Redeverbot und Meinungsdiktatur

Brief des Präsidenten des "Bund der Vertriebenen" (BdV) Dr. Fritz Wittmann an den Vizepräsidenten des BdV Dr. Ing. habil. Paul Latussek vom 21.2.1997 und dessen Entgegnung vom 26.2.1997:

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Latussek,

wie mir bekannt geworden ist, haben Sie am 19. Januar 1997 auf einer Veranstaltung der "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." referiert.

Der inhaltlich und personell rechtsextremistische Hintergrund dieser "Gesellschaft" ist hinlänglich bekannt (s. Anlage). Wenn dieser oder die "Gesellschaft" selber Ihnen nicht bekannt war, wäre es Ihre Pflicht gewesen, sich darüber zu informieren.

Im Präsidium und Bundesvorstand des BdV besteht Einvernehmen, daß extremistische Einflußnahmeversuche von links oder rechts wie in der Vergangenheit, so auch weiterhin entschieden abzuwehren sind, weil hinter diesen Einflußnahmeversuchen stehendes Gedankengut und Positionen mit Politik und Selbstverständnis des BdV nicht vereinbar seien.

Auftritte vor oder Zusammenarbeit mit Gruppierungen wie der oben genannten verstoßen gegen diesen Grundkonsens und die Ziele unseres Gesamtverband und sind damit verbandsschädigend.

Als Präsident des BdV distanziere ich mich in aller Deutlichkeit davon und fordere Sie auf, dies in Zukunft zu unterlassen

Ich kann aus meiner Verantwortung für den Gesamtverband nicht dulden, daß nicht hinnehmbare Aktivitäten einzelner das Gesamtwohl des Verbandes beeinträchtigen. Ich bitte, Ihr Verhalten zu überdenken und mir mitzuteilen, ob Sie gewillt sind, künftig den Kontakt zu extremistischen Kreisen zu meiden. Sobald ich Ihre Antwort erhalten habe, gestatte ich mir, diesen Briefwechsel den Mitgliedern des Präsidiums zur Kenntnis zu geben.

Mit freundlichen Grüßen

gez. F. Wittmann

Sehr geehrter Herr Dr.Wittmann,

ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom 21 . Februar 1997 und bin, um es gleich zu sagen, darüber sehr empört.

Vor allem deshalb, weil Sie Ihre Informationen offensichtlich aus linksextremen Kreisen beziehen und obwohl diese einen Vizepräsidenten des Bundes der Vertriebenen, also einen Ihrer Stellvertreter betreffen, ohne mit ihm Rücksprache zu nehmen, offensichtlich als wahr annehmen.

Am 19. Januar 1997 habe ich auf einer Veranstaltung gesprochen, die (siehe Anlage) von dem vertriebenen Landsmann aus Pommern, Herrn Jach, der seit 45 Jahren Mitglied der Landsmannschaft Pommern und auch des BdV ist, organisiert wurde und die dem gegenseitigen besseren Verständnis der Menschen in West- und Mitteldeutschland diente. Diese Veranstaltung ist ein großer Erfolg gewesen. Sie hat offensichtlich einigen Linksextremisten nicht gefallen, ist jedoch von den Teilnehmern gut aufgenommen worden. Die vielen Leserbriefe im Westfalenblatt bestätigen dies recht eindrucksvoll.

Nun lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Selbstverständnis unseres Verbandes hinzufügen und damit zu einigen Punkten in Ihrem Brief kommen, aus denen Ihr mangelndes Demokratieverständnis deutlich wird.

Der Bund der Vertriebenen ist ein Interessenverband. Es ist Aufgabe aller gewählten Vertreter des BdV, die Interessen der Vertriebenen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unseres Volkes zu verdeutlichen und Problembewußtsein für die Beseitigung der Unrechtsfolgen der völkerrechtswidrigen Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland, dem Sudetenland und den anderen Siedlungsgebieten zu erreichen.

Es ist traurig genug, daß 50 Jahre nach dem II. Weltkrieg zu wenig über das Schicksal der 18 Millionen vertriebenen Deutschen im eigenen Volke bekannt ist und eine Jugend herangewachsen ist, die mit mangelnden Geschichtskenntnissen ausgestattet, das Elend des eigenen Volkes nicht kennt und damit nur mangelhaft befähigt wurde, Verantwortung zur Beseitigung der Unrechtsfolgen zu übernehmen. Daran tragen Sie als langjähriger Bundestagsabgeordneter mit Schuld. Egal ob dies Ihnen bewußt ist oder nicht. Ich kenne keine der öffentlichen Aktivitäten Ihrerseits, die diese Entwicklung wirkungsvoll zu verhindern gesucht hätten. Sicher gehört Mut dazu, um gegebenenfalls auch einmal eine Meinung zu vertreten, die nicht in Übereinstimmung mit dem Zeitgeist ist. Eine Verbreitung der geschichtlichen Wahrheit hat nichts mit Rechts- oder Linksextremismus zu tun. Die Verbreitung der geschichtlichen Wahrheit gehört zu den elementaren Aufgaben eines jeden Demokraten und dies überall und nicht nur vor ausgewählten Gremien. In Deutschland muß wieder das Wort an sich und nicht der Ort oder die Zusammensetzung des Zuhörerkreises darüber entscheiden, ob der Sprecher ein guter oder ein schlechter Mensch bzw. ein guter oder schlechter Demokrat ist. Es gibt keinen Ort und keinen Zuhörerkreis, der für ein wahres und gerechtes Wort nicht geeignet ist! Die Wahrheit ist für alle da.

