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Anregung
einer Überprüfung der landeseigenen IAG, Betreiberin der Deponie Ihlenberg (Schönberg/Selmsdorf) und Bitte um Einsichtnahme
nach dem Umweltinformationsgesetz
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der oben genannten Angelegenheit
nehme ich bezug auf mein Schreiben vom 22.5.2003 und die nachfolgende
Mitteilung einer konkreten Kostenaufwandsermittlung.
Zwischenzeitlich habe ich mich in Auswertung
des mir - leider nur unvollständig zur Verfügung stehenden Materials - etwas
intensiver mit der Frage des Rekultivierungs- und Nachsorgeaufwands der Deponie
Ihlenberg beschäftigt. Es hat sich wie in allen
anderen Problemfeldern der Deponie verhalten: je tiefer man bohrt, je giftiger
und unappetitlicher werden die Fundstücke und Überraschungen. Als mich kürzlich
ein Mitglied der Bürgerinitiative (BI) aus Nordwest-Mecklenburg in einer
Mischung aus Ungläubigkeit, Frustration und Empörung fragte, ob es sich bei der
Deponie denn um einen rechtsfreien Raum oder exterritoriales Gebiet handele,
konnte ich als Jurist nur antworten: "Es hat den Anschein; aber vielleicht
werkelt Herr Prof. Dr. Methling ja an einer
Bundesratsinitiative, um diesen faktischen Dispens auch gesetzestechnisch
abzusegnen."
Vorläufig müssen wir jedoch mit dem
Ist-Zustand der verfassungsmäßigen Ordnung leben, die unter anderem in § 5 des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (im einschlägigen Zusammenhang gelesen)
folgendes besagt:
"Genehmigungspflichtige Anlagen
sind so ... zu betreiben, daß zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für
die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren,
erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die
Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können; Vorsorge gegen schädliche
Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche
Belästigungen getroffen wird ... und die Wiederherstellung eines
ordnungsgemäßen Zustandes des Betriebsgeländes nach einer Betriebseinstellung
gewährleistet ist."
An diese hehren Worte werde ich
zukünftig jedesmal denken, wenn ich im PKW an der Deponie vorbeifahre und der
Gestank trotz blockierter Lüftung offenbar durch die Gummidichtungen der Scheiben
dringt.
Daran, daß das Land
Mecklenburg-Vorpommern bezüglich der Deponie Ihlenberg
gegen diese Vorschrift massiv verstößt, habe ich nicht den geringsten Zweifel.
Auch kann ich Ihnen - wenn Sie es wünschen - einige Beispiele dieser Verstöße
mitteilen.
Was das spezielle Problem der
Rekultivierungsrücklagen anbetrifft, haben die BI-Mitglieder mehrfach
vergeblich das Umweltministerium um Auskunft gebeten. Wegen dieser Untätigkeit
des Umweltministeriums und weil ich davon ausgehe, daß sich das
Umweltinformationsgesetz gegen alle instruierten Behörden eines Bundeslandes
richtet, darf ich Sie höflich um Mitteilung der Höhe der
Rekultivierungsrücklage der IAG jeweils für die Jahre 1994 - 2002 (oder
entsprechende Einsichtnahme) bitten, die Zahlen für den Zeitraum vom 1.7.1990 -
31.12.1993 ergeben sich aus dem Bericht eines Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses des Landtages. Vorsorglich weise ich darauf hin, daß
mich dabei nicht irgendwelche fiktiven Bilanzzahlen oder Forderungen an
Landesbanken o. ä. interessieren, sondern tatsächlich bei deutschen Banken oder
Sparkassen ausschließlich für den Zweck der Rekultivierung/Sanierung/Nachsorge
hinterlegte Geldbeträge oder Wertpapiere.
Bei Durchsicht der mir vorliegenden
Unterlagen bin ich auf folgende Fakten und Ungereimtheiten gestoßen:
1)
Das Gutachten des Ingenieurbüros Birkhahn und Nolte vom
22.6.1991 ermittelt einen Gesamtaufwand 170,772 Mio. DM; davon 20,666 Mio. DM
für die Zeit nach Abschluß der Einlagerung. Das Gesamtvolumen der Deponie wird
mit 23 Mio. Tonnen (t) angegeben, wovon bis zum 31.12.1990 schon 8,2 Mio. t
verfüllt waren. Daraus errechnen Birkhahn und Nolte (u. a. für die Kalkulation
der Ablagerungsentgelte) einen Rekultivierungsanteil von 6,53 bzw. 7,685 DM/t
2)
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ATLAS, WEDIT und
Treuhand Hamburg gelangen in der Prüfung des IAG-Jahresabschlusses
1991 zu einem Gesamtbedarf von 442 Mio. DM, also immerhin 258,8 % des etwa
zeitgleich von Birkhahn und Nolte ermittelten Betrages. Daraus errechnen ATLAS
pp erforderliche Rückstellungen von 28,516 Mio. DM jährlich für den Zeitraum
vom 1.7.1990 - 31.12.2005.
3)
In der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage
des Abgeordneten Dr. Klostermann (SPD) vom 19.9.1992 (DS 1 / 2276) wird
bestätigt, daß die tatsächlich getätigten Rückstellungen von 30,- DM/t
ausreichend seien, um die laufende und die in Zukunft anfallende Grundsanierung
und die Absicherung der Deponie zu gewährleisten. Dazu liegt die Annahme nahe,
daß die Landesregierung bzw. ihre nachgeordneten Behörden weiterhin bis zum
heutigen Tage die Bildung einer Rückstellung von zumindest 30,- DM/t von der
IAG gefordert, kontrolliert und durchsetzt hat. Anzumerken bleibt, daß dieser
Betrag immerhin 472,4 % bzw. 390,4 % des von Birkhahn und Nolte errechneten
Betrages ausmachte.
