Der Milliardenpoker
Die weltweit größte Bankenkrise seit September
2001 ist hausgemacht und
verspielt das Vertrauen in die Währung
– ihr einziges Kapital
seit Aufhebung der Goldbindung.
Immobilienüberfinanzierungen verursachten regelmäßig Wirtschaftskrisen.
Seit Monaten hatten Experten und Presse gewarnt, dass die
jahrelang künstlich gezüchtete Immobilienblase in den USA platzen würde wie
Ende der 90er Jahre die Börsenblase. Als das im August eintrat, hatten auch
deutsche Banken bereits Milliarden in den amerikanischen „strukturierten“ Fonds
verbrannt.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin bewahrte
mit konsortial gesammelten Milliarden die Deutsche Industriebank IKB vor der
Pleite. Die sächsischen Sparkassen stützten die Sächsische Landesbank SachsenLB
mit über 17 Mrd. Euro, als Haftung für eine außerbilanzielle
Tochtergesellschaft. Das ist mehr, als der ganze Freistaat Sachsen im
Doppelhaushalt 2007/2008 ausgeben wird.
Nur zu bereitwillig hatten diese und andere Institute Kreditmüll
aus den USA aufgekauft, der mit der charmanten Bezeichnung „subprime“ verbrieft
und geratet war. Im Ergebnis zahlen wahrscheinlich erneut die Nichtverursacher,
Anleger und Steuerzahler, den ganzen Salat. Wirtschaftsjournalisten und
„Experten“ verkündeten derweil unisono, es sei ja so überraschend, dass
Bankvorstände der Deutschen Industriebank IKB über Dinge entschieden, von denen
sie wenig verstünden. Das aber ist ein guter Scherz, wie die nachfolgende
Darstellung belegt.
„So wollte das die Bank!“
Der Autor war 1985 als junger Strafverteidiger in der Kanzlei
Bossi mit Wirtschaftsstrafsachen befasst. Er besuchte einen inhaftierten
Vermittler von finanzierten Steuersparimmobilien im Gefängnis und hörte
Überraschendes: Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, man habe der finanzierenden
Bank in München Arbeitslose und Prostituierte, das heißt wenig zahlungskräftige
Kunden, als Kreditnehmer zugeführt, sei absurd. Die Bank habe das ja
ausdrücklich gewollt.
Diese scheinbar absurde Einlassung fand später ihre Bestätigung
durch unzählige weitere Dokumente und Zeugenaussagen, öffentlich zugänglich in
zahllosen Strafprozessen. Die Bank hatte tatsächlich nur zur kurzzeitigen
Steigerung des Jahresergebnisses bei Umsatz und Gewinn beliebige Kreditkunden
akzeptiert und die gesetzlich vorgeschriebene Kreditprüfung nach § 18
Kreditwesengesetz lediglich aktentechnisch symbolisiert.
Beispiele:
Als zwei als Kunden geworbene Sozialhilfeempfänger aus Versehen
ihre Selbstauskunft selbst ausfüllten und sie die Höhe der „Stütze“
wahrheitsgemäß angaben, wurde die Finanzierung nicht abgelehnt. Es musste
lediglich der Vermittler zur Strafe seine Innenprovision als Eigenkapital zur
Verfügung stellen. Als ein anderer Arbeitsloser für den Notartermin wenig
vorzeigbar aussah, kaufte man ihm neue Schuhe etc..
Die BRZ-Affäre
Die Sache eskalierte ab 1988 zur Affäre der Bayrischen
Raiffeisen-Zentralbank (BRZ) mit zuletzt 1,1 Mrd. DM Wertberichtigung. Sogar
die Justiz funktionierte noch, die Staatsanwaltschaft München griff zu. Es
ergingen Haftstrafen ohne Bewährung gegen die zuständigen Aufsichtsräte und
Vorstände. Der Aufsichtsratsvorsitzende bekam vier Jahre Haft.
