Detlef Winter                                                              Lübeck, den   14.6.2003

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Landesrechnungshof

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Anregung einer Überprüfung der landeseigenen IAG, Betreiberin der Deponie Ihlenberg (Schönberg/Selmsdorf) und Bitte um Einsichtnahme nach dem Umweltinformationsgesetz

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

in der oben genannten Angelegenheit nehme ich bezug auf mein Schreiben vom 22.5.2003 und die nachfolgende Mitteilung einer konkreten Kostenaufwandsermittlung.

Zwischenzeitlich habe ich mich in Auswertung des mir - leider nur unvollständig zur Verfügung stehenden Materials - etwas intensiver mit der Frage des Rekultivierungs- und Nachsorgeaufwands der Deponie Ihlenberg beschäftigt. Es hat sich wie in allen anderen Problemfeldern der Deponie verhalten: je tiefer man bohrt, je giftiger und unappetitlicher werden die Fundstücke und Überraschungen. Als mich kürzlich ein Mitglied der Bürgerinitiative (BI) aus Nordwest-Mecklenburg in einer Mischung aus Ungläubigkeit, Frustration und Empörung fragte, ob es sich bei der Deponie denn um einen rechtsfreien Raum oder exterritoriales Gebiet handele, konnte ich als Jurist nur antworten: "Es hat den Anschein; aber vielleicht werkelt Herr Prof. Dr. Methling ja an einer Bundesratsinitiative, um diesen faktischen Dispens auch gesetzestechnisch abzusegnen."

Vorläufig müssen wir jedoch mit dem Ist-Zustand der verfassungsmäßigen Ordnung leben, die unter anderem in § 5 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (im einschlägigen Zusammenhang gelesen) folgendes besagt:

 

"Genehmigungspflichtige Anlagen sind so ... zu betreiben, daß zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können; Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird ... und die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Betriebsgeländes nach einer Betriebseinstellung gewährleistet ist."

 

An diese hehren Worte werde ich zukünftig jedesmal denken, wenn ich im PKW an der Deponie vorbeifahre und der Gestank trotz blockierter Lüftung offenbar durch die Gummidichtungen der Scheiben dringt.

 

Daran, daß das Land Mecklenburg-Vorpommern bezüglich der Deponie Ihlenberg gegen diese Vorschrift massiv verstößt, habe ich nicht den geringsten Zweifel. Auch kann ich Ihnen - wenn Sie es wünschen - einige Beispiele dieser Verstöße mitteilen.

Was das spezielle Problem der Rekultivierungsrücklagen anbetrifft, haben die BI-Mitglieder mehrfach vergeblich das Umweltministerium um Auskunft gebeten. Wegen dieser Untätigkeit des Umweltministeriums und weil ich davon ausgehe, daß sich das Umweltinformationsgesetz gegen alle instruierten Behörden eines Bundeslandes richtet, darf ich Sie höflich um Mitteilung der Höhe der Rekultivierungsrücklage der IAG jeweils für die Jahre 1994 - 2002 (oder entsprechende Einsichtnahme) bitten, die Zahlen für den Zeitraum vom 1.7.1990 - 31.12.1993 ergeben sich aus dem Bericht eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtages. Vorsorglich weise ich darauf hin, daß mich dabei nicht irgendwelche fiktiven Bilanzzahlen oder Forderungen an Landesbanken o. ä. interessieren, sondern tatsächlich bei deutschen Banken oder Sparkassen ausschließlich für den Zweck der Rekultivierung/Sanierung/Nachsorge hinterlegte Geldbeträge oder Wertpapiere.

 

Bei Durchsicht der mir vorliegenden Unterlagen bin ich auf folgende Fakten und Ungereimtheiten gestoßen:

 

1)     Das Gutachten des Ingenieurbüros Birkhahn und Nolte vom 22.6.1991 ermittelt einen Gesamtaufwand 170,772 Mio. DM; davon 20,666 Mio. DM für die Zeit nach Abschluß der Einlagerung. Das Gesamtvolumen der Deponie wird mit 23 Mio. Tonnen (t) angegeben, wovon bis zum 31.12.1990 schon 8,2 Mio. t verfüllt waren. Daraus errechnen Birkhahn und Nolte (u. a. für die Kalkulation der Ablagerungsentgelte) einen Rekultivierungsanteil von 6,53 bzw. 7,685 DM/t

2)     Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ATLAS, WEDIT und Treuhand Hamburg gelangen in der Prüfung des IAG-Jahresabschlusses 1991 zu einem Gesamtbedarf von 442 Mio. DM, also immerhin 258,8 % des etwa zeitgleich von Birkhahn und Nolte ermittelten Betrages. Daraus errechnen ATLAS pp erforderliche Rückstellungen von 28,516 Mio. DM jährlich für den Zeitraum vom 1.7.1990 - 31.12.2005.

3)     In der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klostermann (SPD) vom 19.9.1992 (DS 1 / 2276) wird bestätigt, daß die tatsächlich getätigten Rückstellungen von 30,- DM/t ausreichend seien, um die laufende und die in Zukunft anfallende Grundsanierung und die Absicherung der Deponie zu gewährleisten. Dazu liegt die Annahme nahe, daß die Landesregierung bzw. ihre nachgeordneten Behörden weiterhin bis zum heutigen Tage die Bildung einer Rückstellung von zumindest 30,- DM/t von der IAG gefordert, kontrolliert und durchsetzt hat. Anzumerken bleibt, daß dieser Betrag immerhin 472,4 % bzw. 390,4 % des von Birkhahn und Nolte errechneten Betrages ausmachte.

