Unglaublich - trojanisches Pferd im Jahre 1968

 

Am 1. 10. 1968 wurde im "Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten" (!) eine Neufassung des § 50 Abs. 2 Strafgesetzbuch bekannt gemacht, die wie folgt lautete:

 

"Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer, so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern." (BGBl. 1968 I, S. 503 ff., 506)

 

In der bisherigen Fassung hieß es:

 

"Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt dies nur für den Täter oder Teilnehmer, bei dem sie vorliegen."

 


Diese Veränderung des Strafgesetzbuches an einer so versteckten Stelle wie einem "Einführungsgesetz" (!) zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (!), das als Einführungsgesetz leider sehr häufig auch von vielen Juristen gar nicht oder nicht sorgfältig gelesen wird, bewirkte, daß unter bestimmten Voraussetzungen Beihilfehandlungen zu den aus nationalsozialistischer Gesinnung begangenen Mordtaten als verjährt zu gelten hatten! So "still und leise" und "hintenherum" an nicht zu erwartender Stelle ...

 

In einem Urteil vom 20. 5. 1969 entschied der Bundesgerichtshof, daß, wenn dem an einem aus Rassenhaß begangenen Mord beteiligten Tatgehilfen nicht nachzuweisen war, daß auch das Motiv seines persönlichen Handelns Rassenhaß war, eine Strafmilderung für ihn nunmehr zwingend vorgeschrieben war. Das hatte nach dieser Entscheidung zur Folge, daß wegen der eingetretenen Änderung des § 50 Abs. 2 StGB rückwirkend zum 8. 5. 1960 die Verjährung eingetreten war, sofern nicht zuvor die Verjährung durch richterliche Handlung unterbrochen worden war. (BGHSt 22, S. 375ff)

 

Diese so eigenartige Gesetzesänderung eines Strafgesetzbuches, vorgenommen durch ein Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (!), bewirkte u. a., daß die von der Staatsanwaltschaft beim Kammergericht in Berlin verfolgten Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes wie anderer Reichsbehörden nicht mehr verfolgt wurden, wenn und soweit sie als Gehilfen angesehen wurden. (Rückerl: "NS-Verbrechen vor Gericht", Heidelberg 1982, S. 190 ff)

 

Quelle: Barbara Just-Dahlmann und Helmut Just: "Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945", Frankfurt a. M. 1988, S. 308 f