Vorratsdatenspeicherung
Kriminalitätsbekämpfung oder lückenlose Überwachung?
Das
Bundesverfassungsgericht hatte schon 1983 klargestellt, daß eine Sammlung von personenbezogenen »Daten auf Vorrat zu
noch nicht bestimmbaren Zwecken«
verfassungswidrig sei. Damit soll verhindert werden, daß Daten einfach drauflos ins Blaue hinein für alle Fälle gespeichert werden.
Bereits 1977 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß ein loser Verdacht zur Rechtfertigung
von Datenspeicherungen nicht genügt.
Aber genau das steht uns jetzt bevor!
Seit
1996 fordern die Sicherheitsbehörden, in letzter Zeit immer häufiger als
»Bedarfsträger« bezeichnet, Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsverbindungsdaten.
Im Jahr 2000 überraschte die deutsche Innenministerkonferenz die Öffentlichkeit
mit einem einstimmigen Beschluß, Diensteanbieter, insbesondere
Internetprovider, sollten verpflichtet
werden, sämtliche Verbindungsdaten mindestens sechs Monte lang aufzubewahren.
Der Innen- und Rechtsausschuß des
schleswig-holsteinischen Landtags sprach sich noch im Januar 2001 einmütig gegen die Einführung einer solchen Speicherverpflichtung
aus. Die politische Kritik wie der heftige
Protest von Datenschützern und Diensteanbietern hinderte die Länder
Bayern und Thüringen aber nicht, in zwei
Anläufen »zur Verbesserung des strafrechtlichen Instrumentariums« im Bundesrat entsprechende Gesetzentwürfe
einzubringen.
Nach den Terroranschlägen des 11.
September 2001 schien jedes Mittel durchsetzbar zu sein, auf dem »Kriminalitätsbekämpfung«
stand, egal wie sehr es in Grundrechte
eingreift und wie untauglich es ist. Als die Mehrheiten im Bundesrat sich im April 2002 geändert hatten, ging es mit dem Projekt
voran.
Am
30.5.2002 widerrief das Europäische
Parlament nach einer heftigen Debatte
mit dem EU-Rat das bisherige ausdrückliche Verbot der Vorratsdatenspeicherung
von Telekommunikationsdaten.
Einen Tag später beschloß der Bundesrat ein Gesetz »zur
Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen
wegen des Verdachts sexuellen Mißbrauchs von Kindern« und
darin versteckt die Vorratsdatenspeicherung
von Telekommunikations-Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung.
Und kaum jemand fragte, was das
eine mit dem anderen zu tun haben könnte.
Der
Beschluß des Bundesrats bedeutet, daß ohne Vorliegen des Verdachts einer Straftat oder einer konkreten Gefahr von allen
unbescholtenen Menschen in der Bundesrepublik sämtliche Nutzungs- und Verbindungsdaten gesammelt
werden sollen. Das sind die Angaben, wer
mit wem wann und wie lange telefoniert oder
gefaxt hat, eine SMS oder eine
e-Post geschickt hat. Bei der Kommunikation mit Mobiltelefonen kommen noch die Angaben über den
Gerätestandort hinzu. Bei der Nutzung des
Internet soll über die gesamte Frist von z.B. einem Jahr nachvollziehbar sein, wer wann welche Seiten aufgerufen
und welche Dienste in Anspruch genommen hat.
Der Bundesrat hat mit seinem Beschluß
wenig Achtung vor unseren im Grundgesetz
garantierten Rechten auf Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit
bekundet.
Am 14.12.2005 stimmte das EU-Parlament einer von der Europäischen
Kommission erarbeiteten EG-Richtlinie über
die Vorratsdatenspeicherung zu, am
21.2.2006 folgte der Europäische Rat
ohne weitere Aussprache. Nur die Vertreter Irlands und der Slowakei stimmten
dagegen. Gegner dieser Entscheidung wie
der irische Justizminister
bezweifeln die Verfassungsmäßigkeit;
Irland reichte am 6.7.2006 gegen die Richtlinie Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein.
Stützen
kann sich Irland auf die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs zur Fluggastdatenübermittlung in die USA,
derzufolge solche Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft zur Gewährleistung
der öffentlichen Sicherheit und auf dem Gebiet der Strafverfolgung nichtig
sind. Eine Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs wird für 2008 erwartet.
Erklärt
der Europäische Gerichtshof die Richtlinie für nichtig, bleibt ein deutsches Umsetzungsgesetz zur Vorratsdatenspeicherung
gleichwohl bestehen!
