Die brutale Unterdrückung beginnt, die Reste von Freiheit werden zerschlagen, schreibt Welt-Kolumnist

Konrad Adam: "Bevor die Freiheit, die Meinungs- und die Urteilsfreiheit, im Zangengriff der politisch korrekt Denkenden, Sprechenden und Handelnden wieder verlorengeht, will ich noch ein wenig Gebrauch von ihr machen."

Die Welt, 9.5.2005, Seite 6

"Anständige" sind verdächtig

von Konrad Adam

Ins Grüne bin ich gestern nicht gefahren, zum Stelldichein der Anständigen, die sich rings um das Brandenburger Tor versammeln wollten, aber auch nicht. Leute, die ihre Freude daran haben, sich wechselseitig als "anständig" zu titulieren, sind mir verdächtig. Das Wochenende zuvor war ich in Leipzig gewesen und hatte dort erlebt, wie es aussieht, wenn Anständige gegen Unanständige demonstrieren. Mein Eindruck: der Unterschied zwischen den einen und den anderen ist nicht sehr groß.

Es waren dieselben Gesichter, dieselben obszönen oder aggressiven Gebärden, zum großen Teil sogar ganz ähnliche Parolen, die da auf seiten der nationalen und der internationalen Sozialisten zu sehen und zu hören waren, als sich die beiden Demonstrationszüge vom Hauptbahnhof in Richtung Connewitz in Bewegung setzten. Dazwischen die Polizei mit ihrer martialischen Ausrüstung und ihrem schweren Gerät, immer darum bemüht, die Rechten, die auf der linken Straßenseite marschierten, von den Linken, die auf der rechten Seite liefen, getrennt zu halten. Anständig kamen mir in diesem Gemisch von Rüpeln unterschiedlicher Couleur nur die Polizeibeamten vor, die das Demonstrationsrecht der einen gegen die anderen und der anderen gegen die einen verteidigten. Zum Dank dafür wurden sie von beiden Seiten beschimpft und angegriffen.

In Leipzig habe ich nicht mitgemacht und gestern in Berlin auch nicht. Ich glaube nämlich, daß das Demonstrationsrecht das Recht, Demonstrationen demonstrativ fernzubleiben, einschließt. Und daß dies zweite Recht heute, in einem Klima allgemeiner Demonstrationsseligkeit, in größerer Gefahr ist als das erste. Wenn die Regierung nicht mehr Ziel der Demonstranten ist, sondern sich als ihr Sponsor, Anstifter oder Stichwortgeber aufspielt, ist etwas faul im Staate. Schon deshalb vermag ich mit der Einladung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, mein Bekenntnis zur Demokratie öffentlich, vor ihm und seinesgleichen, kundzutun, nichts anzufangen. Mir genügt es, dies Bekenntnis dadurch abzulegen, daß ich pünktlich zur Wahl gehe; die aus guten Gründen geheim ist und nicht öffentlich. So wie das Wählen Aufgabe der Bürger ist, ist es Sache der Regierung, dem Wahlausgang entsprechend zu regieren. Das Demonstrieren sollte sie den Minderheiten überlassen.

Zu demonstrieren ist das Vorrecht derer, die Meinungen bilden und verändern wollen. Wenn die Regierung dabei mittut, wird es schnell ungemütlich. Das Bündnis zwischen ihrer Macht und der der öffentlichen Meinung ist ein ziemlich sicheres Indiz dafür, daß die Meinungsfreiheit in Gefahr gerät. Dann droht ein Gesinnungsdruck, der die Freiheit nicht weniger stark bedrängt und beschädigt als jede Art von anders motiviertem Druck. Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit ist auch in diese Richtung mit schlechtem Beispiel vorangegangen, als er die DDR-Wortschöpfung "Tag der Befreiung" übernahm, sie für den 8. Mai sogar verbindlich machen wollte: derselbe Mann, der nicht genau zu sagen wußte, wann der Zweite Weltkrieg begonnen hat.

Ich kenne keinen Zeitzeugen, der den 8. Mai so erlebt und in Erinnerung behalten hätte. Soweit ich sie befragen konnte, haben sie allesamt die von Theodor Heuß geprägte Formel vorgezogen, der eben nicht von Befreiung gesprochen hatte, sondern von Erlösung. Die Freiheit kam erst später, die DDR-Deutschen mußten noch mehr als 40 Jahre auf sie warten; was Wowereit wohl auch nicht weiß.

Bevor die Freiheit, die Meinungs- und die Urteilsfreiheit, im Zangengriff der politisch korrekt Denkenden, Sprechenden und Handelnden wieder verlorengeht, will ich noch ein wenig Gebrauch von ihr machen und einer Demonstration fernbleiben, bei der die Regierung voranmarschiert.

 

 

Die Wirklichkeit in der demokratischen BRD sieht so aus:
89.998 Strafverfahren zwischen 1994 und 2003 wegen falscher Meinungen zum Holocaust und zur Ausländerpolitik. Die BRD-Gesetze sind so gemacht, daß sich ein nationalfühlender und ein sich national äußernder Mensch automatisch strafbar macht:

 

"Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund", reine "Propagandadelikte" ("Volksverhetzung"). Angaben beruhen auf den Bundesverfassungsschutzberichten 1995-2003. Es wurden ...

1994

5.562

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

1995

6.555

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

1996

7.585

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

1997

10.257

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

1998

9.549

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

1999

8.651

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

2000

13.863

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

2001

8.874

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

2002

9.807

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19

2003

9.295

 

Menschen strafverfolgt, unschuldig gemäß UN-Menschenrechts-Charta, Art. 19