Vergangenheit, die nicht vergeht ...

 

Wer in aller Ausführlichkeit über den sogenannten Historikerstreit berichten wollte, der könnte wie der Erzähler in »Tausendundeine Nacht« seine Zuhörer wochenlang unterhalten: Er würde den Inhalt des großaufgemachten Artikels in der »Zeit« vom 11. Juli 1986 wiedergeben, mit dem der Philosoph Jürgen Habermas die falschen und gefährlichen Auffassungen einiger »neokonservativer Historiker« mit heftigen Worten angriff; er müßte die Aufmerksamkeit auf die Planung eines Museums für deutsche Geschichte von seiten der Bundesregierung lenken; er hätte von der Artikelfolge zu erzählen, mit der abermals die »Zeit« einigen Historikern das Wort zu ausführlichen Stellungnahmen gab; aber auch von »Spiegel-Essays« Rudolf Augsteins, von Artikeln in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und in vielen anderen Organen bis hinunter zu »Stern« und »konkret«. Auch wenn er nicht alle Fernsehdiskussionen und Hörfunksendungen erwähnen könnte, müßte er doch jedenfalls die inzwischen mehr als zwei Dutzend Bücher aufzählen, die diesem Streit ihr Dasein verdanken, zum guten Teil Sammelwerke, welche den Inhalt von Vorlesungsreihen und Konferenzen wiedergeben, wo nahezu durchweg der Stab über die »Viererbande« (Elie Wiesel) der Historiker Klaus Hildebrand, Andreas Hillgruber, Michael Stürmer und Ernst Nolte sowie zusätzlich über Joachim Fest gebrochen wurde, den Mitherausgeber der FAZ. Ein eigenes Kapitel würden die Reaktionen des Auslandes bilden, und auch hier gäbe es eine Fülle von Artikeln und mehrere Bücher zu registrieren.

Am Ende würde dem Erzähler die Stimme erstorben sein, und die Zuhörer wären längst eingenickt, sofern sie nicht das Weite gesucht hätten. Und doch müßte eigentlich ein neuer Berichterstatter an die Stelle des alten treten, denn einige Autoren sind der Auffassung, daß es sich bei all dem nur um eine Episode innerhalb einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung gehandelt habe, in der »kritische Historiker« gegen »reaktionäre Mandarine« gefochten hätten und eine moderne Sozialgeschichte sich gegen den überholten Historismus von Neu-Rankeanern durchgesetzt hätte. So wäre das Endresultat der unverdrossenen Erzähler am Ende wohl ein dickes Buch, das den Titel »Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft« trüge und dann doch als ganz unzureichend befunden werden müßte, weil die Politologen, Publizisten und Journalisten weggefallen wären, die tatsächlich einen so großen Anteil an dem sogenannten Historikerstreit der Jahre seit 1986 hatten.

Die emotionale Mitte der Kontroverse

Man kann aber auch den entgegengesetzten Weg einschlagen und mit sehr viel weniger Zeit auskommen, wenn man wissen will, worum es in dieser Auseinandersetzung denn eigentlich ging. Man braucht sich nämlich nur zu fragen, welche Sätze aus den Schriften jener angeblichen Viererbande immer und immer wieder zitiert und attakkiert worden sind. Es sind deren zwei. Der eine findet sich in einem FAZ-Artikel von Michael Stürmer, wo es heißt, »daß in geschichtslosem Land [derjenige] die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet«. Der andere steht in einem FAZ-Artikel von mir, publiziert am 6. Juni 1986, und lautet: »Aber gleichwohl muß die folgende Frage als zulässig, ja unvermeidbar erscheinen: Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine >asiatische< Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer >asiatischen< Tat betrachteten? War nicht der Archipel GULag ursprünglicher als Auschwitz?« Der Artikel hat die Überschrift »Vergangenheit, die nicht vergehen will«, eine Überschrift, die mir als Vortragsthema nebst dem Untertitel »Auseinandersetzung oder Schlußstrich?« von der Leitung der »Römerberggespräche« in Frankfurt vorgegeben, dann aber wieder entzogen worden war.

