Pressefreiheit, Spaßgesellschaft und Kontenkündigungen
"Wie haben fast DDR-Verhältnisse"
Herr Professor Zehm, Sie standen als einer der ersten unter dem "Appell
für die Pressefreiheit", der überraschend schnell zu einem Einlenken der
Postbank führte. Ist der "Fall Postbank " symptomatisch für die
politische Lage in Deutschland?
Zehm: Symptomatisch war zumindest die Kündigung und ihre Begründung, also die Beschimpfung der JUNGEN
FREIHEIT (JF) als einer "extremen Organisation", mit der man, weil
sie in irgendwelchen Verfassungsschutzberichten erwähnt wird, nicht mehr
zusammenarbeiten könne. Da drückte sich nur allzu deutlich aus, wohin uns die
von der Regierung im vorigen Jahr gestartete "Kampagne gegen Rechts"
inzwischen geführt hat. Es wurde bewußt ein Bürgerkriegsklima geschaffen, in
dem jeder, der sich politisch auch nur ansatzweise als rechts von CDU/CSU stehend
zu erkennen gibt, als absoluter Feind erscheint, mit dem man alles machen
dürfe. Es gibt inzwischen Ärzte, die sich weigern, die Kinder von
"rechten" Eltern zu behandeln. Die Kündigung der JF‑Konten
durch die Postbank paßte in dieses Schema.
Halten Sie es für übertrieben, von einem "neuen Totalitarismus" zusprechen? Sind "Political
Correctness" und die Gängelung unbequemer Zeitungen und Verlage Vorboten
einer Meinungsdiktatur?
Zehm: Ich verwende zur Kennzeichnung unserer augenblicklichen
Lage bevorzugt die Formel "DDR light''. Wir haben jetzt in ganz
Deutschland natürlich eine Wirtschaft, die sehr viel besser funktioniert als
die Wirtschaft in der verflossenen DDR. Der Staat und die Parteien
kontrollieren auch noch nicht so viele Lebensbereiche wie in der DDR, es gibt
noch Inseln der Liberalität. Aber in der Politik und in den Medien haben wir
schon fast DDRVerhältnisse. Die als "demokratisch" bezeichneten
Parteien unterscheiden sich in ihrer Programmatik nicht mehr voneinander und in
den entscheidenden Medien ‑ Fernsehen, große Regionalzeitungen, Verlage
usw. ‑ herrscht blanke Meinungsdiktatur. Ganze Kohorten von
selbsternannten Zensoren sorgen gnadenlos für geistige Einheitslinie, es gibt
Tabuzonen, es gibt Paragraphen gegen "Volksverhetzung", es gibt alljährlich
Tausende von Prozessen wegen ideologischer "Propagandadelikte", es
gibt ‑ genau wie einst in der DDR ‑ einen Dauerkrieg der Behörden
gegen aufmüpfige Jugendliche und gegen die Musik, die sie machen. Da ist kein
Unterschied mehr.
Sie waren selbst in der DDR mehrere Jahre wegen unbotmäßiger Äußerungen
inhaftiert. Macht Sie das vielleicht überempfindlich für gewisse Entwicklungen?
Zehm: Ich finde, man kann hier gar nicht empfindlich genug
sein. An der Universität Jena, wo ich Vorlesungen halte, hat im Zuge der
"Kampagne gegen Rechts" die "Antifaschistische
Hochschulgruppe" ‑ eine Formation, die im Studierendenrat über einen
einzigen Sitz verfügt ‑ Knall und Fall wüste Beschimpfungen gegen mich
erhoben, weil ich meine Pankraz‑Kolumne in der JF erscheinen lasse.
Alsbald erschien im Berliner PDS‑Organ Neues Deutschland ein Artikel gegen mich, der vor Lügen strotzte.
So wurde unter anderem behauptet, ich sei dafür verantwortlich, daß im Jenaer
Vorort Lobeda russische GastWissenschaftler angefallen worden seien, und
daraufhin zogen thüringische Regionalzeitungen sofort nach, so als seien sie
vom ND wie in alten Zeiten ferngelenkt. Es erschienen dort Artikel, die ganze
Passagen aus dem ND wörtlich übernahmen. Das erinnerte mich doch sehr an
gewisse Vorgänge aus meiner Jugend. Fehlt nur noch der Rausschmiß aus der
Universität und die Verhaftung "wegen Boykotthetze".
