Volksverhetzung (3)
Geschütztes Rechtsgut (des §
130 StGB = Volksverhetzung) ist nach dem vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages
übernommenen Formulierungsvorschlag des Bundesministers der Justiz das Allgemeininteresse daran, daß das politische
Klima nicht vergiftet wird. Ein so formuliertes "Allgemeininteresse" ‑
soweit überhaupt ausmachbar ‑ ist allein noch kein hinreichend faßbarer
Rechtsgrund für eine Strafdrohung. Mit Recht hat der Abgeordnete Mahlo im
Bundestag (12/19666) darauf hingewiesen, daß das öffentliche Klima auf
mancherlei Weise nachhaltig vergiftet werden könne. Das Strafrecht könne sich
auch nicht in das "Schlepptau der öffentlichen Moral" begeben (so
Abg. R. K. Krause BTag 12/19905 unter Hinweis auf Roellecke FAZ v. 18. 5.
1994). Die Rechtsprechung sowie das Schrifttum (Schönke-Schröder 7 zu § 130 mit
weiteren Nachweisen und 1 zu § 194) sind ‑ ebenso wie der Gesetzgeber des
21. Strafrechtsänderungsgesetzes (BT‑Drs. 10/3242 S. 8) bei der
Neuregelung des § 194 1 S. 2 bis 5, 11 S. 2 bis 4 ‑ davon ausgegangen,
daß das bloße Bestreiten systematischer Judenmorde den Tatbestand der
Volksverhetzung (§ 130 Nr. 3 alter Fassung) nicht erfülle (BGH St 40, 100 (mit
insoweit zustimmender Anmerkung Baumann NStZ 94, 392; ferner Bertram NJW 94,
2002); NStZ 81, 258; 94,140; Celle NJW 82, 1545; Schönke-Schröder 7; AK‑Ostendorf
15‑ Schmidt MDR 81, 974). Man wird daher als Schutzgut des Absatz III ‑
ebenso wie in 1 (oben 1 c) und wie sich schon aus der Tatbestandsformulierung
ergibt (oben 2) ‑ in erster Linie den öffentlichen Frieden ansehen
müssen. Freilich erscheint die Beschränkung des Absatz 3 auf die Billigung,
Leugnung oder Verharmlosung von NS‑Gewalttaten im Sinne des § 220a
problematisch: auch § 194 (dort 1) erstreckt seit dem 21.
Strafrechtsänderungsgesetz den Wegfall des Antragserfordernisses nicht nur auf
die Verfolgungsopfer der NS‑Gewaltherrschaft, sondern auch auf die
"anderer Gewalt‑ und Willkürherrschaften". Zwar hat sich die
umstrittene und unausgereifte (1 zu § 194; LK 1, SchSch 1, Lackner3, jeweils zu
§ 194) Regelung des 21. Strafrechtsänderungsgesetzes ‑ wie wiederum (vgl.
1 zu § 194) in einer Einzelfallentscheidung (BGH St 40, 97) zutage trat ‑
als unzureichend erwiesen. Diesem Mangel kann aber nicht schon, wie dies im
Verbrechensbekämpfungsgesetz geschah, unter Beschränkung auf die Verfolgungsopfer
der NS-Gewaltherrschaft abgeholfen werden. Um sich nicht dem Einwand einer ad‑hoc-Gesetzgebung
auszusetzen, sollten strafrechtliche Regelungen in ihrer Bedeutung und in ihren
Auswirkungen über den aktuellen Anlaß hinausreichen, das strafbewehrte Verbot
einer den öffentlichen Frieden störenden Billigung, Leugnung oder Verharmlosung
von Massentötungen daher auch solche schwerste Unrechtstaten anderer Gewalt‑
und Willkürherrschaften der Vergangenheit (zB stalinistische Gewaltverbrechen)
miteinschließen und auch Massentötungen und schwerste Menschenrechtsverletzungen
von Diktaturen und Unrechtsregimen der Gegenwart nicht ausnehmen. Die
"negative Einzigartigkeit" des Holocaust rechtfertigt es gerade
nicht, etwa die Billigung oder Verharmlosung anderer Massentötungen ‑
auch solche geringeren Ausmaßes als denen des Holocaust ‑, so sie auf
friedenstörende Weise geschieht, weniger ernst zu nehmen.
Quelle: "Strafgesetzbuch" Kommentar von Dr. Herbert Tröndle,
47. Aufl., 1995 (Standard-Handkommentar der Praxis)
Anmerkung: Einige im Urtext enthaltene Abkürzungen wurden zum besseren
Verständnis für Nichtjuristen ausgeschrieben.