4)
Dem Abschlußbericht des 1. Parlamentarischen
Untersuchungsausschusses (DS 2 / 3860) kann entnommen werden, daß die IAG
tatsächlich am 31.12.1993 eine Rückstellung von 161,56 Mio. DM
"angespart" hatte. Damit lag die IAG bereits um 61,754 Mio. DM = 61,9
% über dem von ATLAS pp vorgezeichneten "Sparplan".
5)
Am 18.10.1994 spricht der Landtagsabgeordnete Dr.
Klostermann (SPD) von einem Sanierungsrisiko der Deponie von 500 - 600 Mio. DM
bis zum Jahr 2005.
6)
Im Mai 1995 errechnet die Ingenieursgesellschaft für
Wasser- und Abfallwirtschaft mbH (IWA) ein Restvolumen (freie Kapazität) von
20,704 kbm (die Umrechnung in Tonnen macht gewisse -
gewollte? - Schwierigkeiten, weil man das durchschnittliche spezifische Gewicht
der dortigen Müllanlieferungen nicht kennt) und beziffert den
Rekultivierungsaufwand mit 384,7 Mio. DM oder umgerechnet 38,19 DM/kbm bezogen auf die Ablagerungsbereiche I + II.
7)
Die Abgeordnete Caterina Muth (PDS) stellt eine Kleine
Anfrage (Ziff. 9) :
"Wie wertet die Landesregierung den Bericht des Landesrechnungshofes,
wonach für die Sanierung der Deponie Ihlenberg ein
Finanzierungsdefizit von 180 Mio. DM bestünde?" Die Landesregierung
antwortet am 4.5.1998 (DS 2 / 3781), daß sie die vom LRH geäußerte Befürchtung
ernst nimmt. Etwas anderes bleibt ihr - mit Verlaub gesagt - auch gar nicht
anderes übrig. Offen bleibt jedoch, wie es zu diesem "Finanzierungsdefizit"
kommen konnte; wenn 180 Mio. DM fehlen und jährlich etwa 30 Mio. DM angespart
werden sollten, muß doch die Aufsichtsbehörde etwa fünf Jahre lang geschlafen
und/oder geschwiegen haben oder waren die Börsenabenteuer des Herrn Bruckschen doch nicht so erfolgreich, wie er es den Lübecker
Haus- und Grundbesitzern bei Kaffee und Kuchen weis machen wollte?
8)
Die IWA stellt im April 2000 ein Restvolumen von 19,161
Mio. kbm und einen Rekultivierungsaufwand von 366,1
Mio. DM bezogen auf den Bilanzzeitpunkt (31.12.1999) fest.
9)
Mit dem Inkrafttreten der TA Siedlungsabfall dürfen vom 1.
Juni 2005 an nur noch vorbehandelte Siedlungsabfälle deponiert werden.
10)Ob die von der IAG projektierte MBA
genehmigt wird und dann noch diversen störungspräventiven Nachbarklagen nebst
Anträgen nach §§ 80 VwGO standhält, muß bezweifelt
werden; steht jedenfalls in den Sternen.
11)Herr Bruckschen
und das Umweltministerium sonnen sich fortgesetzt in dem gleißenden Licht einer
"gläsernen Deponie". Wenn es aber darum geht, die Spenden und sonstigen
unentgeltlichen Zuwendungen offenzulegen, hat die (auch sonst nur verbal
existierende) Transparenz schlagartig ihr kurzes Leben ausgehaucht. Es könnte
ja an das Tageslicht gelangen, wer alles von den Entscheidungsträgern im Lande
und/oder im Kreis NWM direkt oder indirekt bedacht wurde. Dabei mag es gar
nicht einmal um "Kohls schwarze Kassen" sondern "nur" um
Flicks und Brauchitschs "Pflege der politischen Landschaft" gehen.
12)Offenbar alle oben genannten
Ermittlungen des Rekultivierungsaufwandes haben die Kosten für die Sanierung
des AOX-Austritts zum Bockholzberg nicht
berücksichtigt. Diese Kosten werden unverzüglich zu ermitteln sein. Sofern
Ihnen insoweit etwas von der Ursächlichkeit einer Fliegerbombe (Herr Bruckschen) oder von einer fast ebenso abenteuerlichen
Gasdrucktheorie eines Haussachverständigen der IAG erzählt werden sollte, haben
Sie freundlicherweise den Mut, es nicht zu glauben. Herr Prof. Dr. Pekdeger sagte dazu anläßlich einer Sitzung des
Umweltausschusses der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck, "den Mann würde
ich rausschmeißen".
13)Die Schadenersatzansprüche gemäß § 22
WHG werden voraussichtlich noch erheblich höhere Dimensionen annehmen, auch
wenn insoweit der eine oder andere Entscheidungsträger in Mecklenburg ebenfalls
an der in Ziff. 11 angedachten
kurzen Leine geführt werden sollte. Auch insoweit sollten Sie sich insbesondere
nichts von diversen geologischen Barrieren oder anderen
Ammenmärchen/Stasi-Legenden erzählen lassen und lieber den Untersuchungen der
Bor-Isotopen in Hannover Beachtung schenken. Danach ist nämlich das
Sickerwasser in den Grundwasserleitern und zwar sowohl in südlicher, als auch
in nördlicher Fließrichtung. Leider!
Mit freundlichen Grüßen