Die
Umsetzung in nationales Recht möchte die Bundesregierung nun zügig vorantreiben.
Ab
2008 soll nachvollziehbar werden, wer mit
wem in den letzten sechs Monaten per Telefon oder Internet in Verbindung gestanden
hat und bei der Nutzung von
Mobiltelefonen zusätzlich der Standort.
Mit
Hilfe der gespeicherten Daten können Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche
Kontakte rekonstruiert und private Beziehungen
identifiziert werden. Auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Unterhaltung, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Teilnehmer
werden möglich.
Zugriff auf die Daten sollen Polizei, Staatsanwaltschaft, Nachrichtendienste sowohl im In- als auch im
Ausland erhalten, die sich davon eine verbesserte Strafverfolgung versprechen.
Derzeit dürfen Telekommunikationsanbieter
nur die zur Rechnungstellung
erforderlichen Verbindungsdaten speichern. Dazu gehören jedoch keine
Standortdaten und Daten des elektronischen Postverkehrs. Der Kunde kann
verlangen, daß Abrechnungsdaten mit
Rechnungsversand gelöscht werden.
Durch die Benutzung von Pauschaltarifen konnte eine Speicherung zudem
bisher gänzlich vermieden werden.
Die aktuellen Pläne zur Aufzeichnung von Informationen über die Kommunikation,
Bewegung und Mediennutzung jedes Bürgers stellen
die bislang größte Gefahr für unser Recht auf ein selbstbestimmtes und privates Leben dar.
Unter
einer Vorratsdatenspeicherung würden alle leiden:
• Eine Vorratsdatenspeicherung greift unverhältnismäßig in die persönliche Privatsphäre
ein.
• Eine Vorratsdatenspeicherung beeinträchtigt
berufliche Aktivitäten (z.B. in den Bereichen Medizin, Recht, Kirche, Journalismus)
ebenso wie politische und unternehmerische Aktivitäten,
die Vertraulichkeit voraussetzen. Dadurch schadet sie letztlich der
Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.
• Eine Vorratsdatenspeicherung verhindert Terrorismus oder Kriminalität nicht. Sie ist unnötig und kann von
Kriminellen leicht umgangen werden.
• Eine Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das Menschenrecht
auf Privatsphäre und informelle
Selbstbestimmung.
• Eine Vorratsdatenspeicherung ist
teuer und belastet Wirtschaft und
Verbraucher.
• Eine Vorratsdatenspeicherung benachteiligt Nutzer von
Telefon, Mobiltelefon und Internet gegenüber anderen
Kommunikationsformen.
Der
dazugehörige umstrittene Gesetzentwurf von
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wurde am 19.4.2007 vom
Bundeskabinett beschlossen.
Datenschützer
haben bereits im Vorfeld angekündigt,
Verfassungsbeschwerde einzulegen.
Wie umstritten dieser Gesetzentwurf
ist, zeigt eine Pressemitteilung des DAV
(Deutscher Anwaltverein) vom 18.4.2007:
»...
„Alle Bürger dem Generalverdacht auszusetzen, sie seien Straftäter, ist
unerträglich," erläutert Rechtsanwalt Hartmut Kilger, DAV-Präsident. Einen
Eingriff in die Privatsphäre von unbescholtenen Bürgern dürfe es nicht geben.
Bereits
jetzt breiten sich die Maßnahmen der Telefonkommunikationsüberwachung nahezu
explosionsartig aus. Durch diese hohe Zahl der Überwachungsmaßnahmen ist die
Vertraulichkeit beim Telefonieren und bei der elektronischen Kommunikation so
weit reduziert, daß die Bürgerinnen und Bürger sich einer ständig latenten
Gefahr des Überwachtwerdens ausgesetzt sehen...«.
Der
Gesetzentwurf muß noch vom Bundestag verabschiedet werden. Aber auch wenn von
allen Seiten Forderungen nach Ablehnung laut
werden, wird das Ergebnis wohl ausfallen
wie bei anderen Abstimmungen zur Umsetzung von EG-Richtlinien in nationales
Recht:
»Wir
werden diesem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses mit Tränen in den
Augen und murrend zustimmen, weil wir keine andere Möglichkeit haben.«
Siegfried
Kauder (CDU) über die Abstimmung zum EU-Haftbefehl (vgl. UN 7/2005)
Quelle: UNABHÄNGIGE NACHRICHTEN 5 / 2007 / 9 f