Die Rede, die zum bloßen Artikel wurde, nahm ihren Ausgang von der Wiedergabe zweier entgegengesetzter Argumentationsreihen hinsichtlich des deutschen Verhältnisses zur nationalsozialistischen Vergangenheit, von denen die eine die öffentliche Meinung bestimmt, während die andere nur in einer Art Untergrund lebendig ist; sie postuliert eine Korrektur von Schwarz-Weiß-Bildern und führt als »Schlüsselwort« einen Satz von Max Erwin von Scheubner-Richter an, der später ein naher Vertrauter Adolf Hitlers wurde und der während des Weltkriegs als deutscher Diplomat in der Türkei angesichts der Armeniermorde sein Entsetzen über die »asiatische« Art der ethnischen Auseinandersetzungen zum Ausdruck gebracht hatte. Als zweites »Schlüsselwort« folgt eine Äußerung Hitlers bei einer Lagebesprechung nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad, wo er in offenkundig aufrichtiger Überzeugung eine Behauptung über - angebliche - Foltermethoden der Tscheka, den »Rattenkäfig«, wiederholt, über die 1920 in vielen Zeitungen Deutschlands und des Auslandes berichtet worden war. Gegen Ende des Artikels wird dann eine Unterscheidung zwischen der sozialen Vernichtung, welche die Bolschewiki ins Werk setzten, und den biologischen Vernichtungsmaßnahmen der Nationalsozialisten getroffen, aber es wird nachdrücklich eine Einstellung als irreführend bezeichnet, die »nur auf den einen Massenmord blickt und den anderen nicht zur Kenntnis nehmen will, obwohl ein kausaler Nexus wahrscheinlich ist«.

Es liegt auf der Hand, daß der angeführte Satz von Michael Stürmer eine formale Aussage macht und also auch zum Nationalsozialismus keinen inhaltlichen Bezug hat. Daher ist erst später auf ihn zurückzukommen. Zunächst stelle ich die vorläufige These auf, daß die angeführten Sätze aus dem FAZ-Artikel vom 6. Juni die emotionale Mitte des »Historikerstreits« gebildet haben und weiterhin bilden. Zur Veranschaulichung zitiere ich aus einem Leitartikel Theo Sommers in der »Zeit«, wo der Autor, ohne einen Namen zu nennen, folgendes sagt: »Die Wahnidee, Hitler und seine Leute hätten eine >asiatische Tat< nur deshalb vollbracht, weil sie sich als potentielle oder wirkliche Opfer einer solchen asiatischen Tat betrachteten, der Archipel GULag sei ursprünglicher als Auschwitz; der Klassenmord der Bolschewiki sei >das logische und faktische Prius< des Rassenmordes der Nationalsozialisten - sie ist der Ausfluß, des aberwitzigen Denkens eines wunderlichen Einzelnen, nicht herrschende Lehrmeinung.«

Inzwischen lag nun freilich seit mehr als einem Jahr ein umfangreiches Buch dieses »wunderlichen Einzelnen« vor, und Herr Sommer hätte seinen Lesern mindestens mitteilen sollen, ob er es nach der Lektüre des "Europäischen Bürgerkriegs 1917-1945" noch für ausgemacht hielt, mit »Wahnideen« zu tun zu haben. Aber er hätte vielleicht, wenn er zum Lesen noch nicht gekommen wäre, immerhin feststellen sollen, daß sogar in dem Artikel jene »Thesen« innerhalb eines Gedankengangs ihre Stelle fanden, zu dem auch der Begriff der »kollektivistischen Schuldzuschreibung« gehörte, ein Begriff, in dem offenbar eine prinzipielle Verurteilung der nationalsozialistischen Denk- und Handlungsweise enthalten war - freilich nicht nur der nationalsozialistischen Denk- und Handlungsweise. Er hätte hinzufügen sollen, daß auch das Postulat der »Gleichbehandlung« der deutschen Geschichte vorgebracht wird und daß damit nichts anderes als die Maxime gemeint ist, jede Periode der Geschichte müsse mit feststellender und abwägender Vernunft und nicht in der Perpetuierung der Leidenschaften und propagandistischen Schwarz-Weiß-Bilder der Zeitgenossen zum Gegenstand der Wissenschaft gemacht werden.

