Raus aus Afghanistan!
Nahost-Experte Peter Scholl-Latour spricht aus,
was die Mehrheit aller
Deutschen denkt.
Mehrfach berichteten die »Unabhängigen Nachrichten« im Jahr 2007 über stichhaltige politische und juristische
Argumente gegen den Afghanistan-Einsatz
der Bundeswehr (vgl. UN 2, 4, 6
und 10/07). In der September-Ausgabe des Magazins »Cicero« fordert auch der Nahost-Experte Peter
Scholl-Latour einen sofortigen Abzug der deutschen Truppen. Seine Argumente
fassen wir nachfolgend zusammen (alle
Zitate von Peter Scholl-Latour;
Hervorhebungen durch UN).
»Man gewinnt keinen Krieg in Afghanistan«, leitet
Scholl-Latour seine Argumentation ein.
Er hat dabei über 160 Jahre
Landesgeschichte Afghanistans im
Auge, in der es keiner
Besatzungsmacht gelungen ist, das Land zu unterwerfen. Weder den Briten, noch den
Russen. »Wer in den Felsschluchten
des Panjir die Vielzahl der zerstörten
sowjetischen Panzer gesehen hat, der
kommt auch nicht auf die kuriose
Idee, es am Hindukusch mit dem deutschen Leopard II zu versuchen...«
Wähler =
Rindviecher?
Die Absicht von
vermeintlichen Volksvertretern wie dem
SPD-Fraktionsvorsitzenden
Peter Struck, die Bundeswehr noch für mindestens zehn Jahre in Afghanistan zu belassen (»Spiegel« Nr.
36/07), hält Scholl-Latour für eine merkwürdige Anmutung.
»In Deutschland optiert die Mehrheit der Bevölkerung für eine baldige Räumung Afghanistans, aber neuerdings ist
es bei Parlamentariern und Publizisten Mode geworden, die Meinung des Bürgers gering zu achten gemäß der vulgären Redensart von einst: „vox populi, vox
Rindvieh“.«
Als Gerhard Schröder aufgrund seiner Haltung
gegen den Irak-Krieg im Amt
bestätigt wurde, hätte der Wähler »mehr
gesunden Menschenverstand bewiesen als die
„kriegslustigen“ Intellektuellen und Politprofis.« Mit grimmiger Heiterkeit sei feststellbar, daß die heutigen
Kriegsführer aus dem Lager der einstigen utopischen Ultra-Pazifisten stammten.
Die Befürworter einer Verstärkung des Afghanistan-Einsatzes aus dem
Medienbereich seien nie in Afghanistan gewesen oder zumindest nur unter
strenger Abschirmung.
Laut
Scholl-Latour gäbe es für Deutschland wichtigere Interessengebiete auf dem Balkan oder in
Nordafrika als isolierte Stützpunkte in Zentralasien.
Desinformation und Volksverdummung
In
der UN-Ausgabe 6/07 machten wir bereits
als Titelthema darauf aufmerksam,
daß die Öffentlichkeit zu diesem
Thema gezielt desinformiert werde.
Scholl-Latour
bestätigt unsere Einschätzung und spricht
von einer »permanenten Desinformation«.
Al Qaida sei keine afghanische, sondern
eine saudische Organisation, die durch den Prinzen Mohammed el Faisal und weitere Saudis
finanziert werde.
Weiter, so der Nahost-Experte, dürfe
nicht vergessen werden, daß Osama bin Laden seine Kämpfer einst in enger Zusammenarbeit
mit der CIA rekrutiert habe. Selbst die Aufstellung der Taliban-Gruppen unter
Mullah Omar fanden unter maßgeblicher
Beteiligung us-amerikanischer Geheimdienstbehörden
statt.
Auch würden die Deutschen getäuscht, wenn
der Tod unserer Soldaten oder die Entführung deutscher Zivilpersonen zu
Schicksalsfragen der Nation hochgespielt würden.
Es
sei völlig normal, daß ein Militäreinsatz Soldaten das Leben kostet. Es sei
zudem ganz klar, daß sich eine deutsche Regierung nicht durch Entführungen
erpressen lassen darf.
Aber
diese Ereignisse würden nach Ansicht
Scholl-Latours auch gar nicht das Problem des Einsatzes berühren.
Das
wirkliche Problem sei die Frage danach, ob der Nato-Einsatz am Hindukusch
überhaupt Sinn mache. »Die Antwort
darauf kann nur ein deutliches Nein sein.«
ISAF oder Operation Enduring Freedom?
Die in Deutschland geführte Diskussion über die
Trennung des ISAF-Mandats von der »Operation Enduring
Freedom« und die Verstrickung der deutschen
Tornados zwischen beiden gehe an der Sache ebenfalls vorbei.
Scholl-Latour: »Wie soll ein einfacher
Paschtune diese Differenzierung wahrnehmen?«
Die ISAF-Truppen der NATO seien faktisch dem
Oberkommando der USA unterworfen und genau das sähe man in Afghanistan. Die angeblich bevorzugte Sonderstellung
deutscher Staatsbürger gäbe es nicht.
Deshalb hätte z.B. der amerikanische Geheimdienst es wieder aufgegeben, als Schutz vor den Taliban Hoheitszeichen der BRD als Tarnung zu verwenden.
Die
Feindschaft afghanischer Stämme untereinander hieße nicht, daß man die
westlichen Besatzer liebe.
Gefängnis Afghanistan
Ernüchternd
stellt Scholl-Latour weiter fest: »Es
gibt keine NATO-Kontrolle in
Afghanistan, weder im umkämpften
Süden und Osten, noch im relativ
ruhigen Norden...« Deutsche
Soldaten seien in ihren Trutzburgen
einer monatelangen und eintönigen Isolierung ausgesetzt. Einzig die
Patrouillenfahrer könnten die Stützpunkte verlassen; aber auch deren
Radius werde immer kleiner. Die übrigen Soldaten
säßen fest.
Klägliche Resultate
Das Ergebnis der bisherigen Aufbauhilfe
in Afghanistan bezeichnet der Experte in
seinem Artikel als »kläglich«.
»Am
Ende werden auch die NATO-Alliierten
Afghanistan sich selbst überlassen müssen. [...] Wenn trotzdem die
Überlebenden der „Grünen Fremdenlegion“ - vermutlich auch Osama bin Laden -
im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet Zuflucht finden, so ist das dem
zwingenden Gebot der Gastlichkeit zu verdanken, das im Ehrenkodex der
Paschtunen verankert ist.
Das
gleiche Brauchtum schreibt allerdings auch die Blutrache als unerbittliches
Gesetz vor, so daß jede Hoffnung, im Umkreis der bombardierten Dörfer die
„Herzen und Gemüter“ zu gewinnen, eine Schimäre [Hirngespinst]
bleibt.«
Und
das kostet der Afghanistan-Einsatz laut der September-Ausgabe von »Cicero«:
• 869,2
Millionen Euro
von 2001 bis 2006 für die Teilnahme von KSK-Truppen an der
»Operation Enduring Freedom« in Afghanistan.
• 1,9 Milliarden Euro von
2001
bis 2006 für die Teilnahme am ISAF-Einsatz.
• 35
Millionen Euro in
2007 für den Tornado-Einsatz.
Gesamtkosten
des Afghanistan-Einsatzes der BRD:
2,804 Milliarden Euro
Quelle:
UNABHÄNGIGE NACHRICHTEN 11 / 2007 / 9 f