Die BRZ war auch damals kein Einzelfall. Die Volksbank Oberhausen
hatte fast die gleichen Verluste erlitten, weil sie Ferienimmobilien auf Sylt
„mit dreihundert Sonnentagen“ finanzierte.
Ähnliche Überfinanzierungen belasteten in den 80er Jahren in
Deutschland viele kleinere Volksbanken. Nur eine Fusionswelle kam Bankenpleiten
zuvor. Ebenfalls in den 80er Jahren brach das US-amerikanische Sparkassensystem
durch überfinanzierte Immobilien und leichtfertige Kreditvergaben mit
erträumten Wertzuwächsen zusammen.
Die Folge war eine Welle von Konkursen mittelständischer
Unternehmen, angefangen bei den Baufirmen und Handwerkern, dann bei den
Erwerbern der überfinanzierten Immobilien und sonstigen Bankkunden. Doch noch
während die Münchener Zeitungen nach 1990 ausführlich über den BRZ-Prozess
berichteten, wurde sehenden Auges bereits die nächste Krise der Immobilienfinanzierung
durch erneut tolldreiste Kreditvergabe gestrickt.
Ostimmobilien-Boom
Mit der Wiedervereinigung boomten Ostimmobilienfinanzierungen,
unterstützt durch ein leichtfertiges Steuergesetz zur 50-prozentigen
Sofortabschreibung. Wie bereits in den 80er Jahren finanzierten viele deutsche
Banken, darunter die Hypo Bank München und die Vereinsbank München, (später
HypoVereinsbank, schließlich Unicredito), Erwerbermodelle und Immobilienfonds
mit gewaltigen Überfinanzierungen. Und zwar trotz der noch aktuellen
Schlagzeilen um die BRZ in München.
Nicht nur die Steuervorteile Ost wurden auf den Kaufpreis
aufgeschlagen. Auch die „Vorabgewinne“ der Bauträger und die Provisionen der
Vermittler erhöhten die „weichen Kosten“ und Kredite. Kurzum: Wieder gab es
Überfinanzierungen und Immobilienverkäufe an Schichten, die sich das gar nicht
leisten konnten. Im BRZ-Fall spekulierte man seitens der Verkäufer und der Bank
auf schnell steigende Immobilienpreise in Bayern und in München.
Überfinanzierungen und Kapitaldienst sollten sich gleichsam von selbst
finanzieren.
Beim Ostimmobilienboom träumten die Initiatoren ebenfalls
hochspekulativ von einer Hauptstadt Berlin mit acht bis zehn Millionen
Einwohnern, Wohnungsnotstand, steigenden Mieten und steigenden Immobilienwerten.
Die Banken träumten mit, Politiker und Beamte auch. Fördermittel finanzierten
Plattenbauten im Wert von 2.000 DM/qm für 7.000 DM/qm und mehr.
200 Prozent Haftung
Seit 1993 wuchs die Bevölkerung Berlins aber nicht mehr. Die
Mieten stagnierten, der Aufbau Ost wurde zum rabiaten Verlustbringer. Hatte die
„Schrottimmobilien“-Welle der 80er Jahre vor allem finanzschwache Schichten
getroffen, hafteten jetzt auch Großverdiener mit jeder Mark Einlage für
weitere zwei Mark Unterdeckung. Hunderte von Schadensersatzprozessen wurden
geführt – meist ergebnislos.
Mit dem Wirtschaftsboom der letzten Jahre entwickelte sich die
Weltwirtschaft über die Wachstumsraten der Emerging Markets. Erneut folgte ein
Immobilienboom aus leichtfertiger bankenfinanzierter Immobilienspekulation,
vor allem in den USA, im Großraum London, in Spanien. Die Sparquote der
Amerikaner war negativ, auf dem Papier aber wuchs die Wirtschaft wiederum.
