Zionistin
Angela Merkel
Offener Brief
von Dr. Meir Margalit,
israelischer Historiker, an Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich ihrer
Reden und ihres (Nichts-)Tuns auf der Israel-Reise.
Mittwoch,
26. März 2008
Sehr
geehrte Frau Merkel,
schon
seit langem hat man in Israel keine Reden gehört, die solchen zionistischen
Pathos hatten wie die Reden, die Sie bei Ihrem Besuch in Israel vor einer Woche
gehalten haben, Sie haben es während Ihres dreitägigen Besuchs sehr klar
gemacht, wie sehr Sie den Staat Israel unterstützen und gegen seine Feinde an
seiner Seite stehen. Acht Minister, unzählige Regierungsangestellte und
Sicherheitskräfte haben Sie mitgenommen, um mit großem Aufwand bei Ihren
Gastgebern einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Trotz
des Obengenannten muss ich Sie jedoch, mit allem Respekt, darauf hinweisen,
dass Sie uns keine gute Tat erwiesen haben;
Wenn
Sie nämlich wirklich nur Israels Wohl im Sinne gehabt hätten, dann hätten Sie
die Palästinenserfrage zumindest erwähnt.
Statt dessen taten Sie so, als ob es sie überhaupt nicht gäbe. Sie hätten mit
klaren Worten erwähnen müssen, dass
die israelische Besetzung der Palästinensergebiete unmenschlich ist und enden
muss, dass Israel die besetzten Gebiete räumen, die Siedlungen auflösen
und die Belagerung des Gazastreifens beenden muss.
Wenn
Sie nämlich wirklich nur Israels Wohl im Sinne gehabt hätten, dann hätten Sie
Abu Mazen zumindest einen Besuch abstatten sollen und
sich mit dem palästinensischen Kampf um Unabhängigkeit solidarisch zeigen sollen. Wenn Sie wirklich an der Seite
Israels gegen seine Feinde stehen wollten, dann hätten Sie zuallererst
den Staat Israel selbst kritisiert.
Die
größte Gefahr, die Israel zu fürchten hat, ist nämlich ironischerweise nicht
Iran, sondern Israel selbst.
Seit 1967 betreibt der Staat Israel nämlich ein System
der Selbstvernichtung. Jeder, der sich um das Wohl des Staates Israel bemüht, muss ihm helfen, dieses System zu
beenden. Ich bin mir sicher, dass Sie gebildet genug sind,
das zu wissen. Auch weiß ich, dass das Schuldbewusstsein des deutschen Volkes
Ihnen nicht die Möglichkeit gestattet, den jüdischen Staat offen zu
kritisieren. Zudem kann angenommen werden, dass in einem solchen Fall
israelische Politiker Ihnen vorgeworfen hätten, eine Antisemitin zu sein.
Trotzdem
sollten Sie sich nicht davon abbringen lassen, denn der wirkliche Antisemit ist
der, der angesichts der Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten
schweigt, da es jedem klar ist, dass die Fortsetzung der Besetzung das Ende des
Staates Israels auf sich ziehen wird.
Und
falls man Ihnen vorwirft, eine Antisemitin zu sein, können Sie ja Ehud Olmert selbst zitieren, der
vor drei Monaten sagte, dass, wenn die Besetzung nicht beendet wird, der Staat
Israel beendet werden wird.
Ich
würde Sie gerne darauf hinweisen, Frau Merkel, dass die Mehrheit der Israelis
eingesteht, dass die Besetzung untragbar ist und uns nicht weniger Schaden
zufügt als den Palästinensern. Jedoch fehlt der israelischen Regierung die
Kraft, die einzige Operation durchzuführen, die unser Leben retten kann: die
Entfernung des Tumors, der sich „(besetzte) Gebiete“ nennt. Durch diesen Tumor
bluten wir ununterbrochen, und er macht uns von Tag zu Tag schwächer.
Und
daher brauchen wir keine Solidaritätsbekundigung und
auch keine prozionistischen Reden, sondern
internationalen Druck, der die Besetzung beenden kann. Alleine schaffen wir das
nämlich nicht. Jedoch mit Hilfe unserer europäischen Freunde gibt es eine
Chance, Ruhe und Frieden für beide Völker zu erreichen.
Zum
Schluss würde ich Sie gerne darauf hinweisen, dass ich zwar kein Moralist bin,
aber dennoch denke, dass Sie eine der wichtigsten moralischen Lektionen des
Zweiten Weltkrieges vergessen haben: Nämlich, dass man bei
Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen darf, und dass man gegen jedes
Regime, das ein anderes Volk unterdrückt, kämpfen muss.
Heute
sind wir leider die Unterdrücker. Es ist daher Ihre Aufgabe, mit lauter Stimme
zu sagen, dass das 21. Jahrhundert keinen Platz für Besatzungsmächte und
Unterdrücker hat und dass jedes Volk ein Recht auf Selbstbestimmung hat.
Israel
braucht diesen Druck um seiner selbst willen. Wer Israel liebt, muss Druck
ausüben bis die Besetzung beendet ist.
Mit
freundlichen Grüßen
Dr.
Meir Margalit, Historiker
Aktivist
der israelischen Friedensbewegung und ehemaliges Stadtratsmitglied
von
Jerusalem von der Meretz-Partei