„Putsch
der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes
gegen die bestehende
Gesetzeslage“
(...) Eindeutige
Korruptionsfälle mag es in der Tat nur wenige gegeben haben - doch dass
deutsche Beamte in Tirana auch zwielichtigen Gestalten zuhauf die Einreise
nach Deutschland erlaubten, wird durch die Berichte belegt. Fahnder des Bundesgrenzschutzes,
im März in den bei Albanern als Tür nach Europa beliebten italienischen
Fährhafen Bari entsandt, wollen gar Anzeichen für „bandenmäßig organisierte
Kriminalität" gefunden haben.
Das Pikante dabei: Die
BGS-Leute, die SPD-Bundesinnenminister Otto Schily unterstehen, weisen dem
Auswärtigen Amt unter Schilys grünem Kabinettskollegen Joschka Fischer eine
Mitschuld zu: Ein Erlass seines damaligen, ebenfalls grünen Staatsministers
Ludger Volmer vom März 2000 regelte, dass Visa in Zweifelsfällen eher zu
erteilen, denn zu verwehren seien. Eine Direktive hinter der sich nachlässige
Botschaftsbeamte in aller Welt verstecken konnten, selbst wenn sie ahnten, dass
Schleuserbanden die Dokumente für die begehrten Einreisepapiere gefälscht, gekauft
oder gestohlen hatten.
Ein schwer wiegender
Vorwurf, den das Landgericht Köln schon im Februar - in einem anderen Fall -
als erwiesen ansah. In ihrem Urteil gegen einen ukrainischen Schleuser
begründeten die Richter die vergleichsweise milde Strafe mit dem Hinweis, das
Auswärtige Amt habe mit dem Volmer-Erlass massenhaften Visamissbrauch
erleichtert. Nach diesem „Putsch der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes
gegen die bestehende Gesetzeslage“ hätten die Bediensteten der deutschen
Botschaft in Kiew die Papiere der Antragsteller nicht mehr ausreichend geprüft
und so Betrügern Tür und Tor geöffnet.
In der deutschen Vertretung
in Tirana verhallte die Richterschelte offenbar ungehört. In den meisten
Fällen, so rügen die BGS-Leute, hätten simple Kontrollen genügt, um
Visabetrügern auf die Schliche zu kommen. (...)
Quelle: Gunther Latsch in DER SPIEGEL 46 / 2004 /
150 („Schlamperei und Schwarzhandel“ – Auszug)