4)     Dem Abschlußbericht des 1. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (DS 2 / 3860) kann entnommen werden, daß die IAG tatsächlich am 31.12.1993 eine Rückstellung von 161,56 Mio. DM "angespart" hatte. Damit lag die IAG bereits um 61,754 Mio. DM = 61,9 % über dem von ATLAS pp vorgezeichneten "Sparplan".

5)     Am 18.10.1994 spricht der Landtagsabgeordnete Dr. Klostermann (SPD) von einem Sanierungsrisiko der Deponie von 500 - 600 Mio. DM bis zum Jahr 2005.

6)     Im Mai 1995 errechnet die Ingenieursgesellschaft für Wasser- und Abfallwirtschaft mbH (IWA) ein Restvolumen (freie Kapazität) von 20,704 kbm (die Umrechnung in Tonnen macht gewisse - gewollte? - Schwierigkeiten, weil man das durchschnittliche spezifische Gewicht der dortigen Müllanlieferungen nicht kennt) und beziffert den Rekultivierungsaufwand mit 384,7 Mio. DM oder umgerechnet 38,19 DM/kbm bezogen auf die Ablagerungsbereiche I + II.

7)     Die Abgeordnete Caterina Muth (PDS) stellt eine Kleine Anfrage (Ziff. 9) : "Wie wertet die Landesregierung den Bericht des Landesrechnungshofes, wonach für die Sanierung der Deponie Ihlenberg ein Finanzierungsdefizit von 180 Mio. DM bestünde?" Die Landesregierung antwortet am 4.5.1998 (DS 2 / 3781), daß sie die vom LRH geäußerte Befürchtung ernst nimmt. Etwas anderes bleibt ihr - mit Verlaub gesagt - auch gar nicht anderes übrig. Offen bleibt jedoch, wie es zu diesem "Finanzierungsdefizit" kommen konnte; wenn 180 Mio. DM fehlen und jährlich etwa 30 Mio. DM angespart werden sollten, muß doch die Aufsichtsbehörde etwa fünf Jahre lang geschlafen und/oder geschwiegen haben oder waren die Börsenabenteuer des Herrn Bruckschen doch nicht so erfolgreich, wie er es den Lübecker Haus- und Grundbesitzern bei Kaffee und Kuchen weis machen wollte?

8)     Die IWA stellt im April 2000 ein Restvolumen von 19,161 Mio. kbm und einen Rekultivierungsaufwand von 366,1 Mio. DM bezogen auf den Bilanzzeitpunkt (31.12.1999) fest.

9)     Mit dem Inkrafttreten der TA Siedlungsabfall dürfen vom 1. Juni 2005 an nur noch vorbehandelte Siedlungsabfälle deponiert werden.

10)Ob die von der IAG projektierte MBA genehmigt wird und dann noch diversen störungspräventiven Nachbarklagen nebst Anträgen nach §§ 80 VwGO standhält, muß bezweifelt werden; steht jedenfalls in den Sternen.

11)Herr Bruckschen und das Umweltministerium sonnen sich fortgesetzt in dem gleißenden Licht einer "gläsernen Deponie". Wenn es aber darum geht, die Spenden und sonstigen unentgeltlichen Zuwendungen offenzulegen, hat die (auch sonst nur verbal existierende) Transparenz schlagartig ihr kurzes Leben ausgehaucht. Es könnte ja an das Tageslicht gelangen, wer alles von den Entscheidungsträgern im Lande und/oder im Kreis NWM direkt oder indirekt bedacht wurde. Dabei mag es gar nicht einmal um "Kohls schwarze Kassen" sondern "nur" um Flicks und Brauchitschs "Pflege der politischen Landschaft" gehen.

12)Offenbar alle oben genannten Ermittlungen des Rekultivierungsaufwandes haben die Kosten für die Sanierung des AOX-Austritts zum Bockholzberg nicht berücksichtigt. Diese Kosten werden unverzüglich zu ermitteln sein. Sofern Ihnen insoweit etwas von der Ursächlichkeit einer Fliegerbombe (Herr Bruckschen) oder von einer fast ebenso abenteuerlichen Gasdrucktheorie eines Haussachverständigen der IAG erzählt werden sollte, haben Sie freundlicherweise den Mut, es nicht zu glauben. Herr Prof. Dr. Pekdeger sagte dazu anläßlich einer Sitzung des Umweltausschusses der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck, "den Mann würde ich rausschmeißen".

13)Die Schadenersatzansprüche gemäß § 22 WHG werden voraussichtlich noch erheblich höhere Dimensionen annehmen, auch wenn insoweit der eine oder andere Entscheidungsträger in Mecklenburg ebenfalls an der in Ziff. 11 angedachten kurzen Leine geführt werden sollte. Auch insoweit sollten Sie sich insbesondere nichts von diversen geologischen Barrieren oder anderen Ammenmärchen/Stasi-Legenden erzählen lassen und lieber den Untersuchungen der Bor-Isotopen in Hannover Beachtung schenken. Danach ist nämlich das Sickerwasser in den Grundwasserleitern und zwar sowohl in südlicher, als auch in nördlicher Fließrichtung. Leider!

 

Mit freundlichen Grüßen