Republik und Rechtsstaat
Das Recht im Kampf gegen die Parteilichkeit
Schachtschneiders fulminante Verteidigung des Rechtsstaates
Der Nürnberger
Staatsrechtslehrer Karl Albrecht Schachtschneider gehört zu denjenigen, die ihr
Amt als Rechtslehrer mit einem bemerkenswerten Engagement für die Republik, die
öffentlichen Dinge, ausüben. Seine vielfältigen Stellungnahmen etwa zum Maastricht‑Vertrag
oder zur Europäischen Grundrechtscharta sind Meilensteine klaren Rechtsdenkens.
Schachtschneider bezieht gegen die immer vorhandenen oder immer drohenden
Abweichungen der Realität von der verfassungsrechtlichen Norm auf entschiedene
Weise Stellung. Er macht, unter emphatischer Berufung auf Kant, die
Normativität der republikanischen Verfassung so stark, wie man sie nur machen
kann, und entwickelt aus philosophisch tragfähigen und tief durchdachten
Grundlagen die Prinzipien seiner Rechtslehre, die er andernorts, in seiner
monumentalen Untersuchung (Res publica res populi, Grundlegung einer
Allgemeinen Republiklehre, Berlin 1994), entfaltet hat.
Im vorliegenden Lehrbuch
bietet er nun ein Grundlagenwissen über die zentralen "Prinzipien des
Rechtsstaates" mit ständiger Beziehung auf die einschlägigen Gesetzestexte
und Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Schachtschneiders Buch, das sich
zunächst einmal an die Studenten der Rechtswissenschaft wendet, ist indes auch
für jeden interessierten Nicht‑Juristen ein höchst nützliches Kompendium.
Dient es doch zuallererst dazu, Grundlagen unserer Rechtsordnung zu vermitteln,
die einen wesentlichen Teil unserer Kultur und unserer freiheitlichen
Staatlichkeit ausmachen. Wenn der Bürger seiner Freiheit gemäß handeln will
bzw. soll, so ist die Kenntnis dieser Rechtssätze von grundlegender Bedeutung.
Denn "die Mißachtung der Prinzipien des Rechtsstaates verletzt die
Menschen in ihrer Würde".
Schachtschneider reichert
seine rechtswissenschaftlichen Darlegungen an vielen Stellen mit teils sehr
prononcierten Wertungen und Einschätzungen an, die nicht der herrschenden Lehre
unter den Juristen entsprechen, aber für ein kritisches politisches Denken
stehen, das in Deutschland noch viel zu selten ist. Allein wegen dieser Stellen
verdient das Buch zahlreiche Leser nicht nur unter Juristen. So vertritt er
eine massive Kritik an der "führerschaftlichen pluralen
Parteienoligarchie" in Deutschland, die schlicht republikwidrig sei. Die
republikanische Gewaltenteilung werde in der Parteiendemokratie massiv
unterlaufen. Zwar bestehe ein gewisses, nicht zu unterschätzendes Gegengewicht
dazu im öffentlichen Dienst, mit den unabhängigen Beamten und Richtern. Doch
fordert Schachtschneider, Richter dürften wegen ihrer Unparteilichkeit nicht
Mitglied in einer politischen Partei sein, was auch für Beamten insgesamt
gelte. Ein hohes berufliches Ethos dieser Gruppen sei von erheblicher Bedeutung
für den Staat. Denn nur wenn man sich zum Beispiel der Unbestechlichkeit der
Richter sicher sein könne, werde eine Republik Bestand haben.
Die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts sowie die Auswahl der Richter durch die
Parteienoligarchie werden von Schachtschneider oft mit beißender Schärfe
kritisiert. Er spricht von einer zunehmenden Gängelung der Richterschaft durch
die Parteien. Doch gibt es wegen der doch recht unabhängigen Stellung der
Richter, von denen manche nur aus Karrieregründen eine Parteimitgliedschaft in
Kauf nehmen, auch Ausnahmen. Der juristische Erfolg der JUNGEN FREIHEIT gegen
den nordrheinwestfälischen Verfassungsschutz zeigt, daß die Lage nicht
durchgängig so schlecht ist, wie man nach der Lektüre Schachtschneiders zu
denken geneigt ist.
