Scheinheilige Gewerkschaften

 

Mitbestimmung: Das ist nicht nur Grundprinzip einer demokratischen Gesellschaftsordnung, sondern auch eine zentrale Forderung der Gewerkschaften gegenüber allen Arbeitgebern. Hinzu kommen "gerechte" Löhne (was immer man darunter verstehen mag), zumutbare Arbeitszeiten und arbeitnehmerfreundliche Regelungen beim Übergang in die Rente.

 

Übelste Kapitalisten

 

Oft genug werden solche und ähnliche Forderungskataloge öffentlichkeitswirksam propagiert, notfalls begleitet von Aufmärschen mit Fahnenmeer, Trillerpfeifen und allem Drum und Dran. Treten die Gewerkschaftsbosse jedoch selbst als Arbeitgeber auf, legen sie eine Gutsherrenmentalität unterster Schublade an den Tag. Dazu schreibt das "manager magazin" (mm 7/2006):

 

"Sobald die Funktionäre aber in die Rolle des Arbeitgebers schlüpfen, behandeln sie ihre Angestellten nicht besser als gewöhnliche Unternehmen. Schlimmer noch: Nicht selten gebärden sie sich im eigenen Haus wie die übelsten Kapitalisten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine acht Einzelgewerkschaften gestehen ihren rund 11.000 Mitarbeitern keine Tarifverhandlungen zu, fordern Nullrunden oder kürzen Gehälter. Sie schaffen Betriebsrenten für neue Mitarbeiter ab, verringern ihr Personal und bilden nur wenige Jugendliche aus. Unbezahlte Überstunden sind ebenso an der Tagesordnung wie Willkür und Mobbing."

 

Stinksauer

 

Davon könnte Martin Lesch ein Lied singen. Der Leipziger ist seit 35 Jahren Gewerkschaftsmitglied ‑ Nibelungentreue nennt man das wohl. Doch nachdem der ver.di‑Vorstand bereits zugesagte Betriebsrenten gestrichen hatte, war auch bei Lesch das Maß voll. Gegenüber dem "Focus" (Ausgabe 41/2006) äußerte er, das sei "die nackte Arroganz der Macht".

 

Nun ja, ein Angestellter ist sauer auf seinen Brötchengeber ‑ das kommt schon mal vor, könnte man die Sache abwiegeln. "Dummerweise" ist Martin Lesch aber auch der Vorsitzende des Verbands der Gewerkschaftsbeschäftigten (VGB). Nie gehört? Kein Wunder, denn wenn es nach dem DGB ginge, würde die Arbeitnehmervertretung der Gewerkschaftsangestellten nicht einmal existieren.



Nestbeschmutzer

 

Dabei kämpft der VGB schon seit Mitte der 90er Jahre für die Interessen der Mitarbeiter in den DGB‑Gewerkschaften. Bisher ohne Erfolg: Keine Gewerkschaft unter dem Dach des DGB akzeptiert die gleiche Form von Mitbestimmung im eigenen Haus, wie sie von "gewöhnlichen" Arbeitgebern immer so vehement gefordert wird. Die Methoden, den VGB kaltzustellen, beschreibt der "Focus" in o. g. Ausgabe so:

 

"VGB‑Mitglieder werden von den Kollegen geschnitten, Anhänger als Nestbeschmutzer abgekanzelt. Jüngstes Beispiel: In einem digitalen Handbuch des ver.di‑Landesbezirks Sachsen reihte die Gewerkschaft den VGB, der immerhin DGB‑Mitglieder vertritt, in das Verzeichnis 'Gegnerische Verbände und Gewerkschaften' ein."

 

Der Eintrag wurde zwar später wieder gelöscht, doch die subtilen Methoden der Diskriminierung dürften weitergehen: "Die Glaubwürdigkeit ist verspielt. Was Bsirske bei den Unternehmen lauthals ablehnt, praktiziert er als Arbeitgeber selbst ausgiebig. Die Arbeitsbedingungen regelt der Vorstand über betriebliche Vereinbarungen. Unabhängige Arbeitnehmervertretungen als Verhandlungspartner akzeptiert er nicht", resümiert der "Focus".

 

Quelle: "P.T. Magazin" November/Dezember 2006 - S. 14

 

Anmerkung: Schon vor einigen Jahren bemerkte Bernd Rüthers - Professor für Arbeitsrecht und ausgewiesener Experte des Tarifwesens: "Die Tarifparteien haben sich meilenweit von ihren Mitgliedern entfernt."

 

Wenn man dann noch die unrühmlichen Rollen sieht, die Gewerkschaftsbosse wie Steinkühler (Insider-Aktiengeschäfte) und Zwickel (Abfindungen im Mannesmann-Konzern) gespielt haben, kann man jedem Gewerkschafter nur empfehlen, seinen Verein vor die Alternative zu stellen: "Entweder ihr kehrt zu unseren Wurzeln zurück und hört mit diesen Sauereien auf, oder ich trete aus!" Und denkt immer daran, Lenin wohnte als Gründer der SU in einer Zweizimmerwohnung und hatte sich selber das Gehalt eines Facharbeiters zugewiesen. Daß er allerdings anderweitig ganz andere Dinge auf sein Gewissen geladen hat, soll nicht verschwiegen oder verharmlost werden.