischen Gesellschaft.
Deshalb ist der Ausbruch aus der
ideologischen Gefangenschaft
dringend notwendig. Das Mittel
dafür ist die Dialektik
der Aufklärung.
Sie ist
immer dann angesagt, wenn eine neue Epoche erreicht wird,
die
dann auch eine neue Orientierung erfordert. Die Globalisierung
spült
nämlich gefestigte Kategorien, Perspektiven und Institutionen
mit derselben
Rücksichtslosigkeit weg, wie das schon mit den
„Ewigkeiten“ vergangener Epochen geschehen ist. Umso wichtiger
ist kritisches
Denken - Aufklärung im richtig verstandenen Sinne.
Das 20. Jahrhundert endete
nämlich mit Problemen, die neue
Antworten notwendig machen.
Die Krise der öffentlichen
Haushalte, eine wuchernde
Bürokratie, der demografische Faktor,
bedrohliche ökologische
Schäden und ein Epochenbruch im
Wachstum,
weil das Jahrhundert der Expansion im Verbrauch von
Naturkapital unwiderruflich
seinem Ende zuneigt.
Aber
auch die verschärfte Konkurrenz und die Schwächung des
Nationalstaates entzogen der
sozialstaatlichen Politik wichtige
Voraussetzungen.
Heute heißt es: fressen oder gefressen werden.
Das
zeigt erneut: Einen evolutionären Selbstlauf der Zivilisation in
eine gute Zukunft gibt es nicht. Die
Produktionsverhältnisse
müssen neu geordnet werden.
Andernfalls bestätigt sich das
pessimistische Diktum von Max
Horkheimer und Theodor W.
Adorno,
die in ihren Arbeiten die destruktive Seite des Fortschritts
aufgezeigt
haben. Die Herrschaft derjenigen, die ihre Vorteile
immer weiter ausbauen
wollen. Sie mündet in Verhältnissen, nach
deren
„Nutznießern man fast vergeblich sucht“.
Für den
„Systemübergang" in die soziale und ökologische
Gesellschaft der Zukunft existieren keine fertigen Rezepte. Um den
Modernisierungsrückstand
der Politik und Zivilgesellschaft zu
beseitigen, müssen beide Seiten - Ökonomie und Technik auf der
einen und Soziales, Natur
und Kultur auf der anderen Seite - in
einer
höheren Ordnung zusammengeführt werden. Das ist vor allem
eine
gewaltige Anstrengung an unser Verständnis von Freiheit und
Verantwortung.
Diese Gestaltung der Welt
ist eine große Geschichte, die ein gutes
Leben
für alle verwirklichen wird. Eine solche große Botschaft
demokratischer Gestaltung ist
erneut notwendig.
Die
erste große Chance wurde bereits vertan. Nach 1989 lag dem
Westen die Welt zu Füßen. Er
hatte alle Möglichkeiten, doch er
ließ sich von seiner
scheinbar totalen Überlegenheit, aus der pure
Maßlosigkeit
wurde, blenden. Wäre der Westen klug gewesen,
hätte er eine Weltinnenpolitik begonnen. Aber er war nicht klug. Im
Gegenteil.
Er erkannte nicht, dass der Zusammenbruch des Ostens
auch
ein Warnschuss vor den eigenen Bug war.
Holger
Strohm gehört zu der wertvollen Spezies der kritischen
Querdenker,
die jede Gesellschaft braucht. Doch sie werden in
Sonntagsreden
gelobt, im Alltagsleben jedoch als störend und
realitätsfern weggedrückt.
Auch das ist ein merkwürdiger
Widerspruch, denn obwohl
sich unsere Zeit nach Orientierung
sehnt, wird sie, sobald sie
politisch ist, bekämpft und ausgegrenzt.
Holger
Strohm kann ein Lied davon singen. Weil er schon ab 1970
auf
zukünftige Klimaveränderungen und auf viele Umweltgefahren
wie Atomenergie und
Genmanipulation hinwies, wurde er
„kaltgestellt“. Er erhielt
drei verschiedene Berufsverbote - als
Industrieberater, Lehrer und
Autor - und musste mannigfaltige
Repressalien über sich
ergehen lassen. Fast alle seine Bücher,
Artikel und Interviews
wurden zensiert, und er wurde nach der
Reaktorkatastrophe von
Tschernobyl - die er Wochen zuvor in
Dutzenden Vorträgen
voraussagte - für ein Jahrzehnt ins Exil
verbannt. Im Ausland wies
man daraufhin, dass es in Deutschland
kein Buch mehr von ihm zu kaufen
gäbe. Der deutsche Buchmark
sei
komplett gesäubert worden. Daher sollte es keinen überraschen,
dass auch dieses Buch keinen
Verleger fand, wie schon Dutzende
seiner Bücher zuvor. Dabei
versucht Strohm doch nur, die
Menschheit vor der eigenen
Selbstausrottung zu bewahren. Wie wir
immer mehr bemerken,
kristallisierten sich seine Warnungen im
Laufe der Jahrzehnte zur
Realität. Und so gab die Entwicklung
nicht seinen Kritikern, sondern meist ihm Recht.
Dennoch tun wir
uns schwer, mit seinen
kritischen Gedanken konstruktiv
umzugehen.
Dabei
liefert Holger Strohm wichtige Erklärungsmuster, und er gibt
Anstöße zu einem kritischen
Denken. Das ist, ohne alles teilen zu
müssen, das Wichtigste. Das
würde sogar jedem kritischen Geist
widersprechen, alles
abzunicken. Zur Freiheit des Menschen und
zur
Qualität einer Gesellschaft gehört unbedingt, den eigenen Kopf
zu benutzen. Das Buch von Holger
Strohm ist ein Anlass, dies noch
mehr zu tun. Sein Buch ist
ein Beitrag, um die falsche Einrichtung
der
Welt zu beenden.