Schönberg (19)

 

Märtyrer gesucht

 

("Report", Dienstag, 11.10.1988, 21.00, ARD). "Report" München vermutet nun auch "Mord im Fall Barschel". 21 Einsendungen und Zweifel führte der Beitrag von Wiengl/ Winkharbt gegen die Selbstmordthese ins Feld, darunter Indizien, die vom 'Spiegel' schon widerlegt wurden, mit der brillant‑banalen Erklärung, jemand (ein Freund?) könnte Barschel geholfen haben. Aber auch einige neue Fragen stellte Report. Was war auf den vier unbekannten Filmen der 'Stern'­-Reporter und warum hat die Kripo keine Fotos. Oder Barschel lag über zehn Stunden im Wasser mit ausgestreckten Beinen, ist nicht ertrunken, hatte aber mittags noch nasse Haare. Wieso? Das so harmlos klingende "Hämatom über dem Haaransatz" geistert seit Monaten durch die Illustrierten. "Report" ­zeigte Obduktionsfotos. Die einzige Leiche, die ich jemals sah, war Berlins 107te Drogentote, die mir eines Morgens in der Uni‑Toilette entgegenfiel (mit der Spritze im Arm), und die war kalklich‑weiß; dieser blutig rasierte Schädel dagegen weist blaue und schwarze Flecken auf, als hätte ihn jemand mit einem Hammer bearbeitet.

 

Woher kommt dieses neue Interesse? Frau Barschel will erklärtermaßen, daß ihre Kinder keinen Selbstmörder zum Vater haben; soweit seine Taten andere Menschen belasten, erscheinen sie der preußischen Landadligen offenbar nur halb so despektierlich. Vielleicht hoffen die CDU‑Medien, Barsche] als "Märtyrer" zu gewinnen. "Haben dunkle Mächte Regie geführt?", fragt "Report" ­München, und Sie ahnen gar nicht, welche Antworten Sie darauf bekommen werden! Derjenige, der nach Barschel am meisten Federn ließ, war eindeutig Stoltenberg. Noch vor Jahresfrist oberster Herausforderer Kohls, hat der ihn heute auf Null gebracht. Waren Pfeiffers Enthüllungen Kohls Waffe gegen den Konkurrenten? Barschel hatte im Norden niemals wirklich die Macht, er war nur Stoltenbergs Statthalter; gewisse Akten zum Beispiel über den Export der HDW-U-­Boote nach Südafrika, hat er gar nicht in die Hand bekommen.

 

Die Spur führt nach Lübeck. der "Giftmüllkönigin Europas". Wer immer in der EG verschwinden oder illegal verladen wollte, fand hier jahrelang sichere Umschlagsplätze, vom Seveso-­Gift bis zu NUKEM‑Transporten. Der Transnuklear‑ Untersuchungsausschuß hat die Hafenakten angefordert, um illegalen Exporten auf die Spur zu kommen. Er wird diese Akten niemals erhalten. Grüne Parlamentarier verschafften sich mit Mut und Tricks Zugang zu den Aktenordnern: Bis 1985 sind sie leer, der Inhalt verbrannt und der Hafenkapitän Delfs, der die di­rekte Anweisung zur Vernichtung gab, ist seit Monaten krank gemeldet. Im Aufsichtsrat der Hafenge­sellschaft saßen damals der CDU-Bürgermeister und Beamte der Bundesregierung.

 

Freya Barschel spricht selbst von "Waffenschiebern" und von neuen Informationen. "Schleswig‑Holstein ist ein Land, wo viel durchgeht", und der Stoff, der in dieser Branche am meisten bringt, ist Plutonium. Daß von den Lübecker Atomtransporten viele ihre offiziellen Bestimmungshäfen nie erreicht haben, läßt sich nicht vollends mit schlamperter Buchführung erklären, und man weiß heute, wie die Hanauer Firmen ihre Bombenstoffe verschoben. Vorsitzender des überfraktionellen "Kieler Atomforums" ist Stoltenberg, mithin eine der Zentralfiguren der Atomwirtschaft, und der soll von den Schiebereien nichts gewußt haben?

 

Weltweit fehlt mittlerweile Plutonium hundertkiloweise in den Brennkreisläufen, während Irak, Pakistan, Israel, Südafrika an Atomwaffen bauen. Das sind Geheimnisse, groß genug, daß Hunderte von Killern Tausende von Menschen dafür töten würden.