Quelle: Prof. Dr. Ernst Nolte, "Abschließende Reflexionen über den sogenannten Historikerstreit", in: "Die Schatten der Vergangenheit - Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus", Herausgegeben von Uwe Backes / Eckhard Jesse / Rainer Zitelmann, S. 83 - 86

 

 

I. Ein Skandal ("Hamburg schämt sich ... !") war das wieder einmal nicht. Aber ein langes Wochenende raste der See und wollte sein Opfer haben: den Kopf des Hamburger Amtsrichters, der zwei Neo-Nazis freigesprochen hatte. Die Entscheidung (vgl. den Abdruck in NJW 1995, 1039) ist noch nicht rechtskräftig; wie sie letztlich ausfällt, steht in den Sternen. Trotzdem verdient die Sache heute schon ihre Glosse - gleichgültig wie Berufungs- und gegebenenfalls Revisionsgericht dereinst urteilen:

Der Richter hatte einen Freispruch mangels Beweises verkündet. Kein Mensch - selbst seine aufgeregtesten Kritiker nicht - behauptete, er habe in der Verhandlung oder seiner Urteilsbegründung nur ein antisemitisches, taktloses, verdächtiges oder überhaupt "unkorrektes" Wort gesagt. Der nackte Umstand, daß er die Beweise anders gewürdigt hatte, als es die Kritiker (ohne Kenntnis der Hauptverhandlung) im nachhinein verlangten, war genug, den Richter zu richten: Solche Leute spricht man nicht frei, zumal nicht unter so verdächtigen Umständen ("Mythos" statt "Lüge")! Irgendwie roch es plötzlich auch in der Freien und Hansestadt nach einem "Fall Orlet" (Deckert); diese Parallele war prompt in aller Munde. Der Richter wurde beschimpft, mitsamt Familie bedroht, ständig telephonischen Anrempeleien ausgesetzt und persönlich verunglimpft. Wie mild und fürsorglich klingt dagegen die Schlagzeile der Zeit vom 10. Februar: "Ein Fehlurteil, kein Skandal: Wie ein Hamburger Amtsrichter zwei Neonazis leichtgläubig auf den Leim ging".

Die Kampagne sackte dann ziemlich rasch - fast sang- und klanglos - in sich zusammen. Kraft besserer Einsicht? Nein: Ein paar renommierte und beherzte Hamburger Strafverteidiger hatten den Presseleuten klar gemacht, sie seien dabei, sozusagen das falsche Schwein zu schlachten. Der junge Richter sei ohne Fehl und Tadel, keineswegs ein "Rechter", das Gegenbild eines Antisemiten oder Ewig-Gestrigen, vielmehr ein besonders liberal, skrupelhaft und rechtsstaatlich gesinnter Vertreter seines Standes ... So stand es dann auch im Spiegel. Die Kommentare wurden alsbald moderater, im Fernsehen ließ sich das Schrumpfen der Erregung geradezu optisch besichtigen ... Die Hamburger taz vom 10. 2. aber drehte den Spieß um und ging mit der leichtfertigen Kritik harsch ins Gericht: Ein Justizskandal, der keiner ist.

Soweit, so gut. Man wird sich allerdings fragen müssen, ob die Kopfjagd auch in dem Falle so bald abgeblasen worden wäre, daß der Richter als konservativ gegolten oder sonst eine schlechte Presse gehabt hätte.