Der Wirtschaftsboom in den USA und dann auch in Europa ließ den
Zentralbanken keine andere Wahl als die Zinserhöhung, um der spekulativen
Kreditvergabe an Käufer ohne Vermögen und Bonität den Boden zu entziehen. Die
Masse der „faulen Kredite“ war aber längst unterschrieben und ausgezahlt, von
führenden amerikanischen Ratingagenturen gestempelt, von den Banken verbrieft
und an Investoren rund um den Globus weiterverkauft worden.
Jetzt lauern die Zeitbomben aus der Immobilienüberfinanzierung
weltweit in zahlreichen Banken, Lebensversicherungen, Rentenfonds und
Geldmarktfonds, die naturgemäß ein Outing scheuen...
Kein Crash, keine Strafe
Alle diese Krisen haben mit stets steigender Tendenz zu Verwerfungen
geführt. Ein geschätzter Wertberichtigungsbedarf von 430 Mrd. Euro kann diesmal
durchaus das Weltwirtschaftswachstum beeinträchtigen. Aber da sich die Banken
selber nicht trauen, crashen nur die stets blanko gegebenen
Interbankenkredite. Und die Zentralbanken helfen aus, indem sie einfach mehr
Geld ausgeben. Angeblich würde ansonsten das „Vertrauen in das Bankensystem“
zusammenbrechen. Illusion.
Allein beim so genannten „Schrottimmobilien-Skandal“ geht die
Zahl der Geschädigten in die Hunderttausende, ähnlich bei den überfinanzierten
Immobilienfonds. Das hat Langzeitfolgen. Jetzt hat nicht einmal die
Kombipackung aus Stützungsmaßnahmen für IKB und Sachsen LB, die Einspeisung von
mehreren hundert Milliarden durch die Zentralbanken und die Zinssenkung der
amerikanischen Notenbank zu mehr geführt als einem verhaltenen Kursanstieg.
Alle wissen: Es ist noch nicht vorbei.
Das Muster zur Verteilung der Lasten der Krise ist immer das
Gleiche. Es folgt dem Motto „Ihr Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer“.
Das erklärt auch, warum niemand aus den Krisen lernt und neue Krisen
verhindert. Es gibt zwar immer namentlich bekannte Verantwortliche für
Überfinanzierungen, für die dabei stets anzutreffende organisierte
Intransparenz bei den realen Gegenwerten und Sicherheiten und für die
Milliardenschäden danach. Aber sie werden grundsätzlich nie haftbar gemacht.
Das BRZ-Verfahren war der letzte Fall in Deutschland, in dem
verantwortliche Bankiers und Aufsichtsräte Haftstrafen ohne Bewährung bekamen.
Schon bei den nachfolgenden Krisen, etwa der Sparkassen (Mannheim und
Schwetzingen) oder der Bankgesellschaft Berlin gab es überwiegend Freisprüche
und Einstellungen, Rechtsstaatssymbolik an Einzelfällen. Im Zivilrecht hält der
„Bankensenat“ des Bundesgerichtshofes den Banken die Stange, indem er die
Beweislastanforderungen für geschädigte Anleger derartig hochhängt, dass eine
Bankenhaftung fast nie durchsetzbar wird.
Hedge-Fonds und Private Equity Fonds sind ihrer Struktur nach
ebenso intransparent wie die mit falschen Etiketten gekennzeichneten
Immobilienkredite. Das Ausfallrisiko tritt ja gerade deshalb ein, weil
die Immobilien wesentlich weniger wert sind als ihre Verschuldung
beträgt, obwohl die kryptische Aktenführung Normalität vorgaukelt, in der sich
Kredit und Besicherung die Waage halten würden.
Organisiertes Lügen
Die Verbriefungen fauler Kredite bekommen von Wirtschaftsprüfern
ein mustergültiges AA-Rating wegen scheinbar unendlicher Wertzuwächse. Die
Rating-Agentur selbst haftet dabei nach ihren Vertragsbedingungen nie. Das
organisierte Lügen wiederholt sich so seit Jahrzehnten, unterstützt von dem
kurzen Gedächtnis der auf Tagesthemen spezialisierten Medien (KPMG = „Keiner
Prüft Mehr Genau“).