 

Es gibt aber einen Grund, warum ich einem wie Barschel Selbstmord nicht zutraue: Sein Motiv war, neben der schweren Tavor‑Sucht, die Schande, am nächsten Tag als ehrloser Verlierer dazustehen. Na und? Strauß, der Nuttenpreller, KZ‑Baumeister Lübke, Nazi-Redner Kiesinger, Helmut Kohl mit seinem getürkten Doktortitel und "Black-­Out" vor Meineid ebenso wie Zimmermann, nicht zu vergessen Leutnant Schmidt, der Rädelsführer von Stammheim und Graf Lambsdorff auf­ Bewährung freier Betrüger: sie alle sind bewährte Charaktermasken des Kapitals. Wer Südafrika‑Rassisten bewaffnet, Chile‑Folterer ausbildet, mit IWF­-Auflagen Kinder verhungern läßt, mit Krallen und Zähnen die Abrüstung sabotiert und wegen der Option auf eigene Atomwaffen nicht auf Schnelle Brüter verzichten kann, und das alles nur, damit auch das letzte asiatische Dorf nach der kleingeistigen Rechenkunst deutscher Bankmanager profitabel funktioniert, wer also dem deutschen Imperialismus in diesem Staat an führender Stelle dienen will, der darf natürlich vor keinem Verbrechen zurückschrecken, für den wäre Barschels "hartes Durchgreifen" in Brokdorf und die Chuzpe gegen Engholm die allerbeste Empfehlung.

 

Eine verbrecherische Politik braucht verbrecherische Politi­ker. Vielleicht hat Uwe Barschel,

allein und krisengeschüttelt, nachts beim Rotwein alles bedacht und sich dann wirklich selbst umgebracht. In diesem Fall wäre er der ehrlichste Politiker, den die CDU jemals hatte.

 

Dr. Seltsam

 

Quelle: taz - Donnerstag, 13.10.1988

 

Anmerkungen:

1)    Was die Einstellung zur und mögliche Verwicklung des SPIEGEL in die Barschel-Affäre anbetrifft, wird auf den Beitrag "Barschel - Engholm" auf dieser Homepage verwiesen. Die zutreffenden Kernaussagen bei Andreas von Bülow ("Im Namen des Staates") lauten: "...Rechtzeitig vor der Wahl verpfeift Pfeiffer sein rechtswidriges Tun an die Opposition und das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. DER SPIEGEL veröffentlicht unmittelbar vor der Landtagswahl die Pfeifferschen Enthüllungen und sorgt somit für den sicheren Sturz Barschels. ... Es bleibt zu vermerken, daß DER SPIEGEL bis zur Stunde in Übereinstimmung mit den deutschen Nachrichtendiensten bei der Version des Selbstmordes bleibt und jede Abweichung von der Orthodoxie mit Eifer bekämpft."

2)    Die Antwort auf die Frage, ob "dunkle Mächte Regie geführt haben" bei Barschels Ermordung, kann man mit einem klaren "sehr wahrscheinlich" beantworten. Wer sind diese "dunklen Mächte"? Logen, Clubs und Geheimdienste! Nach Joachim Siegerist waren Barschel und sein politischer Ziehvater (damit kann nur Stoltenberg gemeint sein) Freimaurer und bei Barschels Ermordung habe es sich um eine rituelle Hinrichtung wegen des bevorstehenden Bruches seines Schweigegelübtes gehandelt. Im weiteren haben wir bei den Recherchen über die Skandal-Giftmüll-Deponie Schönberg schon 16 (in Worten: sechzehn) involvierte Club-Mitglieder (Rotary, Lions, Kiwanis ...) identifiziert. Und wer hat Adolf Hilmer vor einer langjährigen Freiheitsstrafe wegen einiger sehr unappetitlicher Staatsschutz- und Vermögensdelikte bewahrt? Waren das etwa Schlapphüte?