Es muß Ihnen eigentlich klar sein, daß nicht das Wirken der Vertreter unseres Verbandes zur Verbreitung des Gedankengutes und der Positionen unserer Verbandspolitik in unserem Volke, sondern im Gegenteil die Unterlassung der Verbreitung unserer Anliegen verbandsschädigend ist.

Gesamtverantwortung im Interesse unseres Verbandes wahrzunehmen heißt, überall die Interessen der Vertriebenen wahrzunehmen. Herr Dr. Wittmann, ich habe Ihren Redebeitrag im Bundestag anläßlich der Aussprache zur deutsch-tschechischen Erklärung vermißt.

Herr Dr. Wittmann, nun zu Ihrem inquisitorischen Verlangen, nämlich mein Verhalten zu überdenken und Ihnen mitzuteilen, ob ich künftig Kontakte zu extremistischen Kreisen meiden werde.

Diese Aufforderung an sich ist eine Unverschämtheit und disqualifiziert Sie als Demokrat. In wessen Auftrag tun Sie dies? Sind die Vertriebenen in Ihren Augen Extremisten?

Ich will Ihnen gern gestehen, daß ich meine Wahl als Vizepräsident und den damit verbundenen Auftrag im Interesse der vertriebenen Deutschen zu wirken ernst nehme. Ich tue dies aus verschiedenen Gründen.

Einmal weil ich selbst ein Vertriebener bin und das erlittene Schicksal meiner Landsleute sich fest in meinem Herzen eingeprägt hat.

Zum anderen tue ich dies aus Liebe zu meinem Vaterland, über dessen Schicksal sich ernsthaft Gedanken zu machen es vielerlei Gründe gibt. Ich habe mich zur Wende in der ehemaligen DDR als Mitglied des Neuen Forum sehr aktiv eingebracht, damit die Demütigungen, die man uns als Deutsche nach dem Krieg zugefügt hat, beendet werden und die Menschen in Deutschland sich wieder als ein selbstbewußtes Volk darstellen. Deutschland muß wieder den Platz als Kulturnation erhalten, der ihm, entsprechend seiner geopolitischen Lage, seiner Wirtschaftskraft und seiner historischen Bedeutung im wissenschaftlichen und geistigen Leben Europas zukommt. Die Umstände, wie die deutsch-tschechische Erklärung zustande gekommen ist, waren mehr als demütigend für die Sudetendeutschen und mit ihnen, als Teil unseres Volkes, auch für unser Volk.

Sich gegen eine solche Behandlung aufzulehnen gehört zur historischen Verantwortung aller Vertriebenen und aller Deutschen, wenn unser Volk seine Würde nicht verlieren soll.

Ein solidarisches Verhalten aller Vertriebenen zu mobilisieren, um deutsche Politik zur Wahrnehmung ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Verantwortung zur Interessenvertretung der Vertriebenen gegenüber den Vertreiberländern zu bringen, ist nach meinem Verständnis ein Teil der politischen Arbeit unseres Verbandes

Das Gespräch mit allen Vertriebenen zu führen ist deshalb unsere gemeinsame Aufgabe. Vertriebener ist jeder, dem dieses furchtbare Schicksal, dem das Unrecht der Vertreibung widerfahren ist. Gute und schlechte Vertriebene je nach Parteibuch zu qualifizieren ist nicht nur menschlich unvertretbar, sondern auch politisch unannehmbar. Aus diesem Grunde werde ich auch weiterhin zu jedem Vertriebenenverband fahren, der mich als Redner oder Gesprächspartner wünscht. Ich werde auch zu jedem anderen Verband fahren, der etwas über unser Schicksal und unsere Rechte wissen will. Ein wirklich schlechter Deutscher kann nur der sein, der den Opfern des eigenen Volkes seine Solidarität zur Beseitigung erlittenen Unrechtes verweigert. Das Recht wird siegen, oft auch gegen die Opportunisten aus den eigenen Reihen!

Herr Dr. Wittmann, Sie haben mir nach meiner Rede in Berlin die öffentliche Solidarität als Präsident des Bundes der Vertriebenen verweigert. Eine öffentliche Entschuldigung für die sich als falsch erwiesenen Vorwürfe im DOD hat es bisher nicht gegeben.

Nun versuchen Sie zum zweiten Mal mit billiger Polemik einen Keil in das Präsidium zu treiben, um mein Wirken für die Vertriebenen zu verhindern oder zu schwächen. Ich fürchte auch diese Auseinandersetzung nicht, da ich zum Rechtsempfinden unserer Mitglieder Vertrauen besitze. Ich werde diesen Brief und Ihr Schreiben den Mitgliedern des Präsidiums, allen Landsmannschaften und Landesverbänden des BdV und vielen Basisgruppen zur Kenntnis geben. Zum Abschluß noch eine Frage: Was wollen Sie eigentlich?

Mit freundlichen Grüßen

gez. Latussek

 

Quelle: "Unabhängige Nachrichten" 4/1997, Seiten 6 - 8