Man mag angesichts der
unerbittlichen Radikalität der Logik Schachtschneiders gelegentlich den
Eindruck gewinnen, seine Ausführungen ließen ein normativ überhöhtes und daher
unrealistisches Politikverständnis erkennen. Dies wäre jedoch ein Trugschluß.
Schachtschneiders republikanische Demokratiekonzeption ist nur nicht schon mit
freien Wahlen allein zufrieden, denn mangels programmatischer Alternativen
hätten die Bürger keine ausreichende Wahlmöglichkeiten. Dies galt auch in der
Frage der Einführung des Euro, gegen die Schachtschneider vergeblich juristisch
einzuschreiten versucht hatte.
Auch
scheut er sich nicht, bestimmte Entscheidungen des Verfassungsgerichts, etwa
in der Frage der Bodenkonfiskation 1945 bis 1949, als Fehlentscheidungen
deutlich zu kritisieren. Das Recht ist für Schachtschneider schlechterdings
unverzichtbar als Garant der Freiheit. Es dürfe nicht durch Verweis auf die
Realität ignoriert werden. Wer die Verfassungsnorm zugunsten der Realität
zurückstelle, rede den Mächtigen nach dem Munde. So sei die Tatsache, daß die
Abgeordneten im entwickelten Parteienstaat des heutigen Deutschland "meist
vollziehen, was die Parteiführer entschieden haben", statt ausschließlich
ihrem Gewissen verpflichtet zu sein, der Grund, warum unsere Gesetze nicht
ausreichend den republikanischen Prinzipien entsprechen.
Höchst scharfe Verdikte fällt
Schachtschneider auch, wenn es um den Zustand der demokratischen Grundrechte
geht. Man mag bedauern, daß der konzentriert geschriebene Lehrbuchtext kaum
konkrete Beispiele zur Beweisführung anführt. Doch zum besonders heiklen Thema
der Meinungsfreiheit sagt Schachtschneider: "Gegenwärtig wird eine gewisse
political correctness mit großem Propagandaaufwand eingeübt, mittels derer der
Wahrnehmung von Rechten, insbesondere des Menschen- und Grundrechts der freien
Rede, die Legitimität streitig gemacht wird." Das Recht der freien Rede
sei "in der Praxis weitgehend ruiniert"; doch sei juristisch klar,
daß der Staat zwar informieren, sich aber nicht propagandistisch betätigen
dürfe. Redefreiheit sei ein Menschenrecht, nicht aber ein Recht des Staates
gegenüber seinen Bürgern. Auch die Medien kommen in Schachtschneiders Augen
nicht gut weg, was die Erfüllung ihrer Aufgaben betrifft: "Das Defizit an
Diskurs haben weitgehend die Medien zu verantworten, die die freie Rede durch
Moralismus unterdrücken." Fast nebenbei und lapidar liest man schließlich
bei Schachtschneider auch Positives über die nationale Homogenität, die lange
Zeit tabuiert war: "Die Homogenität der Menschen sichert nach aller
Erfahrung das gemeinsame Leben in Freiheit und damit den Frieden."
Schachtschneiders
fundamentales Prinzip lautet: "Es gibt keine Freiheit ohne Recht, und es
gibt kein Recht ohne Staat." Daß dies so ist, kann und muß gegen die
drohende Aushöhlung des Rechtsstaates in Erinnerung gerufen werden.
Schachtschneiders Lehrbuch ist eine Mahnung, die Rechtspraxis nicht verludern
zu lassen und die Bürger in ihrer Freiheit, das heißt in ihrer Bürgerlichkeit,
zu stärken. Denn die Republik ist vor allem die Sache der Bürger und nicht der
Parteien.
Quelle: JULIUS MÖLLENBACH in JUNGE FREIHEIT vom
6.10.2006
Karl Albrecht Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates.
Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 445 Seiten, 48 Euro
Anmerkung: Was ein Glück, daß es noch Juristen vom Schlage eines Karl
Albrecht Schachtschneider, eines Hans Herbert von Arnim und eines Egon
Schneider gibt. Anderenfalls hätte man schon längst die Flinte ins Korn werfen
oder an sich selber irre werden können.