II. Dieses Heft der NJW ist dem Thema "8. Mai 1945 - 50 Jahre..." gewidmet. Deshalb sind ein paar allgemeine Gedanken mehr anläßlich als über den vorstehenden Fall und seine öffentliche "Abwicklung" am Platze.

1. "Auschwitz" ist Faktum, Trauma und Tabu, das Wort zugleich ein Kürzel und Symbol für Ausrottungsverbrechen im deutschen Namen und von deutscher Hand. Die deutsche Justiz hat sich, recht oder schlecht, mit den greifbaren Taten auseinanderzusetzen versucht, wofür das große Auschwitzurteil des Schwurgerichts Frankfurt vom 20. 12. 1963 gegen Mulka und 19 andere gleichsam als eine Abbreviatur für vieles - angeführt werden kann. Ob sie dadurch zur "Bewältigung" der Vergangenheit beigetragen hat: Darüber läßt sich gewiß streiten. Daß diese Ermittlungen und Prozesse für die zeitgeschichtliche Forschung (die wiederum selbst durch Gutachten zu ihnen beitragen hat) von unersetzlichem Wert waren, steht aber völlg außer Streit. Just dieser historische Ertrag ist es, der den Strafgerichten erlaubt, den Massenmord an den Juden als geschichtliche Tatsache für offenkundig und entsprechende Gegenbeweisanträge für aussichtslos zu erklären (vgl. das 1. Deckert-Urteil des BGH vom 15. 3. 1994, NJW 1994, 1421 m. Nachw.).

Diese Prozesse haben indessen - trotz gelegentlich neuer (vereinigungsbedingter) Aktenfunde - ihre Zeit gehabt und sind nun selbst Vergangenheit geworden. Heute hat es die Justiz kaum noch mit den Naziverbrechen selbst, umsomehr dafür mit dem Reden über sie und mit Nachäffereien zu tun, während Publizistik und Medien ihr Engagement gelegentlich auch dem weiteren Thema zuzuwenden scheinen, ob das Reden über das Reden von Auschwitz immer angemessen, sensibel, korrekt - im Grenzfall nicht vielleicht selbst schon wieder strafwürdig sein könnte. Analog zur Frage, ob Auschwitz "historisiert" werden kann und darf oder im Laufe der Jahre letztlich muß, herrscht auf der spiegelbildlichen Ebene der Verbalisierung, der Äußerungen und Kundgaben (der "sekundären Reaktionen" - nach Heinrich Popitz: "soziale Normen", 1961) Unsicherheit, Nervosität, Argwohn und der öffentliche Drang zu korrekter Überanpassung an zwar wässrige, aber unangreifbare Standards und Schablonen. Diese Kalamität hat psychologisch triftige Gründe, und ihre Erwähnung ist weder Besserwisserei noch Ironie: Wir haben einstweilen allen Anlaß, auf geschichtlich begründete Verletzungen und besondere Verletzlichkeiten Rücksicht zu nehmen, was ohne gelegentliche Inanspruchnahme auch des Strafrechts nicht abgeht. Aber die Rücksicht fordert als ihren Preis die ebensolange Suspendierung gewisser traditioneller Elemente des liberalen Staates (Einschränkung allgemeiner Äußerungs- und Publikationsfreiheit). Ein Wertekonflikt, den der unbefangene Blick des Beobachters vom Ausland zuweilen rascher und schärfer erfaßt als die häusliche deutsche Brille (vgl. Jackson, Die Zeit v. 17. 9. 1993; unlängst Markovits, Die Zeit v. 17. 2.1995: "Müssen die Leugner des Holocaust bestraft werden? Aufklärung wäre besser").