Heute wie schon früher wird das Bankensystem zu Lasten der Steuerzahler
„gerettet“. Es hatte die Geschäfte und deren Gewinne privatisiert. Die Verluste
aber werden durch Einspringen der Zentralbanken und Abschreibung sozialisiert.
Dabei wird auch immer das Vermögen der Anleger mit „verheizt“, die die Kredite
mit ihrer Bonität oder sogar mit Sicherheiten aus dem Privatvermögen unterlegt
haben.
Mittelstand wird „rasiert“
Damit „rasieren“ die Steuersparimmobilien weite Teile des Mittelstandes
oder treiben sie sogar in den Ruin. Das Bankensystem weiß, dass weltweit seine
Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert werden. Stets zu Lasten der
Allgemeinheit und des betroffenen Mittelstandes, zum Schaden der Käufer
überteuerter Immobilien und fauler Kredite, zum Schaden der Aktionäre, Sparer,
Lebensversicherungsnehmer, Pensionsvereinsmitglieder – und ohne dass die
handelnden Manager und Bankiers irgendein Risiko tragen würden.
Auch in der staatlichen Aufsicht, der BaFin, besteht keine Gefahr.
Sie wird schließlich von den Banken bezahlt und ist seit Jahrzehnten ein
zahnloser Wachhund, der den Einbrecher nicht beißt, sondern ihn schwanzwedelnd
begrüßt und sich füttern lässt. Auch eine neue staatliche Superbehörde zur
Finanzmarktüberwachung wäre nur eine Scheinlösung, wie die Erfahrungen mit der
jüngsten Gesetzgebung der durchweg weltfremden Ministerialbürokratie der
beteiligten Ministerien zeigen.
In den USA konnte selbst die gefürchtete SEC nicht verhindern,
dass die Finanzmärkte durch strukturell nahezu überhaupt nicht kontrollierte
Hedge-Fonds und Private Equity Fonds, der Sache nach Riesen-Blindpools, ins
Schlingern gerieten. Die Kontrolle kann nur durch den Markt und Selbstreinigungskräfte
erfolgen, denen ebenso effektive Instrumente in die Hand gegeben werden wie den
Marktteilnehmern bei Wettbewerbsverstößen, Produktpiraterie etc.
Ausweg Transparenz
Denn kein seriöser Bankier will das schnelle Geschäft, das in eine
jahrelange Vertrauenskrise führt. Kein seriöser Fondsmanager will die Risiken
gravierender Kursverluste entstehen lassen, die durch Gier und Blindheit
entstehen. Transparenzrichtlinien, bei denen jeder institutionelle
Marktteilnehmer und jeder Anleger das Recht hat, genau zu erfahren, in was sein
Unternehmen Kapital investiert und auf welche Geschäfte es sich einlässt,
wären ein Instrument, ebenso ein Publikationsrecht für Anfragen und die
Antworten der Unternehmen. Im Internet ließe sich dann verfolgen, wer
ausweicht, Auskunft verweigert, lügt, schweigt etc.
International vagabundierende Dunkelfelder und Dunkelmänner
werden durch Beleuchtung vertrieben. Das wäre ein transparenter Finanzplatz
Deutschland! Für Langzeitschäden braucht man auch lange Verjährungsfristen.
Früher waren das 30 Jahre. Mit der Schuldrechtsreform 2002 wurde die
Regelverjährung aber auf drei Jahre verkürzt. Das lädt zum langzeitig
organisierten Betrug regelrecht ein. Mobilisiert man diese und andere
Abwehrkräfte, können die Betroffenen aufgrund von Fakten handeln. Keiner wäre
mehr zu Panikreaktionen aufgrund der letzten Börsengerüchte gezwungen.
Quelle: Volker Gallandi in P.T. MAGAZIN für Wirtschaft, Politik
und Kultur, Ausgabe 5 / 2007, S. 42 – 46
Anmerkung: Das P.T. MAGAZIN gehört zu den immer seltener
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