Was tun eigentlich die "bürgerlichen", auf Seriosität bedachten
Zeitungen, um einer Meinungsdiktatur entgegenzuwirken?
Zehm: Viel zu wenig, eigentlich fast nichts. Die sogenannten
"Vorkommnisse", auf die sich die "Kampagne gegen Rechts" zu
ihrer Rechtfertigung berief ‑ Ertränkung eines halbarabischen Kindes in
Sebnitz, Synagogenanschläge, "Jagd" auf Ausländer ‑ waren ja zu
einem großen Teil aufgelegter Schwindel, es waren schlimmste Fakes der
"antifaschistischen" PC‑Aufseher und der Revolverpresse. Es
wurde vorverurteilt, Sachverhalte wurden in übelster Weise verdreht oder
übertrieben ‑ doch die "bürgerliche" Presse tat nichts dagegen, recherchierte nicht selbständig, stellte
nichts richtig, mahnte nicht zur Vernunft, im Gegenteil, ihre Kommentatoren
stimmten voll in das Geheul ein. Noch nie war das Niveau im Fernsehen und in
den Zeitungen bei uns so niedrig wie zur Zeit.
Liegt das nicht auch daran, daß die Spaßgesellschaft voll mit anderen
Dingen beschäftigt ist? Wie erklären Sie sich, daß zum Beispiel selbst bei der
Lektüre der "FAZ" inzwischen der Eindruck entsteht, dort gäbe eine
"Spaßredaktion" den Ton an?
Zehm: Ich habe diesen Eindruck nicht. Die FAZ ist in vieler
Hinsicht immer noch ehrfurchtgebietend, räumt wissenschaftlichen Fragen in
einmaliger Weise viel Platz ein, hält auch in allen Ressorts ein
vergleichsweise hohes Wissens‑ und Stilniveau. Aber es stimmt schon: In
der Innenpolitik wird zu wenig selbständig recherchiert und zu kleinmütig
kommentiert, man fühlt sich zu sehr als Sprachrohr offizieller Instanzen. Im
Feuilleton werden zu selbstverliebt Locken auf Glatzen gedreht, es herrscht
streckenweise ein süffisanter und gleichzeitig umständlich-zweideutiger Ton,
der ziemlich auf die Nerven geht.
Sie waren lange Zeit Journalist im Springer-Verlag, davon mehrere Jahre
Feuilletonchef und stellvertretender Chefredakteur der "Welt". Wie
erklären Sie sich, daß ‑ um ein besonders krasses Beispiel zu wählen ‑
Anzeigen der PDS in der Welt geschaltet werden, der Appell für die
Pressefreiheit " der jungen Freiheit " aber von derselben Zeitung
abgelehnt wurde?
Zehm: Das Letzte ist überhaupt nicht zu erklären, es ist pure
Dummheit und Beflissenheit dem linken Zeitgeist gegenüber, vergleichbar der
Kündigung Ihres Hauptkontos durch die Postbank. Was für Kräfte dahinter stehen
und ob welche dahinter stehen ‑ darüber kann man rätseln. Mit der
Springerpresse insgesamt verhält es sich wohl folgendermaßen. Sie ist ja kein
elitäres Haus, sie ist ‑ in
allen ihren Ausprägungen ‑ ein Haus zur Belehrung und Unterhaltung der
Massen, was naturgemäß ein niedriges Meinungsprofil voraussetzt. Die
entscheidenden Parolen werden anderswo gegeben. Alles, was damals in den Jahren
vor der Wiedervereinigung die Springerpresse ausmachte, also das große Bollwerk
ordentlicher Bürgerlichkeit gegen die 68er und der Wille, der kommunistischen
Diktatur zu widerstehen und die Einheit des Vaterlandes anzustreben ‑ all
das war einzig das Werk von Axel Springer, das er oft genug ausdrücklich gegen sein eigenes Haus, gegen dessen Establishment und
Management durchsetzen mußte. Dieser Springer hatte natürlich, wie wir alle,
seine Schwächen, aber in seinem publizistischen Willen und Wirken war er eine
absolut einmalige und epochale Figur, von dessen Erbe leider nichts übrig
geblieben ist, wie das eben so oft im Leben der Generationen passiert.
Wie erklären Sie es sich, daß konservative und nationalliberale Autoren
in den großen meinungsbildenden Tages‑ und Wochenzeitungen kaum noch
Gehör erhalten?
