Staats-Hacker
Staatlich organisierter Hausfriedensbruch
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf plant, die Befugnisse
des Verfassungsschutzes auszuweiten /
Zugriff auf elektronische Informationssysteme
Wenn es nach dem Willen des
Innenministers von Nordrhein-Westfalen geht, erhält der Verfassungsschutz des
Landes künftig das Recht, sich heimlich in die Computer von Verdächtigen
einzuhacken und Daten auszuspähen. Während Minister Ingo Wolf (FDP) in seinem Gesetzentwurf
eine Anpassung an die aktuelle Bedrohungslage sieht, halten Kritiker dem
Liberalen vor, dem totalen Überwachungsstaat den Weg zu bereiten.
Wolf begründet die
Gesetzesverschärfung mit der Notwendigkeit, den Krieg gegen den Terror
effizient führen zu können. Denn da Anschläge, wie etwa die im Juli des
vergangenen Jahres in London, nicht mehr nur von ausländischen Tätern, sondern
zunehmend auch von Staatsbürgern des eigenen Heimatlandes verübt würden, müßten
"erstmals auch Auskunftsrechte für die Beobachtung inländischer
terroristischer Bestrebungen geschaffen werden", sagte Wolf. Zudem würden
"immer häufiger über das Internet Angriffsziele vorgeschlagen, Logistik
verkauft, telefoniert und Cyber‑Angriffe gestartet; auch inländische
Extremisten nutzen das Internet als Propagandamittel und Aktionsforum." Deshalb
sollen nach Ansicht des FDP‑Politikers "ausdrücklich der heimliche
Zugriff auf informationstechnische Systeme über das Internet und die
Beobachtung von extremistischen Homepages in das Gesetz mit aufgenommen
werden". Einen Eingriff in den geschützten Wohnraum sieht Wolf mit einer solchen
Maßnahme nicht. Gleichzeitig will die NRW-Landesregierung einen schnelleren
Informationsaustausch für eine effektive Terrorismusbekämpfung einführen. Deshalb
soll der Nachrichtenaustausch zukünftig elektronisch über eine gemeinsame
Antiterror‑Datei von Bund und Ländern und nicht mehr auf dem Postweg
erfolgen.
Zweifel an Verfassungsmäßigkeit
Dabei bleibe das
Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz unberührt. "Die
gemeinsamen Dateien enthalten nur Informationen, die schon immer zwischen den
Polizeien und den Nachrichtendiensten ausgetauscht werden", sagte Wolf.
Unterstützung erhält Wolf vom rechtspolitischen Sprecher der nordrhein‑westfälischen
FDP-Landtagsfraktion Robert Orth. Seiner Meinung nach "gewährleisten die
geplanten Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes die richtige Balance
zwischen Freiheit und Sicherheit für die Menschen".
Anders sieht das die
Opposition an Rhein und Ruhr. So muß es nach Ansicht des innenpolitischen
Sprechers der SPD-Landtagsfraktion Karsten Rudolph ausgeschlossen sein, "daß
sich der Verfassungsschutz ohne richterliche Anordnung Zugang zu den
Computerfestplatten der Bürger verschafft". Dieses sei "staatlich
organisierter Hausfriedensbruch".
Noch schärfer kritisierte die
Landtagsfraktion der Grünen die geplanten Änderungen. Ihre innenpolitische
Sprecherin Monika Düker warf der nordrhein‑westfälischen
FDP vor, die Erweiterung der Befugnisse des Landesverfassungsschutzes vom 18.
Dezember 2002 "damals als Oppositionspartei mit Verweis auf
datenschutzrechtliche Belange abgelehnt" zu haben. Dies scheine nunmehr
aber vergessen zu sein.
Entschieden widersprach Düker Landesinnenminister Wolf, daß die vom Grundgesetz
vorgeschriebene und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Unverletzbarkeit
der Wohnung durch die Novelle nicht beeinträchtigt werde. Genau das Gegenteil
sei der Fall. Der Gesetzentwurf verstoße nämlich gegen Artikel 13 Absatz 4 des
Grundgesetzes, in dem es heißt: "Zur Abwehr dringender Gefahren für die
öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer
Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf
Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die
Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden;
eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen."
Kritik an geplanter Volltextdatei
Die Grünen‑Politikerin
verwies darüber hinaus auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
3. März 2004, wonach alle Regelungen zur akustischen Wohnraumüberwachung
strenge Anforderungen erfüllen müßten. So etwa, daß zur Unantastbarkeit der
Menschenwürde gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes die Anerkennung eines
absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung gehöre, der einer
Abwägung mit anderen staatlichen Interessen nicht zugänglich sei und in den
nicht eingegriffen werden dürfe. Die auf Überwachung von Wohnraum zielende
gesetzliche Ermächtigung müsse Sicherungen der Unantastbarkeit der
Menschenwürde enthalten sowie den Vorgaben der Verfassung entsprechen. Und
gerade dieses sei bei dem neuen Gesetzentwurf der Landesregierung nicht
enthalten!
Auf scharfe Kritik stieß auch
der Plan Wolfs zur Einrichtung gemeinsamer Volltextdateien von
Verfassungsschutzbehörden und anderen Sicherheitsbehörden. Dies würde zu einer
"Aufhebung der rechtsstaatlich unabdingbaren Trennung von Polizei und
Verfassungsschutz" führen, kritisierte Düker.
Vielmehr sollte die Zusammenarbeit durch die Einrichtung einer reinen
Indexdatei sowie gemeinsamer Projektdateien verbessert werden. Die Indexdatei
soll dabei Fundstellen zu Erkenntnissen über Personen aus dem Bereich des
internationalen Terrorismus schneller ausfindig machen, wobei es keinen
Abgleich der Inhalte dieser Dateien geben dürfe. Denn dieses würde nur
Mißbrauchsmöglichkeiten Tür und Tor öffnen.
Quelle: JOSEF HÄMMERLING in JUNGE FREIHEIT vom
21.7.2006