2. Die überaus emotionale Behandlung des Thema Auschwitz hat, wie angedeutet, tiefere, allerdings auch ziemlich banale Gründe: Ein besonders engagierter Kommentator beförderte den Hamburger Amtsrichter zum Nachfolger Roland Freislers. Solche offenkundige Torheit würde man schweigend übergehen, offenbarte sie nicht ein allgemeines Dilemma: Es schreiben, reden und moderieren gar zu oft Leute, die ein paar Namen und Schlagworte kennen und ihr Training in political correctness absolviert haben, sonst aber vom intellektuellen Gepäck kaum belastet sind. Im Fernsehen hat das nicht selten zur Folge, daß der/die Moderator/ In (hier ist diese verkrümmte Wortverhunzung ausnahmsweise am Platz) mit Vorliebe nach Gefühlen fragen ("Was empfinden Sie nun angesichts ... ?"), jedenfalls aber mit Hilfe des Archivs zunächst einmal soviel Schreckliches (Lager, Leichen ...) oder Einpörendes (drohende, militant grölende Jungnazis ...) auf dem Bildschirm versammeln, daß der Interviewte seine knappe Zeit oft damit vertun muß, dem aufwallenden Gefühl (das sich gewiß auch in der eigenen Brust zuweilen meldet) vorweg den schuldigen Tribut zu zollen, um erst dann mit behutsamer Hand die emotionale Prämisse von der Sache zu lösen - einer Sache, für die nie genug Zeit bleibt, und an der ein tieferes Interesse meistens fehlt.

3. Die Vergangenheit, die nicht vergeht, reicht in ihrer historischen Tiefe über das Dritte Reich hinaus: Üblicherweise wird die Weimarer Republik - sozusagen: in einem Abwasch - gleich mitverhandelt. Das notorisch blinde "rechte Auge" der Justiz soll uns ja aus den 20er Jahren überkommen und bis auf den unglücklichen Hamburger Amtsrichter unserer Tage weitervererbt worden sein. So sah man sie auch jetzt wieder, die besorgten Mienen mit der Standardfrage: "Sind sie denn immer noch auf dem rechten Auge blind, diese Richter?" Wassermann hat dazu unlängst im Hinblick auf die Klage "rechte" Täter würden, zumal von den Jugendgerichten, zu lasch angepackt - das Nötigste gesagt: Eine liberal-rechtsstaatlich sozialisierte, nicht selten skrupelhafte Richtergeneration judiziere so, wie sie es gelernt habe - früher durchweg unter dem allgemeinen Beifall einer kriminologisch aufgeklärten Öffentlichkeit. Man sollte hinzufügen, daß die Frage von vornherein jeder wirklichen Substanz entbehrt: Was wäre denn heute ein "rechtes" Auge? Früher, zu Zeiten "Weimars", wurden in der Tat Schlachten geschlagen: um Kaiserreich oder Volksstaat, Monarchie oder Republik, um schwarz-weiß-rot oder schwarz-rot-gold, mit anderen Worten: für und gegen "rechts" und "links". Man lese nur, um die Erregung der Zeit zu begreifen, in den juristischen Blättern der 20er und frühen 30er Jahre (vgl. z. B. auch Birger Schulz, Der Republikanische Richterbund 1921-1933, 1982)! Da ging es um Standort und Richtung. Zurück zur "guten alten" oder voran in eine neue Zeit, für die als mächtige Symbole neben schwarz-rot-gold die rote und dann die Hakenkreuzfahne getreten waren ... Seit dem Tage aber, dessen

wir heute gedenken (vielleicht ließe er sich sogar weiter zurück auf den 30.1. 1933 datieren) war jeder Gedanke an Kaiserreich und Monarchie ausgeträumt; und seit Gründung der Bundesrepublik hatte niemand außer den wenigen Extremisten die Hitler nachtrauerten oder Stalin huldigten, eine andere Staats- und Gesellschaftsform als die des Grundgesetzes - die deutsche Republik - im Sinn oder auf dem Programm. Das Problem, der alten Nazis, das ja wirklich drängte und drückte, die Fragen praktischer Kontinuitäten und tausend häßlicher Kehrseiten der großen Integrationsleistung der Adenauerzeit waren - allen auch heute noch gängigen Thesen entgegen - keine wirklichen Grundsatz- und Alternativfragen im Sinne des handlichen Rechts-Linksschemas. Das galt schon damals; daß die alten Schablonen später umso weniger paßten und seit dem großen Umbruch der ausgehenden 80er Jahre schlechthin sinnlos geworden sind, liegt vollends auf der Hand.

