Tretminen der Geschichte beseitigen

 

Bundeskanzler Schröder soll für Rechtssicherheit sorgen

 

Die Aussagen von Bundeskanzler Schröder auf der Feier zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes zu den deutschen Heimatvertriebenen und den offenen Vermögensfragen hat eine breite Diskussion ausgelöst. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, MdB, erklärte daher vor der Bundespressekonferenz in Berlin am 6. August 2004:

 

Der deutsche Bundeskanzler hat am 1. August 2004 in Warschau gute und richtige Worte des Mitgefühls für die Opfer des Warschauer Aufstandes gefunden. Diese Worte unterstreiche ich.

 

Mit seinen vertriebenenpolitischen Aussagen hat er aber die Doppelbödigkeit deutscher Politik mehr als andere Politiker vor ihm deutlich gemacht. Das schafft kein Vertrauen zwischen Deutschland und seinen Nachbarn und das kränkt die Heimatvertriebenen.

 

Die überwältigende Mehrheit der deutschen Heimatvertriebenen will keine Entschädigung oder Rückgabe ihres Eigentums; die meisten hatten überhaupt keinen Grundbesitz. Die zahllosen tragischen Schicksale und ihre traumatischen Folgen sind mit Geld ohnehin nicht zu heilen. Der BdV hat deshalb immer gefordert, gemeinwohlverträgliche Lösungen unter Einbeziehung unserer Nachbarn zu schaffen.

 

Aus diesem Grund hat sich der Bund der Vertriebenen mehrfach von Aktionen, die davon abweichen, deutlich distanziert. So auch von der Preußischen Treuhand.

 

Diese Distanzierung seitens unseres Verbandes ändert aber nichts an der deutschen Rechtslage. Und genau diese liefert die Grundlage für Aktivitäten Einzelner und solcher Organisationen.

 

Wie sieht die Rechtslage aus:

 

Sowohl das Lastenausgleichsgesetz von 1952 als auch das Vertriebenenzuwendungsgesetz von 1994 halten die Vermögensrechte und das Entschädigungsrecht der Vertriebenen ausdrücklich aufrecht.

 

Auch durch die Ostverträge, den Grenzbestätigungsvertrag und den Nachbarschaftsvertrag ist die Vermögensfrage nicht ausgeräumt.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat das in zwei Urteilen ausdrücklich bestätigt.

 

Das ist die aktuelle Rechtslage.

 

Und genau im Rahmen dieses Rechts agierte die Bundesregierung bislang wie zwei Beispiele deutlich machen.


 

Mir liegt ein Schreiben des Finanzministeriums an eine Antragstellerin vom März dieses Jahres vor, in dem u.a. zu lesen ist:

 

"Die Bundesregierung hat damit nicht auf individuelle Ansprüche von Deutschen verzichtet. Für deren Geltendmachung stehen den Betroffenen die in den jeweiligen Ländern oder internationalen Institutionen bestehenden rechtlichen Möglichkeiten offen."

 

Zuletzt im Juni dieses Jahres verkündete der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, angesichts aktueller Verhandlungen zwischen der Republik Österreich und Kroatien bezüglich Restitution bzw. Entschädigung Vertriebener:

 

"Die Bundesregierung hat gegenüber der kroatischen Regierung ihr Interesse an der Entschädigung deutscher Vertriebener anhängig gemacht."

 

Vor diesem Hintergrund müssen die Aussagen des Bundeskanzlers in Warschau bewertet werden, die wörtlich lauteten:

 

"...Deshalb darf es heute keinen Raum mehr geben für Restitutions‑Ansprüche aus Deutschland, die die Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide Regierungen kein Thema in den deutsch polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernstzunehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie dennoch geltend gemacht werden. Diese Position wird die Bundesregierung auch vor internationalen Gerichten vertreten."

 

Er fügte später noch hinzu:

 

"Die Bundesregierung wird solchen Ansprüchen entgegenwirken..."

 

Was heißt das?

 

Es bedeutet, dass die Bundesregierung bei individuellen Klagen Betroffener vor internationalen Gerichten sich gegen ihre eigenen Gesetze stellen will.

 

Der Bundeskanzler hat einen Amtseid geleistet, in dem es u.a. heißt:

 

"Ich schwöre, dass ich ... das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen ... werde..."

 

Die Äußerungen des Bundeskanzlers machen das Gegenteil deutlich, und sie machen die Vertriebenen zu Sündenböcken. Das kann und werde ich keiner politischen Kraft in Deutschland durchgehen lassen.

 

Politik und Politiker müssen ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit bewahren.

 

Es ist das gute Recht des Bundeskanzlers, in der jetzigen Rechtslage ein Hindernis für den Dialog mit unseren Nachbarstaaten zu sehen. Wenn das so ist, dann muss er die Rahmenbedingungen ändern.

 

Von meiner Seite und seitens des BdV werden ihm keine Steine in den Weg gelegt werden ‑ für welche Lösung auch immer, wenn sie denn endlich Rechtssicherheit auf beiden Seiten schafft.

 

Ich will, dass vor dem 60. Jahrestag des Kriegsendes endlich Rechtsfrieden in Europa einkehrt. Um das zu erreichen, helfen noch so viele Erklärungen von meiner Seite nicht. Nur die Bundesregierung kann das bewirken. Wenn der Bundeskanzler das, was er in Warschau von sich gegeben hat, ernst meint, dann muss er jetzt handeln und die Rechtslage verändern.

 

Ich bin es leid, für jeden aus den Reihen der 12,5 Mio. Vertriebenen oder deren Erben, der den individuellen Klageweg beschreitet, Rechenschaft ablegen zu sollen und dafür in Verantwortung genommen zu werden.

 

Die Verantwortung für alle Klagen und die Unruhe in unseren Nachbarländern trägt die Bundesregierung.

