Umverteilungsprediger
Der letzte Winter erwies
sich als Freund der Großen Koalition. Er
fiel aus und ersparte dem Baugewerbe die sonst übliche Winterpause. Das
bewirkte die größte positive Veränderung der Arbeitslosenquote seit Bestehen
der Bundesrepublik. Im Februar 2007 wurden 826 000 Arbeitslose weniger gezählt
als ein Jahr zuvor. Da auch der Fiskus im Jahr 2006 mit 446,14 Mrd. Euro unerwartet
7,4 Prozent mehr Steuern als 2005 kassierte, macht sich auf den
Regierungsbänken Entspannung breit.
Neue Morgenluft wittern auch
die Umverteilungsprediger aller politischen
Lager. Auf ganzer Breite rollen neue wohlfahrtsstaatliche Wellen heran. Von den radikalen Linken bis zu
den christdemokratischen Herz-Jesu-Sozialisten
werden sich breite Mehrheiten vor allem in der Forderung eines
gesetzlichen Mindestlohnes einig, möglichst bei 1.500 Euro im Monat.
„Der
Staat muss eingreifen!“, lautet die allgemeine Forderung. Als wenn das wirklich helfen würde. Als
wenn nicht gerade das Eingreifen des
Staates die VW-Affäre, die Airbus-Krise
oder den Berliner Bankenskandal überhaupt erst erzeugt hat. Und zwar jedes Mal mit der Absicht,
Gutes zu tun.
Ein
Blick in die Statistik: Im Jahr 2003 registrierte das Statistische Bundesamt 3,35 Millionen Unternehmen.
Doch was heißt hier Unternehmen? 2,9
Millionen hatten höchstens neun Beschäftigte. 438.000 davon erreichten
nicht mal 17.500 Euro Jahresumsatz. Selbst wenn
davon 50 Prozent Gewinn wären, blieben diesen Unternehmern monatlich noch 729
Euro für Lebensunterhalt, Versicherungen und
Investitionen. Wie sollen die bei 1.500
Euro Mindestlohn einen Mitarbeiter einstellen? 571.000 Unternehmen
gaben daher im Jahr 2005 dauerhaft auf,
jedes 15. davon sogar mit Insolvenz.
Und
nun ein Blick ins Leben, in den Leipziger Westen: Früher, vor
1990, beschäftigten
die zehn Salons des „Friseur Marcel“ 200
Mitarbeiter. Davon waren Ende der 90er Jahre nur noch 100 übrig, aber
auch damit galt „Marcel“ im Osten fast schon als Großbetrieb. Dennoch erhängte sich 1998 der langjährige Betriebschef
eines Nachts in einem seiner Salons. Er
konnte seinen Leuten das versprochene Gehalt nicht mehr zahlen, brachte
aber notwendige Entlassungen nicht übers Herz.
Hätte hier eine
Mindestlohnregelung genützt? In dem ausgebluteten Stadtteil leben fast nur
noch Hartz-IV-Empfänger. Die können nur selten
zum Friseur gehen und würden höhere Preise nicht bezahlen können. Mit höheren
Zwangslöhnen würden einige Wenige mehr verdienen, mit Sicherheit müssten
jedoch Filialen geschlossen und Mitarbeiter entlassen werden. Die arme ältere,
aber treue Kundschaft müsste ein paar Haltestellen weiter fahren, wenn sie
einmal monatlich zum Friseur geht.
Es ist verständlich, dass
gering verdienende Arbeitnehmer und Arbeitslose gern einen höheren Mindestlohn
gesichert hätten. Doch die meisten der Funktionäre, die den Kampf dafür
organisieren, haben selbst noch nie einen Arbeitsplatz geschaffen oder unter
existentiellem Risiko gesichert. Sie
wissen nicht, wovon sie reden.
Quelle: Dr. Helfried Schmidt im P.T. MAGAZIN 2/2007/3 (Editorial: „Funktionärslogik“)
Anmerkung: Wir werden nicht müde, den Professor für Arbeitsrecht Bernd Rüthers zu zitieren: „Die Tarifparteien haben sich meilenweit von ihren Mitgliedern entfernt.“ Bereits in der „Rechtsbeugermafia“ hatten wir eine (verfassungsrechtliche) Modifizierung der Tarifautonomie gefordert. Staat und Gesellschaft können die Regelung der Arbeitsverhältnisse dann nicht mehr den Tarifparteien überlassen, wenn es z.B. um die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit oder andere Materien geht, die weit über die (egoistischen) Interessen der Tarifparteien hinausgehen. Es gibt allerdings einige gewichtige Gründe für die Einführung eines Mindestlohnes, die ja auch schon einen Großteil der EU-Partnerstaaten zu einer derartigen Gesetzgebung bewegt haben. Letztendlich ist auch hier Differenzierung von Nöten; es ist offenkundig ein gewaltiger Unterschied, ob ein gesetzlicher Mindeststundenlohn 7,50 Euro oder 5,50 Euro beträgt und bei einer 40-Stundenwoche sollte ein Arbeitnehmer doch zumindest etwa 10 % mehr Nettolohn erhalten, als ein Hartz-IV-Empfänger inklusive Ein-Euro-Job.