4. Man befrachte die ohnehin prekäre Frage der "Auschwitzlüge" also nicht mit überholter Rhetorik! Sie ist als moralisches und Rechtsproblem schon vertrackt genug. Im Ausgangsfall des AG Hamburg scheint es sich um eine Grenzentscheidung zu handeln, die - ob sie nun Bestand haben wird oder nicht - schon deshalb zum Nachdenken nötigt, weil sie die Frage aufwirft, ob Äußerungsdelikte auch der Neonazis mit der Elle gemessen werden können oder müssen, die das BVerfG unlängst in seinem Soldaten-Mörder-Beschluß vom 25. 8. 1994 (NJW 1994, 2943) für Äußerungsdelikte entwickelt hat; der Amtsrichter beruft sich immerhin auf diese Rechtsprechung (NJW 1995, 1039 [10401).

Letztlich aber fällt der Blick wieder auf die Rechtspolitik: Der Gesetzgeber hat, wie zu erwarten, keine "asketische Zurückhaltung" (NJW 1994, 2004) geübt. Vielmehr dehnt § 130 III StGB n. F. die strenge Höchststrafe der Volksverhetzung von 5 Jahren auch auf solche Täter aus, die NS-Völkermordverbrechen zwar weder bestreiten noch billigen, sie aber immerhin verharmlosen. Was dies umfaßt und wo die Grenzen dessen liegen, wird wieder der Richter - unter lautem Gemurmel der Medien - definieren müssen. Er wird dabei seinen Pfad zu schlagen suchen im verfilzten Gestrüpp von Tatsachenbehauptung und Meinungskundgabe, deren unterschiedlichen Rang das BVerfG in seinen Beschlüssen vom 11. 1. und 13.4. 1994 (NJW 1994, 1781,. 1799) in der Theorie herauskehrt, ohne dadurch wirkliches Licht ins Dunkel zu bringen. Vielmehr wird die Praxis mit Interpretationsaufgaben und ziemlich offensichtlichen Wertungswidersprüchen beladen. jedenfalls wäre es nicht ohne Reiz, darüber zu spekulieren, wie der Hamburger Fall wohl entschieden worden wäre, wenn die erwähnte Neufassung zur Tatzeit schon gegolten hätte. "Mythos": Ist das vielleicht jedenfalls eine Verharmlosung?

5. "Die Väter haben saure Trauben gegessen, und der Kinder Zähne sind stumpf geworden" (Jeremia 31, 29): Geschichtlicher Verantwortlichkeit und Haftung können wir auch durch Generationswechsel nicht entfliehen. Der Holocaust wird seine dunklen Schatten noch lange über das Land werfen - über die wenigen verbliebenen Täter, die Nachäffer, die Schwätzer, die Redner und Widerredner, die Richter und deren Richter ... Die Vergangenheit, die nach 50 Jahren noch so mächtig ist, wird uns auch künftig so bald nicht aus ihrem Bann entlassen.

Quelle: "Vergangenheit, die nicht vergeht", ein Kommentar des Vorsitzenden Richters am Landgericht Hamburg Günter Bertram (NJW 1995, 1270 f)

Anmerkung: Den Wertungen von Nolte und Bertram kann man sich nur anschließen. Die Presse spielt in diesem hochsensiblen Bereich eine ganz üble Rolle. Der Wahrheit verpflichtete Historiker werden als Rechtsradikale denunziert und faire liberale Richter wegen ihrer Gerechtigkeit angerempelt. Es darf auch gegenüber Beschuldigten aus dem rechten Lager nicht mit strengeren Maßstäben gemessen werden.