Stigmatisierung, Sippenhaft und die Nazigesinnung der Mitte
Der Extremismus der sogenannten
politischen Mitte nimmt allmählich fürchterliche Formen an. Nicht nur verwenden
ihre Protagonisten ein immer radikaleres, extremeres Vokabular, um ihren
Standpunkt als den einzig möglichen, einzig erlaubten hinzustellen und ihre
Meinungsgegner vorab zu kriminalisieren, sie greifen auch ‑ da sie die Macht
dazu haben ‑ zu extremen Gewaltmitteln, wenn es darum geht, die eigene
Position zu befestigen und gegen konkurrierende Bestrebungen abzuschirmen.
Parteien, obwohl zugelassen
und strikt im Rahmen der Gesetze operierend, werden im Auftrag der
extremistischen Mitte vom "Verfassungsschutz" planmäßig
"zersetzt", d.h. mit Agent-Provokateuren überzogen, die die Rhetorik
ihrer Opfer heimtückisch "anschärfen" und sie zu kriminellen Taten
anzustiften versuchen. Banken und Sparkassen werden aufgehetzt, unbequemen,
nicht der Mitte angehörigen Parteien, Zeitungen und Persönlichkeiten die Konten
zu kündigen, sie aus dem ökonomischen Kreislauf und überhaupt aus dem
bürgerlichen Verkehr auszugrenzen.
Kinder unbequemer Politiker
und Publizisten werden aus ihren Schulen verwiesen, Ärzte weigern sich unterm
Beifall extremistischer Mitte‑Medien, solche Kinder bei Krankheit zu
behandeln oder in ihre Klinik aufzunehmen. Eine böse Art von Sippenhaftung
macht sich breit, die man längst überwunden glaubte. Statt Diskussion setzt es
Stigmatisierung. Gegnerschaften werden absichtsvoll zu absoluten Feindschaften
vorgetrieben, bewußt wird ein Klima der Bürgerkriegs erzeugt.
Eine notwendige Folge dieser
Exzesse ist, daß sich die politische Mitte, die angeblich verteidigt werden
soll, immer mehr verflüchtigt bzw. ihr Spektrum sich derart verengt, daß am
Ende nichts mehr übrigbleibt als ein ganz schmaler Kanon offiziell zugelassener
Verhaltensweisen und "Werte", zu denen man sich unermüdlich bekennen
muß, um nicht in den Ruch eines Verfassungsfeinds zu kommen.
Regierungskoalition und
parlamentarische Opposition sind in Deutschland schon derart angenähert, daß es
Außenstehenden schwerfällt, außer Floskeln noch eine substantielle Differenz
festzustellen. Einziges noch wahrnehmbares Unterscheidungsmerkmal: Die einen
sind an der Macht, die anderen wollen an die Macht.
Außerdem verschiebt sich das
Richtmaß für politische Mitte unter Einfluß der Medien und selbsternannter
Polit‑Aufseher ständig nach links, nicht nur in Deutschland, sondern in
ganz Westeuropa. Die Ablehnung des bekennenden Katholiken Buttiglione als EU‑Kommissar
und die damit verbundenen Straßburger Reden machten es überdeutlich:
"Mitte" bedeutet für die hiesigen Macht ausübenden Kräfte einen (an
herkömmlichen Maßstäben gemessen) extrem linken Standpunkt, der um die
Stichworte "Strikter Laizismus, Homo‑Ehe, Feminismus" gruppiert
ist. Alles, was davon abweicht, gar dagegen anzureden wagt, wird bereits in die
Nähe von "Radikalismus und "Extremismus" gerückt.
"Radikalismus",
"Extremismus" ‑ an sich sind das keine inhaltlichen, sondern
formale Bestimmungen, Bestimmungen überdies, die von Haus keineswegs einen
durchgehend negativen Klang haben. Eine Sache "radikal" anzugehen,
zeugt üblicherweise von scharfem Blick und starkem Charakter. Und der Begriff
des "Extremismus" findet sein positives Widerlager in den
Extremitäten, Armen und Beinen, die im Gegensatz zu Bauch und Hintern die
beweglichen, die Dinge verändernden Bestandteile eines Organismus sind.
Freilich
wird nicht nur in der Politik, sondern im Leben allgemein das "Maß"
als die Mutter aller Vernunft gepriesen, die "maze" der
mittelalterlichen Hofbarden, das "Maßhalten" Ludwig Erhards. Ein
Politiker redet und handelt vernünftig, indem er Maß zu halten versteht,
sowohl in der Rhetorik als auch beim Gesetzemachen und Exekutieren.
Genau deshalb wird es heute
fällig, in erster Linie einen Extremismus der (längst linken) Mitte zu
kritisieren. Denn die Mitte (bzw. jene Truppe, die sich jeweils zur Mitte
erklärt) hat die Macht, gebietet über Gesetz und Polizei. Sie in erster Linie
hätte Maß zu halten, um die Zustände im Lande nicht unerträglich zu machen.
Aber sie hält nicht Maß. Sie ist extremistisch und vergiftet das Klima.
Daß so etwas a la longue zu bösen
Häusern führt, lehrt die Geschichte. Im Parlament der französischen Revolution
von 1793/94 gab es ja schon einmal eine Verquickung von Mitte und "linkem
Rand" und anschließend eine Verabsolutierung, ja, Vergöttlichung dieser
Koalition. Linke Jakobiner und "der Sumpf" (le marais), wie der
selber sumpfige Abgeordnete Abbé Sieyès hellsichtig die damalige Mitte nannte,
gingen zusammen, beschuldigten die girondistische Rechte des Monarchismus und
des Verrats. Wer sich von den armen Girondisten nicht schleunigst und lautstark
zu den revolutionären "Werten" bekannte, wurde unnachsichtig
angeklagt, verurteilt und auf der Guillotine einen Kopf kürzer gemacht.
So kam
es, wie es kommen mußte: Aufbegehren der bürgerlichen Volkskräfte,
"Reaktion", Staatsstreich Napoleons, jahrzehntelanger, unendliche
Opfer fordernder europäischer Krieg. Und schuld an dem Desaster war in erster
Linie die politische Mitte, der Sumpf, wo sich jeder der gewählten Spießer
aufplusterte und wichtig machte, sich ohne das geringste eigene Nachdenken
unendlich im "Recht" wußte, feige und blindlings sich dem Zeitgeist
anpaßte und damit den Jakobinern erst die Grundlage ihrer Macht schuf.
Zweifellos gibt es viele
Formen des Extremismus, in allen Lagern kann man das Maß aus den Augen
verlieren. Doch der Extremismus der Mitte ist der schlimmste und degoutanteste
(abstoßendste). In ihm verbinden sich Feigheit und Dummheit, Rechthaberei und
Intoleranz zu einer Mischung, die höllisch ist und das Leben ganzer Völker für
lange lähmen kann.
Quelle: JUNGE FREIHEIT vom 3.12.2004 ("Pankraz, Abbé Sieyès und der
Extremismus der Mitte")