 

Sie nur kann hier Abhilfe schaffen, der BdV kann es nicht. Will die Regierung das aber nicht, wie sie diese Woche erklärt hat, dann möge sie bitte davon absehen, die Vertriebenen als Störfaktor in den bilateralen Beziehungen zu sehen. Die Bundesregierung selbst hegt und pflegt dann die Tretminen der Geschichte.

 

Das Lastenausgleichsgesetz von 1952 regelt die Vermögensrechte in seiner Präambel wie folgt:

 

"... unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Gewährung und Annahme von Leistungen keinen Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückgabe des von den Vertriebenen zurückgelassenen Vermögens bedeutet, und unter dem weiteren ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Gewährung und Annahme von Leistungen für Schäden im Sinne des Beweissicherungs‑ und Feststellunggesetzes weder die Vermögensrechte des Geschädigten berühren noch einen Verzicht auf die Wiederherstellung der unbeschränkten Vermögensrechte oder auf Ersatzleistung enthalten...".

 

Das Vertriebenenzuwendungsgesetz von 1994 für die in der früheren DDR lebenden Heimatvertriebenen hält die Vermögensfrage gleichermaßen offen. In der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf heißt es:

 

"... Die Gewährung und Annahme der einmaligen Zuwendung berührt weder die Vermögensrechte der Vertriebenen noch enthält sie einen Verzicht auf deren Wiederherstellung oder auf Ersatzleistung durch die Schädiger; die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Schädiger wird durch diese Leistung nicht ausgeschlossen."

 

Auch durch die Ostverträge, den Grenzbestätigungsvertrag und den Nachbarschaftsvertrag ist die Vermögensfrage nicht ausgeräumt.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat am 5. Juni 1992 zum Grenzvertrag ausgeführt:

 

"... Der Grenzvertrag trifft selbst keinerlei Regelung in bezug auf das Eigentum von aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebenen oder geflohenen Personen und ihren Erben.... Der Vertrag bestätigt nur die jedenfalls faktisch seit langem zwischen Deutschland und Polen bestehende Grenze. Darin liegt eine völkerrechtliche Bestimmung der territorialen Zuordnung eines Gebietes zu einem Staat, nicht dagegen eine hoheitliche Verfügung über privates Eigentum.

 

Insbesondere ist mit der Grenzbestätigung keine Anerkennung früherer polnischer Enteignungsmaßnahmen seitens der Bundesrepublik Deutschland verbunden."

 

In einer Entscheidung zum Nachbarschaftsvertrag vom 8. September 1993 führte das Bundesverfassungsgericht aus:

 

"... Der deutsch‑polnische Nachbarschafts‑ und Freundschaftsvertrag beeinträchtigt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht. Ungeachtet der ersten Erwägung seiner Präambel, wonach der Vertrag dazu dienen soll, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, trifft er selbst keinerlei Regelung in bezug auf das Eigentum von aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebenen oder geflohenen Personen und ihren Erben. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang mit der Unterzeichung des Vertrages erfolgten Briefwechsel.

 

Die gleichlautenden Briefe bringen in Ziffer 5 die übereinstimmende Auffassung beider Vertragsparteien zum Ausdruck, dass der Vertrag sich nicht mit Vermögensfragen befasse. Im Hinblick auf die beide Vertragsparteien bindende Regelung in Art. 31 Abs. 1 i.V.m. (in Verbindung mit, d.V.) Abs. 2 Buchst. A) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. II S. 926) kam eine gegenteilige Auslegung des Vertrages ausgeschlossen werden.

 

Angesichts der oft genug bestätigten Rechtsauffassung der Bundesregierung zu dieser Eigentumsfrage, die der polnischen Seite seit langen bekannt und während der Vertragsverhandlungen aufrechterhalten worden ist, besteht auch keine Verwirkungsgefahr.

 

So sieht die aktuelle Rechtslage aus.

 

Und genau im Rahmen dieser recht­lichen Rahmenbedingungen agierte die Bundesregierung gegenüber Vertriebenen in den letzten Jahrzehnten.

 

In einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen an eine Antragstellerin vom März dieses Jahres ist zu lesen:

 

"... Die Bundesregierung ist ‑ ebenso wie andere Bundesregierungen vor ihr - der Auffassung, dass die Vertreibung und entschädigungslose Enteignung deutscher Staatsangehöriger im Widerspruch zum Völkerrecht erfolgte. Die Haltung der Bundesregierung ist der polnischen Seite bekannt. Jene hat aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass Polen in dieser Frage eine andere Rechtsposition vertritt.

 

Die Bundesregierung ist aber auch der Meinung, dass die bilateralen Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden Fragen belastet werden sollten. Sie hat erklärt, dass sie weder heute noch in Zukunft in diesem Zusammenhang Vermögensfragen aufwerfen oder Forderungen stellen werde. Die Bundesrepublik hat damit nicht auf individuelle Ansprüche von Deutschen verzichtet. Für deren Geltendmachung stehen den Betroffenen die in den jeweiligen Ländern oder internationalen Institutionen bestehenden rechtlichen Möglichkeiten offen. An derartigen Verfahren ist die Bundesregierung jedoch in aller Regel nicht beteiligt. Daher kann von hieraus nicht beurteilt werden, ob insoweit größere Erfolgsaussichten bestehen."

 

Zuletzt im Juni dieses Jahres verkündete der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, angesichts aktueller Verhandlungen zwischen der Republik Österreich und Kroatien bezüglich Restitution bzw. Entschädigung Vertriebener:

 

"Die Bundesregierung hat gegenüber der kroatischen Regierung ihr Interesse an der Entschädigung deutscher Vertriebener anhängig gemacht."

 

Quelle: DOD 8 / 2004 / 7 f