Zehm: Ist das wirklich so? Wieviele konservative und
nationalliberale Autoren, die schreiben können, gibt es denn in unserem Land?
Gäbe es mehr davon, würden sie sich wohl auch stärker Gehör verschaffen. Die
zweifellos weit verbreitete Zensurgesinnung und die überbordende PC in den
Medien ist nur ein Teilaspekt der allgemeinen Misere. Die Epoche des Kalten
Krieges ist leider nicht in ein Zeitalter der selbstbewußten Kulturen und Vaterländer eingemündet, sondern
in ein Zeitalter der bloßen Verbraucher und eines grenzübergreifenden
Massengeschmacks. Und die Eliten ‑ speziell in Deutschland, wo man sich
ja gar nicht mehr zur eigenen geistigen Tradition zu bekennen wagt ‑
huldigen ausdrücklich jenem Konsumismus und jenem Massengeschmack, produzieren
von sich aus eine verächtliche Wegwerf‑ und Müllkultur. Zwischen Josef
Beuys und Big Brother gibt es im Grunde keinen Unterschied, besteht vielmehr eine
Koalition. Wer als Konservativer oder Nationalliberaler dagegen angeht, hat es
natürlich schwer.
Liegt es nicht im Wesen der Spaßkultur, daß alles Anspruchsvolle, gar Tiefschürfende letztlich als
"gefährlich radikal" erscheinen muß, weil es sich ja in ungewohnt
kritischer Weise den Dingen nähert?
Zehm: Radikalität
ist in der Tat ein Kennzeichen der Anspruchsvollen und Tiefschürfenden, das
kann man schon in der Poetik des Aristoteles nachlesen. Sowohl Wissenschaftler
als auch Künstler müssen ihre Probleme und Konflikte in makelloser Schärfe
formulieren und aus dem allgemeinen Wust des Vorhandenen herausmeißeln, anders
sind Lösungen, ist befreiende Katharsis gar nicht möglich. Hier liegt eine
prinzipielle Differenz zur Politik, in der Radikalismus selten eine Tugend ist,
es auf Kompromisse ankommt.
Sie selbst beugen sich dem Trend zum Wischi-waschi und zur Häppchenkultur
nicht. Seit Jahrzehnten hat Ihre Kolumne den gleichen Umfang Wie reagieren die
Studenten an der Uni Jena auf Ihre Art der Beständigkeit ‑ gibt es einen
Generationenkonflikt?
Zehm: An der
Uni herrschen, bei aller Kritik, die man an ihr üben mag, doch noch andere
Voraussetzungen als in den Medien und Zirkeln der Spaß‑ und
Häppchengesellschaft. Da geht es doch noch ums Ganze, und die meisten Dozenten
wissen das und geben sich entsprechend Mühe, um die Verbindung zur Tradition
des Überliefernswerten nicht abreißen zu lassen. Und es gibt, glaube ich,
genügend Studenten, die das ausdrücklich wollen, die ihre Dozenten geradezu zur
Gründlichkeit, Genauigkeit und Radikalität zwingen. Man darf also optimistisch
sein. "Alles vergeht", sagt Nasreddhin von Buchara, und so werden
auch die Maßstäbe und Unterdrückungsapparate der Spaßgesellschaft vergehen.
Warum hat es kritischer, nicht‑linker Journalismus hierzulande so
schwer?
Zehm: Gutes hat es immer schwer, hat es immer schwer gehabt
und wird es immer schwer haben. Gute Journalisten dürfen sich also keine
Illusionen machen, nicht einmal in der Richtung, daß sie sich sagen: "Eines
Tages sind die Lemuren am Ende, und dann kommt unsere Stunde." Wenn die
Stunde schlägt, wenn die Wende kommt, sind die Lemuren die ersten, die es
angeblich schon immer am besten gewußt haben; siehe die Wiedervereinigung und
was danach kam. Aber diese Kalamität ist kein Grund zur Verzweiflung. Wie sagte
schon Sokrates zu Kritias? "Bedenke immer, o, mein Kritias: Die Menschen
zu kränken ist leicht, sie zu belehren ist schwer, sie zu bessern unmöglich.
Wir können schon glücklich sein, wenn es uns gelingt, zu verstehen, was der
andere meinen mag und welcher Stern ihm, wenn er spricht, voranleuchter."
Quelle: DIETER STEIN / MORITZ SCHWARZ in JUNGE FREIHEIT vom 9.2.2001