Arbeiterkampf 1968

 

In der Stagnationsperiode der Gegenwart ist die Großindustrie durch den Druck der internationalen Konkurrenz gezwungen, Produktion, Absatz und Investitionen genau zu planen, um das Risiko des Verlustgeschäftes und der technologischen Veralterung des Maschinenparks so klein wie möglich zu halten. Vor allem die Lohnkosten müssen im voraus berechnet und geplant werden. Der Staat als Schlichtungsinstanz zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, der über die gesamtgesellschaftliche Produktion im Interesse der expandierenden Industriezweige wacht, bemüht sich, die Gewerkschaften der staatlichen Lohnpolitik unterzuordnen. Es wird garantiert, daß die Löhne mit dem Steigen der Produktionskapazität, mit der Zuwachsrate erhöht werden, aber dafür müssen die Arbeiterorganisationen gewährleisten, daß keine zusätzlichen Lohnforderungen etc. gestellt und erst recht keine Streiks durchgeführt werden. Die Gewerkschaften werden zu Organen der Disziplinierung der Arbeiter. Die Abwehrkämpfe der Arbeiter in den einzelnen Betrieben und Branchen sind damit zunehmend nicht nur dem Druck der Managements und des Staatsapparates ausgesetzt, sondern auch dem Druck der oberen Gewerkschaftsbürokratie.

 

Den Kampf in den Betrieben gegen Entlassungen, Lohneinschränkungen und die Herrschaftsstruktur der Betriebe müssen Aktivgruppen der Arbeiter selbst führen, die direkt an die Bedürfnisse und Vorstellungen ihrer Kollegen anknüpfen müssen. Die Studenten können nur wissenschaftliche Hilfestellung geben, indem sie die wirtschaftliche Situation analysieren und Tendenzen der Entwicklung der Stagnationskrise aufzeigen, auf die sich diese innerbetrieblichen Gruppen dann in ihrer Agitation vorbereiten. Gelingt der studentischen Opposition, die Koordination und Kooperation zwischen den einzelnen Betrieben herzustellen, so ist auf diesem Gebiet der Aktivierung der Arbeiter viel erreicht worden.

 

Der Sinn der These, daß die außerparlamentarische und antiautoritäre Opposition dort anzuknüpfen habe, wo vor 100 Jahren die Arbeiterbewegung ihren Ausgangspunkt genommen hat, ist darin zu sehen, daß man in der Gegenwart, beim Stand der Industrialisierung und der Automation, sich nicht vertrauensvoll dem Programm einer <sozialistischen> Partei anschließen darf oder Illusionen über die parlamentarischen Auseinandersetzungen hegen kann, sondern allein die direkte Aktion gegen die irrationale Herrschaft in Fabriken, Universitäten, Schulen etc., werden sie von den je spezifischen Gruppen durchgeführt, kann ein Bewußtsein darüber schaffen, daß diese spätkapitalistische Gesellschaft, ersetzt werden muß durch eine sozialistische Gesellschaft, in der alle Produzenten, ob Arbeiter oder Studenten, an den sozialen und wirtschaftlichen Entscheidungen beteiligt sein müssen.

 

Quelle: "Von der antiautoritären Bewegung zur sozialistischen Opposition" von Bernd Rabehl in: Bergmann, Dutschke, Lefèvre, Rabehl (Hg.): "Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition", Reinbek bei Hamburg 1968, S. 177 f