3)    Um die aufgezeigte Rivalität zwischen Stoltenberg und Kohl zu verstehen, muß man akzeptieren, daß auch jene Hintergrundmächte keinen monolithischen Block darstellen, auch wenn das meiste an dem angeblichen Ost-West-Konflikt "Theater" war. Der Umfang der "Einweihung" eines "Knechtes der geheimen Oberen" korrespondiert oft nicht zu seinem gesellschaftlichen Rang oder seinem politischen Posten. Deshalb kann beispielsweise der Freimaurer Churchill nur unterdurchschnittlich "eingeweiht" gewesen sein, denn sonst hätte er ja lange vor 1945 gewußt, daß man "das falsche Schwein schlachtet" und er als der Vernichter des britischen Empires in die Geschichtsbücher eingehen würde. Die Rotarier von Siemens haben Kohl mit Millionen gestopft, seine jüdische Abkunft aus Galizien über Wien kann als sehr wahrscheinlich angesehen werden, die weltweite jüdische Großloge B'nai B'rith hat Kohl mit hohen und höchsten Orden behängt. Es ist durchaus plausibel, daß Kohl, der schon Späth, Geißler und Biedenkopf abgemeiert hatte, sich Stoltenberg als Rivalen vom Hals hielt, in dem er dessen "Aftervasallen" Barschel hochgehen ließ.

4)    Ist das Vermächtnis der Hannelore Kohl vielleicht doch echt?

5)    Den Hafenkaptän Delfs hatten sie in der Hand. Das ihn strafrechtlich und dienstrechtlich belastende Material liegt hier vor. Er wird aber voraussichtlich für immer schweigen. Sein diesbezügliches Versprechen kam verschlüsselt über die Presse. Die banale Frage, ob zukünftig Frauen zum Nautischen Verein zugelassen werden sollten, nahm Delfs zum Anlaß zur veröffentlichten Erklärung, er werde nichts preisgeben, auch wenn man ihn mit dem Kopf nach unten an die nächste Laterne hängen sollte.

6)    Eingeweiht ist auch der ehemalige Lübecker Innensenator Egon Hilpert (SPD). Von einem führenden Genossen auf die Ungereimtheiten bei den Atomtransporten nach Lübeck angesprochen, fing er an wie in der Sauna zu schwitzen.

7)    Delfs Vorgesetzten, einen ehrenwerten Amtsleiter aus Hessen, der nichts von Korruption und illegalen Amtshandlungen hielt, hat man übel gemobbt und um seinen Posten gebracht. Der zwischenzeitlich zu recht abservierte Leiter des Liegenschaftsamtes meinte damals zu ihm: "Wenn der Senat es verlangt, müssen Sie auch illegale Dinge tun!" Er selber war durch das große juristische Staatsexamen gefallen, weil er von einer "sehr guten" Vorlage zu deutlich abgeschrieben hatte. Durch einen Sondererlaß des damaligen MP Stoltenberg gelangte er gleichwohl in den höheren Dienst.

8)    Der im taz-Artikel nicht namentlich genannte CDU-Bürgermeister Dr. Robert Knüppel ist im Lions-Club und angeblich der ranghöchste Freimaurer Lübecks. Außerdem war er langjähriger Vorsitzender der Possehl-Stiftung, die geradezu im Geld schwimmt. Wer wissen will, wie Possehl zu seinem Vermögen kam, studiere nicht nur die Akten des Reichsgerichts zu einem Embargo-Brecher im Ersten Weltkrieg, sondern lese auch, was Heinrich Mann über einen gewissen Raubtierkapitalisten "Pidohn" schrieb.

9)    Zur Ehrenrettung des Heinrich Lübcke ist festzuhalten, daß es sich bei den ihm zugeschriebenen KZ-Bauplänen um eine Stasi-Fälschung gehandelt hat, ebenso, wie der Droh-Brief des Uwe Barschel an seinen Ziehvater Gerhard Stoltenberg.

10)                                                                          Wenn "Leutnant (Helmut) Schmidt" als der "Rädelsführer von Stammheim" bezeichnet wird, kann auf den Beitrag "R A F" auf dieser Homepage verwiesen werden. Tatsache ist, daß er während des so genannten "deutschen Herbstes" eine hysterische Vision hatte, nach der die BRD sich in einer existentiellen Bedrohung durch Links-Terroristen befände. Er gab - wie weiland von Don Carlos gegenüber Philipp eingefordert - Gedankenfreiheit und "Reblaus", der ständig mit Obstler und Edelzwicker abgefüllte Generalbundesanwalt aus dem Lions-Club (mit seinem promovierten Hundekrauler Hans-Jürgen Förster aus der Kaderschmiede des Rotariers Oswald Kleiner), plädierte erfolgreich für die Wiedereinführung der Todesstrafe.

11)                                                                          Die taz hat recht: Eine verbrecherische Politik braucht verbrecherische Politiker. Da war Barschel nur ein kleines Licht. Die großen Täter im Hintergrund laufen überwiegend noch frei herum; meist auch noch mit einem hochklassigen Bundesverdienstkreuz behängt.

 

 

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