Die Saga vom Volk der
Zipfelmützen
Es war einmal ein Land im Herzen Europas.
Die Menschen, die dort lebten, waren zeitlebens damit beschäftigt zu arbeiten,
Steuern zu zahlen und fürs Alter vorzusorgen. Sie beherzigten das Motto ihrer
Vorväter »Man lebt, um zu arbeiten« und schüttelten den Kopf über die
gegenteilige Ansicht vieler ihrer südlichen Nachbarn, die ihnen einflüstern
wollten »Man arbeitet, um zu leben«.
Weltweit bekannt wurden diese Menschen
aus Michelland durch ihre Zipfelmützen, die man über Augen und Ohren ziehen
konnte, um Unangenehmes möglichst nicht zu sehen und zu hören. Das nutzten die
Politiker von Michelland aus und verteilten das Geld und Vermögen dieses Völkchens
an alle Welt, ohne daß
jemand davon las oder hörte oder es sonstwie zur
Kenntnis nahm. Da die Menschen nur für angenehme Nachrichten die Zipfelmützen
lüfteten, wurde ihnen versprochen, die Rentenkassen seien voll, es gäbe bald
überall im Land nur noch blühende Landschaften, der Euro mache alles
preiswerter und einfacher und die EU in Brüssel würde den Wohlstand künftig
noch sicherer machen.
Doch eines Tages wollten die Michel die Früchte ihrer
nimmermüden Arbeit sehen und schoben die Zipfelmützen hoch. Sein zu
ihrem Erschrecken waren die Rentenkassen ratzeputz
leer, die früheren DM-Löhne halbiert, die Euro-Preise aber genau so hoch wie
zuvor in DM, ihre Arbeitgeber in andere Länder entschwunden, die Werke
geschlossen und ah vielen Läden hing das Schild »Zu vermieten«.
Um sich herum sahen die erschrockenen
Michel nur noch schwarze Löcher neben Riesenbergen von aufgetürmten Schulden
und überall fremdartige Leute, so daß sie ihre Heimat
gar nicht wiedererkannten. Daraufhin erhoben sich
erste Stimmen des Protestes gegen die gutgläubig immer wieder gewählten
Parteien, und vereinzelt wurde der Ruf laut »Wir sind das Volk!«
Das versetzte die Politiker in höchste Alarmstufe, und
sie holten über viele Jahre so viele Nichtmichel ins Land wie nur möglich, um
sich ein anderes Volk zu schaffen.
Damit diese Nichtmichel dann aber auch ihre
Gönnerparteien wählen konnten, wurde ein neues Staatsbürgergesetz erlassen und
eine millionenteure Kampagne gestartet, um die Nichtmichel zu überreden, die
Staatsbürgerschaft ihres Gastlandes anzunehmen. Verständlicherweise wollten die
Nichtmichel nun aber auch die gleichen Rechte haben und so leben wie die
Michel.
Also wurden die Michel wieder zur Kasse gebeten: Das
soziale System der Michel, für das sie Jahrzehnte gearbeitet hatten, war
pleite. Wurde ein Michel arbeitslos, fiel er in kürzester Zeit der Armut
anheim. Das soziale Netz, für das die Michel viele Jahre gearbeitet hatten,
wurde per Gesetz mit größeren Löchern versehen, so daß
man leichter durchfallen kann. Danach mußten sie
alles veräußern, was sie angespart hatten, und anschließend wurden ihre Kinder
und Familienangehörigen vom Staat belangt. Waren auch die ausgeplündert, gab's
für alle die gleiche »Grundversorgung«, für die betroffenen Michel genau so
viel oder wenig wie für die zugewanderten Nichtmichel, die nie oder wenig in
die Sozialkassen eingezahlt hatten. So wurde nach Meinung der Politiker der
Grundsatz »Gleiche Rechte für alle« vorbildlich verwirklicht.
Als sich das Murren im Volk der Michel über diese Entwicklung
aber zu einem Brodeln verstärkte, beschlossen die Politiker, nun Nägel mit
Köpfen zu machen: Regierung und Opposition, die in Sachen Einwanderung bisher theaterreife Schaukämpfe miteinander geführt hatten, um
ihre stille Übereinstimmung zu vernebeln, einigten sich flugs über ein neues
Zuwanderungserweiterungsgesetz. Das hatte zum Ziel, daß
künftig noch mehr Nichtmichel einwandern und die Parteien sich endlich ein
Wahlvolk nach ihren Wünschen schaffen können, das sich nicht mehr mit so
antiquierten Begriffen wie »Volk« oder »Nation« gegen die weisen
Regierungsbeschlüsse auflehnen würde.
Als die Regierenden glaubten, sie hätten dieses Ziel
wohl endlich erreicht, beschlossen
sie folgerichtig, den
Nationalfeiertag, den die
Michel immer am 3. Oktober eines
Jahres feierten, einfach abzuschaffen, weil die ja nun keine Nation mehr
seien.
Da aber durchfuhr ein fürchterlicher Schreck die Regierenden:
Viele der Michel rissen sich die Zipfelmützen vom Kopf und warfen diese voller Protest
den Regierenden vor die Füße. Eilends ließen die Regierenden von ihrem Plan
ab und beraten nun, wie man verhindern könne, daß das
gesamte Volk diesem Beispiel folgt.
Sie glauben, werte Leserinnen und Leser dieses Märchens,
solch ein Michelland gäbe es gar nicht?
Dann haben SIE Ihre Zipfelmütze noch nicht hochgeschoben!
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